Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.werden, wodurch jene Picaden oder Linhas (Schmißen oder Linien) entstanden, Infolge von politischen Zuständen trat um die Mitte der dreißiger Jahre Ein großes Hinderniß für die Fortentwickelung von S. Leopoldo lag An dem politischen Leben der neuen Heimath nahmen die Deutschen zu So wurde, zumal da die Ueberfahrt jetzt durch Dampfer erleichtert war werden, wodurch jene Picaden oder Linhas (Schmißen oder Linien) entstanden, Infolge von politischen Zuständen trat um die Mitte der dreißiger Jahre Ein großes Hinderniß für die Fortentwickelung von S. Leopoldo lag An dem politischen Leben der neuen Heimath nahmen die Deutschen zu So wurde, zumal da die Ueberfahrt jetzt durch Dampfer erleichtert war <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138020"/> <p xml:id="ID_911" prev="#ID_910"> werden, wodurch jene Picaden oder Linhas (Schmißen oder Linien) entstanden,<lb/> die sich jetzt bis an den Fuß der Serra (des Hochgebirges) erstrecken. Meist<lb/> waren es Deutsche aus Mecklenburg, Pommern, Westfalen, Rheinpreußeu, aus<lb/> dem Kurfürstenthum Hessen und vorzüglich aus dem Fürstenthum Birkenfeld,<lb/> welche sich hier eine neue Heimath gründeten.</p><lb/> <p xml:id="ID_912"> Infolge von politischen Zuständen trat um die Mitte der dreißiger Jahre<lb/> in der Entwickelung der deutschen Kolonie in und bei S. Leopolds eine fast<lb/> zehnjährige Stockung ein, in der jedoch der einmal vorhandene Stamm von<lb/> Ansiedlern um so fester Fuß faßte. Die in die gleiche Zeit fallenden häufigen<lb/> Einfälle wilder Jndianerstämme hinderten die Kolonisten, sich weiter auszubreiten,<lb/> förderten aber den Zusammenschluß derselben und die Begründung eines eigent¬<lb/> lichen Gemeinwesens, und zwar um so mehr, als die Leute, die bis dahin von einem<lb/> Direktor geleitet und berathen worden, sich jetzt fast ganz selbst überlassen blieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_913"> Ein großes Hinderniß für die Fortentwickelung von S. Leopoldo lag<lb/> darin, daß es von der Regierung aus Mangel an Geld und Leuten unterlassen<lb/> wurde, die einzelnen Parzellen der Kolonisten gehörig vermessen und abgrenzen<lb/> zu lassen. Unzählige Prozesse, Streitereien und Plackereien, die aus dieser<lb/> Versüumniß entstanden, trugen eben nicht dazu bei, günstig auf die Meinung,<lb/> die mau in Deutschland über Brasilien hegte, einzuwirken. Erst nach langen<lb/> Jahren hatte die Behörde ein Einsehen und suchte mit ungeheuren Geldopfern<lb/> den begangenen Fehler wieder gutzumachen.</p><lb/> <p xml:id="ID_914"> An dem politischen Leben der neuen Heimath nahmen die Deutschen zu<lb/> Anfang nur geringen Antheil. Allmählich aber wirkten die republikanischen<lb/> Ideen der Nachbarstaaten auf sie ein, und so sand die Revolution von 1834<lb/> unter ihnen viele Freunde. Dieselbe nahm eine gefährliche Ausdehnung an<lb/> und drohte durch ihre neunjährige Dauer die Kolonie zu Grunde zu richten.<lb/> Einmal in den politischen Strudel mit hineingerissen, ergriffen die Deutschen<lb/> theils für die Regierung, theils für die Rebellen Partei, und ältere Bewohner<lb/> von S. Leopoldo wissen noch viel zu erzählen von der unerhörten Hartnäckig¬<lb/> keit und wilden Tapferkeit, womit die Kolonisten auf beiden Seiten in diesem soge¬<lb/> nannten „Farappenkriege" fochten. Seit dieser Zeit konnte man in Rio de<lb/> Janeiro eine gewisse Besorgniß wegen der Anhäufung so vieler Ausländer an<lb/> einer Stelle nicht unterdrücken, und als die Zahl der Kolonisten um 1855<lb/> auf 12,000 angewachsen war, suchte man die neuen Ankömmlinge in entfernteren<lb/> Gegenden anzusiedeln, ja man hätte unsre Landsleute am Liebsten gar nicht<lb/> wehr aufgenommen und andere Nationalitäten zur Einwanderung vermocht,<lb/> wenn nicht erwiesenermaßen die Deutschen sich allein der Aufgabe der Koloni-<lb/> sirung gewachsen gezeigt hätten.</p><lb/> <p xml:id="ID_915" next="#ID_916"> So wurde, zumal da die Ueberfahrt jetzt durch Dampfer erleichtert war</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
werden, wodurch jene Picaden oder Linhas (Schmißen oder Linien) entstanden,
die sich jetzt bis an den Fuß der Serra (des Hochgebirges) erstrecken. Meist
waren es Deutsche aus Mecklenburg, Pommern, Westfalen, Rheinpreußeu, aus
dem Kurfürstenthum Hessen und vorzüglich aus dem Fürstenthum Birkenfeld,
welche sich hier eine neue Heimath gründeten.
