Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Beziehungen zur Gräfin, die einige zwanzig Jahre älter als er, aber noch
schön und pikant war, gewesen sein mögen, auf sein Leben haben sie verhäng-
nißvoll gewirkt. Sein Name war der Öffentlichkeit znerst durch einen gro߬
artigen Skandal bekannt geworden, und das heftete sich wie ein untilgbarer
Fluch an seine Fersen und wurde eine der Ursachen des Konflikts, in dem er
unterging. Das Verhältniß zu der Hatzfeldt war mindestens kein gesundes,
und es hat ihn entschieden bestimmt, falsche und unheilvolle Bahnen einzu-
schlagen.

Der Prozeß hatte Lassalle fast zehn Jahre lang beinahe vollständig in
Anspruch genommen. Aber er hatte ihn ans praktischem Wege in eine Wissen¬
schaft hineingebracht, in welcher er theoretisch Epoche machen sollte. Zunächst
aber kehrte er uach Berlin zurück, um sein Buch "Die Philosophie Herakleitos'
des Dunkeln" zu vollenden, welches dann 1857 im Besser'scheu Verlage er¬
schien und ihn mit einem Schlage unter die ersten Gelehrten Deutschlands
stellte. Daß er ein besonderes Interesse für diesen Philosophen empfunden, er¬
klärt sich aus dem leidenschaftlichen Hange seines Geistes, sich mit Schwierig¬
keiten abzugeben, dann wohl daraus, daß Heraklit ihm als der Hegel des
Alterthums erschien, und endlich daraus, daß er in ihm einem Charakterzüge
begegnete, der dem jungen Gelehrten selbst eigen war. Es hieß von dem
alten Philosophen, er "habe Ruhe und Stillstand aus der Welt verbannt, die
ihm nnr absolute Bewegung gewesen", und Lassalle selbst sagt: "Man sieht,
daß Heraklit weit entfernt war von jener Apathie, welche den ethisch-politischen
Raisonnements der späteren Stoiker eine so tiefe Langweiligkeit einflößt. Es
war Sturm in dieser Natur." Der laute Beifall, den das in der That vor¬
treffliche Werk in deu engen Kreisen der wissenschaftlichen Welt fand, genügie
seinem Thatendrang und seinem Durst nach Ruhm, der ihm "das Sein der
Menschen in ihrem Nichtsein, die erreichte und wirklich gewordene Unendlichkeit
des Menschen" war, in keiner Weise. Politische Thätigkeit war für ihn nnter
dem Ministerium Manteuffel unmöglich; hatte er sich doch, seit 1848 politisch
anrüchig, als Fuhrmann verkleidet, in Berlin wieder eingeschlichen, und
durfte er dort doch uur bleibe", weil Humboldt sich für ihn verwendete. War
ihm so der Schonplatz des wirklichen Lebens verschlossen, so wollte er wenig¬
stens in der Scheinwelt der Bühne herrschen. Hier aber mißlang es ihm
gänzlich; denn er war Alles, nur kein Dichter. Er reichte unter fremdem
Namen bei der Intendanz der königlichen Schauspiele ein historisches Drama
"Franz von Sickingen" ein, und dasselbe wurde zurückgewiesen, und zwar
mit vollem Rechte. Allerdings zeigt das Stück große und tiefe Gedanken, und
eine hinreißende nationale Leidenschaft pulsirt in seinen Auftritten, aber von
irgend welcher Kenntniß und Berücksichtigung der Lebensbedingungen der Bühne


Beziehungen zur Gräfin, die einige zwanzig Jahre älter als er, aber noch
schön und pikant war, gewesen sein mögen, auf sein Leben haben sie verhäng-
nißvoll gewirkt. Sein Name war der Öffentlichkeit znerst durch einen gro߬
artigen Skandal bekannt geworden, und das heftete sich wie ein untilgbarer
Fluch an seine Fersen und wurde eine der Ursachen des Konflikts, in dem er
unterging. Das Verhältniß zu der Hatzfeldt war mindestens kein gesundes,
und es hat ihn entschieden bestimmt, falsche und unheilvolle Bahnen einzu-
schlagen.

