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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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schreiben: "ein ausgezeichneter Krieger an Muth" oder "die bethaute Rose am
Morgen" oder "die ermuthigter Reihen zum Kampfe", und es bleibt falsch,
auch wenn wir bei Lessing Wortverbindungen wie "mit gestütztem Haupte auf
die rechte Hand" oder bei Grimm (dessen von einer gewissen Klique vielge¬
lobter "Musterstil" uns überhaupt nie behagt hat) Wendungen wie "mit rück¬
kehrenden Tieftone auf den Bildungsvokal" oder "aus dem verzerrten Bilde
ewiger Jugend des Eros' in eine Kindergestalt" begegnen. Hiemit verwandte
Sprachsünden sind Ausdrücke wie: "Der furchtsame Knabe vor der Strafe",
"reiche Männer an Gold", "die Armen am Geiste", die Anrede der Gemeinde
von Seiten des Predigers: "Geliebte in dem Herrn", ferner das Luther'sehe
"Alls die bestimmte Zeit vom Vater", das Klopstock'sche "segnet dem fliehenden
Geist in die Gefilde nach, (das Richtige ist: segnet dein in die Gefilde
fliehenden Geiste nach) das Goethe'sche "Die Bezauberten vom Rausche" und
das Wieland'sche "Ein Verlassener von Allem, was er liebt", endlich Zusammen¬
setzungen wie "die Neidischen auf den Reichthum", "der Kranke an der Gicht",
"der Blinde vor Leidenschaft", "ein Uebersetzer in neuere Sprachen" (Lessing),
"Theilnehmer am Geschick" (Goethe), "der Kläger auf Schadenersatz" und --
wir geben aus der Fülle von Beispielen, die der Verfasser bringt, immer nur
Einiges -- "ein Dichter an den Frühling."

Es gibt für das Deutsche ein Gesetz, nach welchem das begleitende Ad¬
jektiv oder adjektivische Partizip, mag es vor oder nach dem Kompositum stehen,
niemals allein auf das Bestimmungswort bezogen werden darf, sondern zu¬
nächst auf das Grundwort (in Hausschlüssel z. B. auf Schlüssel, in Strumpf¬
wirker auf Wirker, in Bierhaus auf Haus) und durch dasselbe dann auch auf
das ganze Kompositum zu beziehen ist. Dieses Gesetz wird aber außerordent¬
lich oft unbeachtet gelassen und Zeitnngsskribenten und Annoncenfabrikanten
leisten dabei Lächerlichkeiten, die kaum glaublich sind. Beispiele sind: ein
blasender (musikalischer) Instrumentmacher, ein gebackener und frischer Obst¬
händler, ein kurzer Waarenhändler, ein roher Eisenhändler, ferner die Albern¬
heiten: die reitende Artilleriekaserne, die unverheirathete Jnspektorwohnung,
die berittue Gendarmenordre, endlich Sprachungethüme wie ein flottes Ver¬
käuferstellengesuch, der doppelte Buchhaltungskandidat und eine verfaulte
Apfelsinenverkäuferin. Auch die unverheirathete Gärtnerstelle, die päpstlichen
Stuhltruppen und der delikate Speisewirth, mit denen unser Sammler uns
bekannt macht, sind nicht übel. Man glaube aber nicht, daß solche Böcke in
höheren Kreisen nicht vorkommen, sie springen im Gegentheil selbst in gelehrten
Sphären, wo es mit Stil und Grammatik überhaupt oft herzlich schlecht be¬
stellt ist, ganz ungenirt in Scharen herum. Es schlägt Einen nicht so in die
Augen und erschüttert das Zwerchfell nicht so heftig, aber es ist ganz ebenso


schreiben: „ein ausgezeichneter Krieger an Muth" oder „die bethaute Rose am
Morgen" oder „die ermuthigter Reihen zum Kampfe", und es bleibt falsch,
auch wenn wir bei Lessing Wortverbindungen wie „mit gestütztem Haupte auf
die rechte Hand" oder bei Grimm (dessen von einer gewissen Klique vielge¬
lobter „Musterstil" uns überhaupt nie behagt hat) Wendungen wie „mit rück¬
kehrenden Tieftone auf den Bildungsvokal" oder „aus dem verzerrten Bilde
ewiger Jugend des Eros' in eine Kindergestalt" begegnen. Hiemit verwandte
Sprachsünden sind Ausdrücke wie: „Der furchtsame Knabe vor der Strafe",
„reiche Männer an Gold", „die Armen am Geiste", die Anrede der Gemeinde
von Seiten des Predigers: „Geliebte in dem Herrn", ferner das Luther'sehe
„Alls die bestimmte Zeit vom Vater", das Klopstock'sche „segnet dem fliehenden
Geist in die Gefilde nach, (das Richtige ist: segnet dein in die Gefilde
fliehenden Geiste nach) das Goethe'sche „Die Bezauberten vom Rausche" und
das Wieland'sche „Ein Verlassener von Allem, was er liebt", endlich Zusammen¬
setzungen wie „die Neidischen auf den Reichthum", „der Kranke an der Gicht",
„der Blinde vor Leidenschaft", „ein Uebersetzer in neuere Sprachen" (Lessing),
„Theilnehmer am Geschick" (Goethe), „der Kläger auf Schadenersatz" und —
wir geben aus der Fülle von Beispielen, die der Verfasser bringt, immer nur
Einiges — „ein Dichter an den Frühling."

Es gibt für das Deutsche ein Gesetz, nach welchem das begleitende Ad¬
jektiv oder adjektivische Partizip, mag es vor oder nach dem Kompositum stehen,
niemals allein auf das Bestimmungswort bezogen werden darf, sondern zu¬
nächst auf das Grundwort (in Hausschlüssel z. B. auf Schlüssel, in Strumpf¬
wirker auf Wirker, in Bierhaus auf Haus) und durch dasselbe dann auch auf
das ganze Kompositum zu beziehen ist. Dieses Gesetz wird aber außerordent¬
lich oft unbeachtet gelassen und Zeitnngsskribenten und Annoncenfabrikanten
leisten dabei Lächerlichkeiten, die kaum glaublich sind. Beispiele sind: ein
blasender (musikalischer) Instrumentmacher, ein gebackener und frischer Obst¬
händler, ein kurzer Waarenhändler, ein roher Eisenhändler, ferner die Albern¬
heiten: die reitende Artilleriekaserne, die unverheirathete Jnspektorwohnung,
die berittue Gendarmenordre, endlich Sprachungethüme wie ein flottes Ver¬
käuferstellengesuch, der doppelte Buchhaltungskandidat und eine verfaulte
Apfelsinenverkäuferin. Auch die unverheirathete Gärtnerstelle, die päpstlichen
Stuhltruppen und der delikate Speisewirth, mit denen unser Sammler uns
bekannt macht, sind nicht übel. Man glaube aber nicht, daß solche Böcke in
höheren Kreisen nicht vorkommen, sie springen im Gegentheil selbst in gelehrten
Sphären, wo es mit Stil und Grammatik überhaupt oft herzlich schlecht be¬
stellt ist, ganz ungenirt in Scharen herum. Es schlägt Einen nicht so in die
Augen und erschüttert das Zwerchfell nicht so heftig, aber es ist ganz ebenso


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/352>, abgerufen am 23.07.2024.