Infolge von politischen Zuständen trat um die Mitte der dreißiger Jahre
in der Entwickelung der deutschen Kolonie in und bei S. Leopolds eine fast
zehnjährige Stockung ein, in der jedoch der einmal vorhandene Stamm von
Ansiedlern um so fester Fuß faßte. Die in die gleiche Zeit fallenden häufigen
Einfälle wilder Jndianerstämme hinderten die Kolonisten, sich weiter auszubreiten,
förderten aber den Zusammenschluß derselben und die Begründung eines eigent¬
lichen Gemeinwesens, und zwar um so mehr, als die Leute, die bis dahin von einem
Direktor geleitet und berathen worden, sich jetzt fast ganz selbst überlassen blieben.
Ein großes Hinderniß für die Fortentwickelung von S. Leopoldo lag
darin, daß es von der Regierung aus Mangel an Geld und Leuten unterlassen
wurde, die einzelnen Parzellen der Kolonisten gehörig vermessen und abgrenzen
zu lassen. Unzählige Prozesse, Streitereien und Plackereien, die aus dieser
Versüumniß entstanden, trugen eben nicht dazu bei, günstig auf die Meinung,
die mau in Deutschland über Brasilien hegte, einzuwirken. Erst nach langen
Jahren hatte die Behörde ein Einsehen und suchte mit ungeheuren Geldopfern
den begangenen Fehler wieder gutzumachen.
An dem politischen Leben der neuen Heimath nahmen die Deutschen zu
Anfang nur geringen Antheil. Allmählich aber wirkten die republikanischen
Ideen der Nachbarstaaten auf sie ein, und so sand die Revolution von 1834
unter ihnen viele Freunde. Dieselbe nahm eine gefährliche Ausdehnung an
und drohte durch ihre neunjährige Dauer die Kolonie zu Grunde zu richten.
Einmal in den politischen Strudel mit hineingerissen, ergriffen die Deutschen
theils für die Regierung, theils für die Rebellen Partei, und ältere Bewohner
von S. Leopoldo wissen noch viel zu erzählen von der unerhörten Hartnäckig¬
keit und wilden Tapferkeit, womit die Kolonisten auf beiden Seiten in diesem soge¬
nannten „Farappenkriege" fochten. Seit dieser Zeit konnte man in Rio de
Janeiro eine gewisse Besorgniß wegen der Anhäufung so vieler Ausländer an
einer Stelle nicht unterdrücken, und als die Zahl der Kolonisten um 1855
auf 12,000 angewachsen war, suchte man die neuen Ankömmlinge in entfernteren
Gegenden anzusiedeln, ja man hätte unsre Landsleute am Liebsten gar nicht
wehr aufgenommen und andere Nationalitäten zur Einwanderung vermocht,
wenn nicht erwiesenermaßen die Deutschen sich allein der Aufgabe der Koloni-
sirung gewachsen gezeigt hätten.
So wurde, zumal da die Ueberfahrt jetzt durch Dampfer erleichtert war
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