Der Prozeß hatte Lassalle fast zehn Jahre lang beinahe vollständig in
Anspruch genommen. Aber er hatte ihn ans praktischem Wege in eine Wissen¬
schaft hineingebracht, in welcher er theoretisch Epoche machen sollte. Zunächst
aber kehrte er uach Berlin zurück, um sein Buch „Die Philosophie Herakleitos'
des Dunkeln" zu vollenden, welches dann 1857 im Besser'scheu Verlage er¬
schien und ihn mit einem Schlage unter die ersten Gelehrten Deutschlands
stellte. Daß er ein besonderes Interesse für diesen Philosophen empfunden, er¬
klärt sich aus dem leidenschaftlichen Hange seines Geistes, sich mit Schwierig¬
keiten abzugeben, dann wohl daraus, daß Heraklit ihm als der Hegel des
Alterthums erschien, und endlich daraus, daß er in ihm einem Charakterzüge
begegnete, der dem jungen Gelehrten selbst eigen war. Es hieß von dem
alten Philosophen, er „habe Ruhe und Stillstand aus der Welt verbannt, die
ihm nnr absolute Bewegung gewesen", und Lassalle selbst sagt: „Man sieht,
daß Heraklit weit entfernt war von jener Apathie, welche den ethisch-politischen
Raisonnements der späteren Stoiker eine so tiefe Langweiligkeit einflößt. Es
war Sturm in dieser Natur." Der laute Beifall, den das in der That vor¬
treffliche Werk in deu engen Kreisen der wissenschaftlichen Welt fand, genügie
seinem Thatendrang und seinem Durst nach Ruhm, der ihm „das Sein der
Menschen in ihrem Nichtsein, die erreichte und wirklich gewordene Unendlichkeit
des Menschen" war, in keiner Weise. Politische Thätigkeit war für ihn nnter
dem Ministerium Manteuffel unmöglich; hatte er sich doch, seit 1848 politisch
anrüchig, als Fuhrmann verkleidet, in Berlin wieder eingeschlichen, und
durfte er dort doch uur bleibe», weil Humboldt sich für ihn verwendete. War
ihm so der Schonplatz des wirklichen Lebens verschlossen, so wollte er wenig¬
stens in der Scheinwelt der Bühne herrschen. Hier aber mißlang es ihm
gänzlich; denn er war Alles, nur kein Dichter. Er reichte unter fremdem
Namen bei der Intendanz der königlichen Schauspiele ein historisches Drama
„Franz von Sickingen" ein, und dasselbe wurde zurückgewiesen, und zwar
mit vollem Rechte. Allerdings zeigt das Stück große und tiefe Gedanken, und
eine hinreißende nationale Leidenschaft pulsirt in seinen Auftritten, aber von
irgend welcher Kenntniß und Berücksichtigung der Lebensbedingungen der Bühne


