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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Nur kurz war die Zeit, in welcher ein romantisch-empfindsamer Geschmack
und ein feiner Ton diese Liebesdramen beherrschten. Nach Menander, dessen
von Liebesgeschichten erfüllte Stücke trotzdem noch "keusch und bildend genug
erschienen, um in Knaben- und Mädchenschulen gelesen zu werden", folgten
Dichter, welche einem gröberen Geschmacke zu huldigen genöthigt waren. Es
waren diejenigen, deren Geist und Form uns mehr in den römischen Nach¬
bildungen des Plautus, Terenz, Caecilius als in originalen Resten erhalten
sind und durchaus keine ideale Auffassung der Weiblichkeit oder Achtung der¬
selben mehr zeigen.

Die Menge der bei diesen Dichtern anzutreffenden zu unserm Thema ge¬
hörigen Züge nöthigt zu einer beschränkten Auswahl einiger Aussprüche des
Menander, nach denen man die Anschauung seiner Nachfolger von selber wird
bemessen können. Von ihm rühren die Aussprüche her:


"Daß nimmer ein Bcrstcind'ger doch zur Ehe schritt'!"
-- "Heirathend, wisse, bist du Sklav dein Leben lang."
-- "Auch nicht ein wahres Wort geht von dem Weibe aus."
-- "Wie? Was geheim soll bleiben, sagst du deiner Frau?!"

Einige ähnliche Aussprüche der sogenannten gnomischen Dichter mögen
sich hieran anschließen:


"Heirathe nicht, ich sag's dir, sondern lebe froh."
-- "Mir selbst zum Unheil führt' ich eine Reiche heim."
-- "In einem Stück nur hab' ich Glauben an die Frau:
Daß, einmal todt, sie nimmermehr lebendig wird.
Nichts Andres aber glaub' ich ihr bis an den Tod."

Zum Schluß führe ich nur noch eine charakteristische Schilderung an,
welche der um 260 v. Chr. blühende Jdyllendichter Theokrit von zwei Städte¬
rinnen seiner Zeit gibt, die wir wohl als Typen der damaligen Städterinnen
der Mittelklasse ansehen können.

Der Dichter führt uns zwei Syrakusanerinnen vor, die mit ihren
Männern die weite Seereise nach Alexandria gemacht haben, um der Feier
des Adonisfestes beizuwohnen, welches zur Zeit der Ptolemäer mit verschwende¬
rischer Pracht gefeiert zu werden pflegte. Der Fremdenzufluß in der glanz¬
vollen Königsstadt war dabei ein ungeheurer, und wir finden die beiden Frauen
im lebhaften Gespräch darüber. Gorgo hat soeben auf dem Wege zum Hause
der Freundin das Straßengewühl aus bedenklicher Nähe kennen gelernt und
bricht, nachdem sie sich athemlos in einen Stuhl niedergelassen, in die
Worte aus:


"O, wie bin ich erschöpft! Kaum kam ich gesund ja von bannen,
Praxinoa, bei der Masse des Volks, der Menge der Wagen,
Kriegsvolk allerwärts und langbemäntclte Reiter
Und ein nicht endender Weg. Du wohnst mir auch gar zu ferne."

Nur kurz war die Zeit, in welcher ein romantisch-empfindsamer Geschmack
und ein feiner Ton diese Liebesdramen beherrschten. Nach Menander, dessen
von Liebesgeschichten erfüllte Stücke trotzdem noch „keusch und bildend genug
erschienen, um in Knaben- und Mädchenschulen gelesen zu werden", folgten
Dichter, welche einem gröberen Geschmacke zu huldigen genöthigt waren. Es
waren diejenigen, deren Geist und Form uns mehr in den römischen Nach¬
bildungen des Plautus, Terenz, Caecilius als in originalen Resten erhalten
sind und durchaus keine ideale Auffassung der Weiblichkeit oder Achtung der¬
selben mehr zeigen.

Die Menge der bei diesen Dichtern anzutreffenden zu unserm Thema ge¬
hörigen Züge nöthigt zu einer beschränkten Auswahl einiger Aussprüche des
Menander, nach denen man die Anschauung seiner Nachfolger von selber wird
bemessen können. Von ihm rühren die Aussprüche her:


„Daß nimmer ein Bcrstcind'ger doch zur Ehe schritt'!"
— „Heirathend, wisse, bist du Sklav dein Leben lang."
— „Auch nicht ein wahres Wort geht von dem Weibe aus."
— „Wie? Was geheim soll bleiben, sagst du deiner Frau?!"

Einige ähnliche Aussprüche der sogenannten gnomischen Dichter mögen
sich hieran anschließen:


„Heirathe nicht, ich sag's dir, sondern lebe froh."
— „Mir selbst zum Unheil führt' ich eine Reiche heim."
— „In einem Stück nur hab' ich Glauben an die Frau:
Daß, einmal todt, sie nimmermehr lebendig wird.
Nichts Andres aber glaub' ich ihr bis an den Tod."

Zum Schluß führe ich nur noch eine charakteristische Schilderung an,
welche der um 260 v. Chr. blühende Jdyllendichter Theokrit von zwei Städte¬
rinnen seiner Zeit gibt, die wir wohl als Typen der damaligen Städterinnen
der Mittelklasse ansehen können.

Der Dichter führt uns zwei Syrakusanerinnen vor, die mit ihren
Männern die weite Seereise nach Alexandria gemacht haben, um der Feier
des Adonisfestes beizuwohnen, welches zur Zeit der Ptolemäer mit verschwende¬
rischer Pracht gefeiert zu werden pflegte. Der Fremdenzufluß in der glanz¬
vollen Königsstadt war dabei ein ungeheurer, und wir finden die beiden Frauen
im lebhaften Gespräch darüber. Gorgo hat soeben auf dem Wege zum Hause
der Freundin das Straßengewühl aus bedenklicher Nähe kennen gelernt und
bricht, nachdem sie sich athemlos in einen Stuhl niedergelassen, in die
Worte aus:


„O, wie bin ich erschöpft! Kaum kam ich gesund ja von bannen,
Praxinoa, bei der Masse des Volks, der Menge der Wagen,
Kriegsvolk allerwärts und langbemäntclte Reiter
Und ein nicht endender Weg. Du wohnst mir auch gar zu ferne."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/311>, abgerufen am 23.07.2024.