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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Tarifbüchern der Stationen die Frachten angegeben sind, resp, sich leicht aus
diesen bestimmen lassen, da die Klassifikation eine einheitliche ist.

Man sieht also hier, daß es sehr wohl möglich ist, neben und trotz einer
einheitlichen Klassifikation die ausgedehnteste Freiheit in der Einstellung von
Ansnahmetarifen zu gestatten. Ja letztere sind geradezu ein Bedürfniß für
den Groß- und Masseuhcmdel und durchaus nicht unangenehm fühlbar, wenn
auch bei ihnen die Tarifanwendung einheitlich geregelt ist. Der Kleinhandel,
welcher nur in gewissen Zeiten periodisch die Bahnen benutzt, bedarf einer auf
längere Zeiten hinaus bestimmten Einheitlichkeit in den Tarifen, weil er mit
den Bahnen nicht in beständiger Verbindung steht. Der Großhandel dagegen
verlangt Rücksichtnahme ans die jeweiligen Handelskonjunkturen und sofortige
Nachfolge der Tarife je nach dem Stande der Konjunkturen. Die schnellen
Wechsel, welche dadurch in den Tarifen hervortreten können, find ihm nicht
lästig und unverständlich, sondern von ihm selbst gewollt, und er hat von
ihnen genaue Kenntniß, weil er in beständigem regsten Verkehr mit den Eisen¬
bahnen bleibt.

Aber natürlich sind die vielfachen Wechselbeziehungen zwischen Handel
und Eisenbahutarifen nur möglich, wenn diese Tarife von Leuten bestimmt
werden, welche hierüber spezielle Fachkenntnisse besitzen, welche gleichzeitig den
Bewegungen des Handels zu folgen vermögen und in ihrem Güterfache groß
geworden sind.

Es wäre daher sehr zu wünschen, wenn auch in Deutschland das kauf¬
männische Element mehr Einfluß auf die Eisenbahuverlvaltung gewänne. Ver¬
suche und Anfänge sind ja bereits gemacht, aber freilich müßte als erste Be¬
dingung die Forderung aufgestellt werden, daß diese Elemente in ihrer allge¬
meinen Bildung den übrigen höhern Beamten vollständig gleichstünden, denn
mit vollem Rechte wird in Deutschland diese allgemeine Bildung mindestens
ebensosehr geschätzt als genügende Fachkenntnisse.

Wenn also in England bei der allergrößten Vielgestaltigkeit der Eisen¬
bahnverhältnisse, trotz der schrankenlosen Konkurrenz, welche sich die Eisenbahnen
machen, ein vollständig genügendes Maß an Einheitlichkeit der Tarifklassifika¬
tionen, neben der unbeschränktesten Freiheit zur Einstellung vou Ansnahme-
tarifeu, bereits seit langer Zeit durchgeführt ist und wesentlich mit zur Blüthe
des englischen Handels beigetragen hat, so ist es ans den ersten Blick um so
weniger begreiflich, warum wir in Deutschland nicht auch schon längst das¬
selbe und mehr erreicht haben, in einem Lande, wo die Eisenbahnen vielmehr
als dein Gemeinwohl dienende öffentliche Verkehrsanstalten betrachtet werden
als in England. Und sicherlich kann doch diese deutsche Auffassung einer ein¬
heitlichen Regelung der Tarife uur günstig sein.


Tarifbüchern der Stationen die Frachten angegeben sind, resp, sich leicht aus
diesen bestimmen lassen, da die Klassifikation eine einheitliche ist.

Man sieht also hier, daß es sehr wohl möglich ist, neben und trotz einer
einheitlichen Klassifikation die ausgedehnteste Freiheit in der Einstellung von
Ansnahmetarifen zu gestatten. Ja letztere sind geradezu ein Bedürfniß für
den Groß- und Masseuhcmdel und durchaus nicht unangenehm fühlbar, wenn
auch bei ihnen die Tarifanwendung einheitlich geregelt ist. Der Kleinhandel,
welcher nur in gewissen Zeiten periodisch die Bahnen benutzt, bedarf einer auf
längere Zeiten hinaus bestimmten Einheitlichkeit in den Tarifen, weil er mit
den Bahnen nicht in beständiger Verbindung steht. Der Großhandel dagegen
verlangt Rücksichtnahme ans die jeweiligen Handelskonjunkturen und sofortige
Nachfolge der Tarife je nach dem Stande der Konjunkturen. Die schnellen
Wechsel, welche dadurch in den Tarifen hervortreten können, find ihm nicht
lästig und unverständlich, sondern von ihm selbst gewollt, und er hat von
ihnen genaue Kenntniß, weil er in beständigem regsten Verkehr mit den Eisen¬
bahnen bleibt.

Aber natürlich sind die vielfachen Wechselbeziehungen zwischen Handel
und Eisenbahutarifen nur möglich, wenn diese Tarife von Leuten bestimmt
werden, welche hierüber spezielle Fachkenntnisse besitzen, welche gleichzeitig den
Bewegungen des Handels zu folgen vermögen und in ihrem Güterfache groß
geworden sind.

