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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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befördern, ja um diesen vielfach mit Aushändigung des Personenbillets ge¬
radezu ein Geschenk zu machen, beseitigt werden kann. Das jetzige Verhältniß
ist volkswirtschaftlich durchaus schädlich und muß beseitigt werden.

Fragen wir nun nach den Mitteln zur Besserung, so ergeben sich vor
allen Dingen folgende Punkte:

1) Beseitigung des Privilegiums der Post ans unentgeltliche Beförderung.
2) Aenderung der Tarifbestimmnngen unter Beibehalt der jetzigen Tarif¬
sätze im Allgemeinen.
3) Beseitigung des Freigepäcks und damit zusammenhängend
4) Hebung des Lokalverkehrs, sowie
5) Neunormirung resp. Rednzirung der einen und Vermehrung der
andern Personenzugzahl.
6) Reduzirung der Wagenklassen.

Was den ersten Punkt anbetrifft, so sind bereits in der vorigen Nummer
die hier einschlagenden Verhältnisse dargelegt. Die Post absorbirt in den
schnellsten und theuersten Zügen circa ^ des Raumes und der Zugkraft, sie
nützt gleicherweise die Schienen :c. mit einem Sechstel der dem Personenver¬
kehr entsprechenden Abnutzung ab, und sehr häufig gestalten sich diese Verhält¬
nisse für die Eisenbahnen noch wesentlich ungünstiger dadurch, daß wegen des
einen Postwagens, der unentgeltlich mitgeschleppt werden muß, eine zweite
Lokomotive nothwendig wird. Bei den meisten der deutschen Hauptbahnen
kommen Steigungen von 1:100 auf längere Strecken vor, auf denen bei
Schnellzugsgeschwindigkeit eine Lokomotive nicht mehr als ca. 6 Wagen zu
ziehen vermag; wird nun eine Verstärkung des Zuges wegen der Personen-
frequenz auch nur um eiuen Wagen nothwendig, so muß eine Vorspcmu-
maschine vor den Zug gesetzt werden, während dies ohne den im Zuge laufenden
Postwagen nicht nothwendig wäre. In diesen durchaus nicht seltenen Fällen
fällt also auf den betreffenden Postwagen als Beitrag zu den vermehrten Zug¬
kosten wesentlich mehr als ^/", es wird aber weder dieser Beitrag noch über¬
haupt irgend welche Vergütung für die Beförderung auf den Schienen gewährt.

Diese Gratisleistungen der Eisenbahnen sind natürlich sehr schwer mit Ge¬
nauigkeit in Geldsummen auszudrücken, sie sind aber, niedrig gegriffen, auf
etwa 20 Millionen Mark von verschiedenen Eisenbahnfachmännern veranschlagt,
und diese überschlägige Berechnung ist bis jetzt auch uoch nicht angezweifelt
worden. Schlägt man aber diese 20 Millionen zu den jetzigen Einnahmen
aus dem Personenverkehr hinzu, so reduzirt sich schon der oben angegebene
Prozentsatz von 55"/<j, um welchen diese Einnahmen zu steigern sind, damit sie
in gleichem Verhältniß zur Verzinsung des Anlagekapitals beitragen wie die¬
jenigen ans dem Güterverkehr, auf einige dreißig, sodaß die oben unter 2--6


befördern, ja um diesen vielfach mit Aushändigung des Personenbillets ge¬
radezu ein Geschenk zu machen, beseitigt werden kann. Das jetzige Verhältniß
ist volkswirtschaftlich durchaus schädlich und muß beseitigt werden.

Fragen wir nun nach den Mitteln zur Besserung, so ergeben sich vor
allen Dingen folgende Punkte:

1) Beseitigung des Privilegiums der Post ans unentgeltliche Beförderung.
2) Aenderung der Tarifbestimmnngen unter Beibehalt der jetzigen Tarif¬
sätze im Allgemeinen.
3) Beseitigung des Freigepäcks und damit zusammenhängend
4) Hebung des Lokalverkehrs, sowie
5) Neunormirung resp. Rednzirung der einen und Vermehrung der
andern Personenzugzahl.
6) Reduzirung der Wagenklassen.