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138149"/>
          <p xml:id="ID_1287" prev="#ID_1286"> Beziehungen zur Gräfin, die einige zwanzig Jahre älter als er, aber noch<lb/>
schön und pikant war, gewesen sein mögen, auf sein Leben haben sie verhäng-<lb/>
nißvoll gewirkt. Sein Name war der Öffentlichkeit znerst durch einen gro߬<lb/>
artigen Skandal bekannt geworden, und das heftete sich wie ein untilgbarer<lb/>
Fluch an seine Fersen und wurde eine der Ursachen des Konflikts, in dem er<lb/>
unterging. Das Verhältniß zu der Hatzfeldt war mindestens kein gesundes,<lb/>
und es hat ihn entschieden bestimmt, falsche und unheilvolle Bahnen einzu-<lb/>
schlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1288" next="#ID_1289"> Der Prozeß hatte Lassalle fast zehn Jahre lang beinahe vollständig in<lb/>
Anspruch genommen. Aber er hatte ihn ans praktischem Wege in eine Wissen¬<lb/>
schaft hineingebracht, in welcher er theoretisch Epoche machen sollte. Zunächst<lb/>
aber kehrte er uach Berlin zurück, um sein Buch &#x201E;Die Philosophie Herakleitos'<lb/>
des Dunkeln" zu vollenden, welches dann 1857 im Besser'scheu Verlage er¬<lb/>
schien und ihn mit einem Schlage unter die ersten Gelehrten Deutschlands<lb/>
stellte. Daß er ein besonderes Interesse für diesen Philosophen empfunden, er¬<lb/>
klärt sich aus dem leidenschaftlichen Hange seines Geistes, sich mit Schwierig¬<lb/>
keiten abzugeben, dann wohl daraus, daß Heraklit ihm als der Hegel des<lb/>
Alterthums erschien, und endlich daraus, daß er in ihm einem Charakterzüge<lb/>
begegnete, der dem jungen Gelehrten selbst eigen war. Es hieß von dem<lb/>
alten Philosophen, er &#x201E;habe Ruhe und Stillstand aus der Welt verbannt, die<lb/>
ihm nnr absolute Bewegung gewesen", und Lassalle selbst sagt: &#x201E;Man sieht,<lb/>
daß Heraklit weit entfernt war von jener Apathie, welche den ethisch-politischen<lb/>
Raisonnements der späteren Stoiker eine so tiefe Langweiligkeit einflößt. Es<lb/>
war Sturm in dieser Natur." Der laute Beifall, den das in der That vor¬<lb/>
treffliche Werk in deu engen Kreisen der wissenschaftlichen Welt fand, genügie<lb/>
seinem Thatendrang und seinem Durst nach Ruhm, der ihm &#x201E;das Sein der<lb/>
Menschen in ihrem Nichtsein, die erreichte und wirklich gewordene Unendlichkeit<lb/>
des Menschen" war, in keiner Weise. Politische Thätigkeit war für ihn nnter<lb/>
dem Ministerium Manteuffel unmöglich; hatte er sich doch, seit 1848 politisch<lb/>
anrüchig, als Fuhrmann verkleidet, in Berlin wieder eingeschlichen, und<lb/>
durfte er dort doch uur bleibe», weil Humboldt sich für ihn verwendete. War<lb/>
ihm so der Schonplatz des wirklichen Lebens verschlossen, so wollte er wenig¬<lb/>
stens in der Scheinwelt der Bühne herrschen. Hier aber mißlang es ihm<lb/>
gänzlich; denn er war Alles, nur kein Dichter. Er reichte unter fremdem<lb/>
Namen bei der Intendanz der königlichen Schauspiele ein historisches Drama<lb/>
&#x201E;Franz von Sickingen" ein, und dasselbe wurde zurückgewiesen, und zwar<lb/>
mit vollem Rechte. Allerdings zeigt das Stück große und tiefe Gedanken, und<lb/>
eine hinreißende nationale Leidenschaft pulsirt in seinen Auftritten, aber von<lb/>
irgend welcher Kenntniß und Berücksichtigung der Lebensbedingungen der Bühne</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] Beziehungen zur Gräfin, die einige zwanzig Jahre älter als er, aber noch schön und pikant war, gewesen sein mögen, auf sein Leben haben sie verhäng- nißvoll gewirkt. Sein Name war der Öffentlichkeit znerst durch einen gro߬ artigen Skandal bekannt geworden, und das heftete sich wie ein untilgbarer Fluch an seine Fersen und wurde eine der Ursachen des Konflikts, in dem er unterging. Das Verhältniß zu der Hatzfeldt war mindestens kein gesundes, und es hat ihn entschieden bestimmt, falsche und unheilvolle Bahnen einzu- schlagen. Der Prozeß hatte Lassalle fast zehn Jahre lang beinahe vollständig in Anspruch genommen. Aber er hatte ihn ans praktischem Wege in eine Wissen¬ schaft hineingebracht, in welcher er theoretisch Epoche machen sollte. Zunächst aber kehrte er uach Berlin zurück, um sein Buch „Die Philosophie Herakleitos' des Dunkeln" zu vollenden, welches dann 1857 im Besser'scheu Verlage er¬ schien und ihn mit einem Schlage unter die ersten Gelehrten Deutschlands stellte. Daß er ein besonderes Interesse für diesen Philosophen empfunden, er¬ klärt sich aus dem leidenschaftlichen Hange seines Geistes, sich mit Schwierig¬ keiten abzugeben, dann wohl daraus, daß Heraklit ihm als der Hegel des Alterthums erschien, und endlich daraus, daß er in ihm einem Charakterzüge begegnete, der dem jungen Gelehrten selbst eigen war. Es hieß von dem alten Philosophen, er „habe Ruhe und Stillstand aus der Welt verbannt, die ihm nnr absolute Bewegung gewesen", und Lassalle selbst sagt: „Man sieht, daß Heraklit weit entfernt war von jener Apathie, welche den ethisch-politischen Raisonnements der späteren Stoiker eine so tiefe Langweiligkeit einflößt. Es war Sturm in dieser Natur." Der laute Beifall, den das in der That vor¬ treffliche Werk in deu engen Kreisen der wissenschaftlichen Welt fand, genügie seinem Thatendrang und seinem Durst nach Ruhm, der ihm „das Sein der Menschen in ihrem Nichtsein, die erreichte und wirklich gewordene Unendlichkeit des Menschen" war, in keiner Weise. Politische Thätigkeit war für ihn nnter dem Ministerium Manteuffel unmöglich; hatte er sich doch, seit 1848 politisch anrüchig, als Fuhrmann verkleidet, in Berlin wieder eingeschlichen, und durfte er dort doch uur bleibe», weil Humboldt sich für ihn verwendete. War ihm so der Schonplatz des wirklichen Lebens verschlossen, so wollte er wenig¬ stens in der Scheinwelt der Bühne herrschen. Hier aber mißlang es ihm gänzlich; denn er war Alles, nur kein Dichter. Er reichte unter fremdem Namen bei der Intendanz der königlichen Schauspiele ein historisches Drama „Franz von Sickingen" ein, und dasselbe wurde zurückgewiesen, und zwar mit vollem Rechte. Allerdings zeigt das Stück große und tiefe Gedanken, und eine hinreißende nationale Leidenschaft pulsirt in seinen Auftritten, aber von irgend welcher Kenntniß und Berücksichtigung der Lebensbedingungen der Bühne

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/448>, abgerufen am 01.07.2024.