Es wäre daher sehr zu wünschen, wenn auch in Deutschland das kauf¬
männische Element mehr Einfluß auf die Eisenbahuverlvaltung gewänne. Ver¬
suche und Anfänge sind ja bereits gemacht, aber freilich müßte als erste Be¬
dingung die Forderung aufgestellt werden, daß diese Elemente in ihrer allge¬
meinen Bildung den übrigen höhern Beamten vollständig gleichstünden, denn
mit vollem Rechte wird in Deutschland diese allgemeine Bildung mindestens
ebensosehr geschätzt als genügende Fachkenntnisse.

Wenn also in England bei der allergrößten Vielgestaltigkeit der Eisen¬
bahnverhältnisse, trotz der schrankenlosen Konkurrenz, welche sich die Eisenbahnen
machen, ein vollständig genügendes Maß an Einheitlichkeit der Tarifklassifika¬
tionen, neben der unbeschränktesten Freiheit zur Einstellung vou Ansnahme-
tarifeu, bereits seit langer Zeit durchgeführt ist und wesentlich mit zur Blüthe
des englischen Handels beigetragen hat, so ist es ans den ersten Blick um so
weniger begreiflich, warum wir in Deutschland nicht auch schon längst das¬
selbe und mehr erreicht haben, in einem Lande, wo die Eisenbahnen vielmehr
als dein Gemeinwohl dienende öffentliche Verkehrsanstalten betrachtet werden
als in England. Und sicherlich kann doch diese deutsche Auffassung einer ein¬
heitlichen Regelung der Tarife uur günstig sein.


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[0433] Tarifbüchern der Stationen die Frachten angegeben sind, resp, sich leicht aus diesen bestimmen lassen, da die Klassifikation eine einheitliche ist. Man sieht also hier, daß es sehr wohl möglich ist, neben und trotz einer einheitlichen Klassifikation die ausgedehnteste Freiheit in der Einstellung von Ansnahmetarifen zu gestatten. Ja letztere sind geradezu ein Bedürfniß für den Groß- und Masseuhcmdel und durchaus nicht unangenehm fühlbar, wenn auch bei ihnen die Tarifanwendung einheitlich geregelt ist. Der Kleinhandel, welcher nur in gewissen Zeiten periodisch die Bahnen benutzt, bedarf einer auf längere Zeiten hinaus bestimmten Einheitlichkeit in den Tarifen, weil er mit den Bahnen nicht in beständiger Verbindung steht. Der Großhandel dagegen verlangt Rücksichtnahme ans die jeweiligen Handelskonjunkturen und sofortige Nachfolge der Tarife je nach dem Stande der Konjunkturen. Die schnellen Wechsel, welche dadurch in den Tarifen hervortreten können, find ihm nicht lästig und unverständlich, sondern von ihm selbst gewollt, und er hat von ihnen genaue Kenntniß, weil er in beständigem regsten Verkehr mit den Eisen¬ bahnen bleibt. Aber natürlich sind die vielfachen Wechselbeziehungen zwischen Handel und Eisenbahutarifen nur möglich, wenn diese Tarife von Leuten bestimmt werden, welche hierüber spezielle Fachkenntnisse besitzen, welche gleichzeitig den Bewegungen des Handels zu folgen vermögen und in ihrem Güterfache groß geworden sind. Es wäre daher sehr zu wünschen, wenn auch in Deutschland das kauf¬ männische Element mehr Einfluß auf die Eisenbahuverlvaltung gewänne. Ver¬ suche und Anfänge sind ja bereits gemacht, aber freilich müßte als erste Be¬ dingung die Forderung aufgestellt werden, daß diese Elemente in ihrer allge¬ meinen Bildung den übrigen höhern Beamten vollständig gleichstünden, denn mit vollem Rechte wird in Deutschland diese allgemeine Bildung mindestens ebensosehr geschätzt als genügende Fachkenntnisse. Wenn also in England bei der allergrößten Vielgestaltigkeit der Eisen¬ bahnverhältnisse, trotz der schrankenlosen Konkurrenz, welche sich die Eisenbahnen machen, ein vollständig genügendes Maß an Einheitlichkeit der Tarifklassifika¬ tionen, neben der unbeschränktesten Freiheit zur Einstellung vou Ansnahme- tarifeu, bereits seit langer Zeit durchgeführt ist und wesentlich mit zur Blüthe des englischen Handels beigetragen hat, so ist es ans den ersten Blick um so weniger begreiflich, warum wir in Deutschland nicht auch schon längst das¬ selbe und mehr erreicht haben, in einem Lande, wo die Eisenbahnen vielmehr als dein Gemeinwohl dienende öffentliche Verkehrsanstalten betrachtet werden als in England. Und sicherlich kann doch diese deutsche Auffassung einer ein¬ heitlichen Regelung der Tarife uur günstig sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/433>, abgerufen am 01.07.2024.