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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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allerdings einmaliges Ansteigen nothwenig wird. Angenommen nun, jener
Zug wäre in Rücksicht auf den Lvkalverkehr entbehrlich -- und das ist er
thatsächlich --, so wird wegen 3'/z Personen täglich ein Zug 8 Meilen weit
mit Schnellzugsgeschwindigkeit gefahren. Ein derartiger Zug verursacht jähr¬
lich ca. 50,000 Mark Kosten, sodaß jeder Reisende pro täglichen Zug die
Bahn 40 Mark kostet, währeud er uur 4 Mark bezahlt. Was sagt da der
Volkswirth hierzu? Sind das nicht schreiende Mißstände, oder vertheidigt auch
solchen Umständen gegenüber irgend ein Reporter noch den beinahe zum Glaubens¬
satz der deutschen Presse erhobenen Grundsatz, daß das den bösen Aktionären
und Verwaltungsräthen, seinen "Blutsaugern" ganz recht geschehe, wenn sie
noch Etwas drauf legen müßten, damit Personen nach ihrem eigenen
Kopf bequem fahren könnten?

Der sechste Punkt, die Reduktion der Wagenklassen, ist in letzter Zeit so
wiederholt in Erwägung gezogen worden, daß wohl anzunehmen ist, es werde
bald versuchsweise damit vorgegangen werden. Bekanntlich haben die meisten
deutschen Eisenbahnen 4 Wagenklassen. Die I. Klasse besitzt eine Ausstattung,
wie sie weder in England, Frankreich noch Belgien bekannt ist. Die II. Klasse
in ihrer norddeutschen Eleganz entspricht durchaus der I. Klasse der eben ge¬
nannten Länder, die III. Klasse ist ziemlich überall gleich, und die IV. Klasse
ist mit wenigen Ausnahmen auch nur in Deutschland heimisch.

Man beseitige nun die übermäßig fein ausgestattete I. Klasse, erhebe die
II. mit norddeutscher Ausstattung zur I., die III. zur II. und die IV. zur III.
so werden sich sofort erhebliche Ersparnisse und größere Einnahmen erzielen
lassen. Es seien hier zur nähern Erläuterung dieser Forderung einige Zahlen
aufgeführt.

Im Jahre 1875 betrug die Zahl der sämmtlichen Reisenden I. Klasse
1^/2^/0 der Reisenden überhaupt, währeud die spezifische Personenfrequenz, d. h.
die Zahl der Personen und der von denselben zurückgelegten Strecke in I. Klasse
3,I"/o betrug. Die Einnahmen beliefen sich auf 7,2°/g der Persvneneinnahmen,
wogegen der Raum der I. Klasse in den Zügen mit 10°/<> nicht zu hoch be¬
messen ist und die Unterhaltungskosten sich auf etwa 25°/" der sämmtlichen
Unterhaltungskosten für Personenwagen belaufen. Hieraus ergibt sich, daß
durch den Fortfall der I. Klasse die Eisenbahn sofort erhebliche Ersparnisse
machen könnte, denn die Passagiere dieser Klasse gehen der Bahn nicht verloren,
sie werden sich einfach der jetzigen II. Klasse bedienen, und wenn sie unter
allen Umständen allein zu reisen wünschen -- was sie übrigens anch in der
I. Klasse keineswegs garantirt bekommen können --, so werden sie sich ein
Halb- oder Ganzeonpe' miethen. Ein Bedürfniß zu eiuer I. Klasse ist
nirgends vorhanden, denn zwischen den gebildeten Kreisen, die sich II. und


allerdings einmaliges Ansteigen nothwenig wird. Angenommen nun, jener
Zug wäre in Rücksicht auf den Lvkalverkehr entbehrlich — und das ist er
thatsächlich —, so wird wegen 3'/z Personen täglich ein Zug 8 Meilen weit
mit Schnellzugsgeschwindigkeit gefahren. Ein derartiger Zug verursacht jähr¬
lich ca. 50,000 Mark Kosten, sodaß jeder Reisende pro täglichen Zug die
Bahn 40 Mark kostet, währeud er uur 4 Mark bezahlt. Was sagt da der
Volkswirth hierzu? Sind das nicht schreiende Mißstände, oder vertheidigt auch
solchen Umständen gegenüber irgend ein Reporter noch den beinahe zum Glaubens¬
satz der deutschen Presse erhobenen Grundsatz, daß das den bösen Aktionären
und Verwaltungsräthen, seinen „Blutsaugern" ganz recht geschehe, wenn sie
noch Etwas drauf legen müßten, damit Personen nach ihrem eigenen
Kopf bequem fahren könnten?

Der sechste Punkt, die Reduktion der Wagenklassen, ist in letzter Zeit so
wiederholt in Erwägung gezogen worden, daß wohl anzunehmen ist, es werde
bald versuchsweise damit vorgegangen werden. Bekanntlich haben die meisten
deutschen Eisenbahnen 4 Wagenklassen. Die I. Klasse besitzt eine Ausstattung,
wie sie weder in England, Frankreich noch Belgien bekannt ist. Die II. Klasse
in ihrer norddeutschen Eleganz entspricht durchaus der I. Klasse der eben ge¬
nannten Länder, die III. Klasse ist ziemlich überall gleich, und die IV. Klasse
ist mit wenigen Ausnahmen auch nur in Deutschland heimisch.

Man beseitige nun die übermäßig fein ausgestattete I. Klasse, erhebe die
II. mit norddeutscher Ausstattung zur I., die III. zur II. und die IV. zur III.
so werden sich sofort erhebliche Ersparnisse und größere Einnahmen erzielen
lassen. Es seien hier zur nähern Erläuterung dieser Forderung einige Zahlen
aufgeführt.

Im Jahre 1875 betrug die Zahl der sämmtlichen Reisenden I. Klasse
1^/2^/0 der Reisenden überhaupt, währeud die spezifische Personenfrequenz, d. h.
die Zahl der Personen und der von denselben zurückgelegten Strecke in I. Klasse
3,I"/o betrug. Die Einnahmen beliefen sich auf 7,2°/g der Persvneneinnahmen,
wogegen der Raum der I. Klasse in den Zügen mit 10°/<> nicht zu hoch be¬
messen ist und die Unterhaltungskosten sich auf etwa 25°/« der sämmtlichen
Unterhaltungskosten für Personenwagen belaufen. Hieraus ergibt sich, daß
durch den Fortfall der I. Klasse die Eisenbahn sofort erhebliche Ersparnisse
machen könnte, denn die Passagiere dieser Klasse gehen der Bahn nicht verloren,
sie werden sich einfach der jetzigen II. Klasse bedienen, und wenn sie unter
allen Umständen allein zu reisen wünschen — was sie übrigens anch in der
I. Klasse keineswegs garantirt bekommen können —, so werden sie sich ein
Halb- oder Ganzeonpe' miethen. Ein Bedürfniß zu eiuer I. Klasse ist
nirgends vorhanden, denn zwischen den gebildeten Kreisen, die sich II. und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/394>, abgerufen am 28.09.2024.