Was den ersten Punkt anbetrifft, so sind bereits in der vorigen Nummer
die hier einschlagenden Verhältnisse dargelegt. Die Post absorbirt in den
schnellsten und theuersten Zügen circa ^ des Raumes und der Zugkraft, sie
nützt gleicherweise die Schienen :c. mit einem Sechstel der dem Personenver¬
kehr entsprechenden Abnutzung ab, und sehr häufig gestalten sich diese Verhält¬
nisse für die Eisenbahnen noch wesentlich ungünstiger dadurch, daß wegen des
einen Postwagens, der unentgeltlich mitgeschleppt werden muß, eine zweite
Lokomotive nothwendig wird. Bei den meisten der deutschen Hauptbahnen
kommen Steigungen von 1:100 auf längere Strecken vor, auf denen bei
Schnellzugsgeschwindigkeit eine Lokomotive nicht mehr als ca. 6 Wagen zu
ziehen vermag; wird nun eine Verstärkung des Zuges wegen der Personen-
frequenz auch nur um eiuen Wagen nothwendig, so muß eine Vorspcmu-
maschine vor den Zug gesetzt werden, während dies ohne den im Zuge laufenden
Postwagen nicht nothwendig wäre. In diesen durchaus nicht seltenen Fällen
fällt also auf den betreffenden Postwagen als Beitrag zu den vermehrten Zug¬
kosten wesentlich mehr als ^/«, es wird aber weder dieser Beitrag noch über¬
haupt irgend welche Vergütung für die Beförderung auf den Schienen gewährt.

Diese Gratisleistungen der Eisenbahnen sind natürlich sehr schwer mit Ge¬
nauigkeit in Geldsummen auszudrücken, sie sind aber, niedrig gegriffen, auf
etwa 20 Millionen Mark von verschiedenen Eisenbahnfachmännern veranschlagt,
und diese überschlägige Berechnung ist bis jetzt auch uoch nicht angezweifelt
worden. Schlägt man aber diese 20 Millionen zu den jetzigen Einnahmen
aus dem Personenverkehr hinzu, so reduzirt sich schon der oben angegebene
Prozentsatz von 55«/<j, um welchen diese Einnahmen zu steigern sind, damit sie
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jenigen ans dem Güterverkehr, auf einige dreißig, sodaß die oben unter 2—6


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[0384] befördern, ja um diesen vielfach mit Aushändigung des Personenbillets ge¬ radezu ein Geschenk zu machen, beseitigt werden kann. Das jetzige Verhältniß ist volkswirtschaftlich durchaus schädlich und muß beseitigt werden. Fragen wir nun nach den Mitteln zur Besserung, so ergeben sich vor allen Dingen folgende Punkte: 1) Beseitigung des Privilegiums der Post ans unentgeltliche Beförderung. 2) Aenderung der Tarifbestimmnngen unter Beibehalt der jetzigen Tarif¬ sätze im Allgemeinen. 3) Beseitigung des Freigepäcks und damit zusammenhängend 4) Hebung des Lokalverkehrs, sowie 5) Neunormirung resp. Rednzirung der einen und Vermehrung der andern Personenzugzahl. 6) Reduzirung der Wagenklassen. Was den ersten Punkt anbetrifft, so sind bereits in der vorigen Nummer die hier einschlagenden Verhältnisse dargelegt. Die Post absorbirt in den schnellsten und theuersten Zügen circa ^ des Raumes und der Zugkraft, sie nützt gleicherweise die Schienen :c. mit einem Sechstel der dem Personenver¬ kehr entsprechenden Abnutzung ab, und sehr häufig gestalten sich diese Verhält¬ nisse für die Eisenbahnen noch wesentlich ungünstiger dadurch, daß wegen des einen Postwagens, der unentgeltlich mitgeschleppt werden muß, eine zweite Lokomotive nothwendig wird. Bei den meisten der deutschen Hauptbahnen kommen Steigungen von 1:100 auf längere Strecken vor, auf denen bei Schnellzugsgeschwindigkeit eine Lokomotive nicht mehr als ca. 6 Wagen zu ziehen vermag; wird nun eine Verstärkung des Zuges wegen der Personen- frequenz auch nur um eiuen Wagen nothwendig, so muß eine Vorspcmu- maschine vor den Zug gesetzt werden, während dies ohne den im Zuge laufenden Postwagen nicht nothwendig wäre. In diesen durchaus nicht seltenen Fällen fällt also auf den betreffenden Postwagen als Beitrag zu den vermehrten Zug¬ kosten wesentlich mehr als ^/«, es wird aber weder dieser Beitrag noch über¬ haupt irgend welche Vergütung für die Beförderung auf den Schienen gewährt. Diese Gratisleistungen der Eisenbahnen sind natürlich sehr schwer mit Ge¬ nauigkeit in Geldsummen auszudrücken, sie sind aber, niedrig gegriffen, auf etwa 20 Millionen Mark von verschiedenen Eisenbahnfachmännern veranschlagt, und diese überschlägige Berechnung ist bis jetzt auch uoch nicht angezweifelt worden. Schlägt man aber diese 20 Millionen zu den jetzigen Einnahmen aus dem Personenverkehr hinzu, so reduzirt sich schon der oben angegebene Prozentsatz von 55«/<j, um welchen diese Einnahmen zu steigern sind, damit sie in gleichem Verhältniß zur Verzinsung des Anlagekapitals beitragen wie die¬ jenigen ans dem Güterverkehr, auf einige dreißig, sodaß die oben unter 2—6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/384>, abgerufen am 25.08.2024.