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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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sie, die geistreichste Frau des Alterthums, sogleich von den andern Frauen
ihres Standes zu unterscheiden.

Auch Aspasia trug den Namen einer Hetäre und nahm sich ausgesprochener¬
maßen ihre berühmte Landsmännin Thargelia zum Vorbilde; auch sie lebte,
von dem Zwange der Sitte sich befreiend, selbständig und im Verkehr mit
zahlreichen Männern; aber ihre persönlichen vortrefflichen Eigenschaften, die
geistige Bedeutung und der sittliche Werth der Männer, die sich in ihrem
Hause versammelten, und besonders ihr erst durch den Tod gelöstes Verhältniß
zu Perikles sind sichere Beweise dafür, daß -- wenigstens nach den Begriffen
ihrer Zeit -- kein Makel auf ihr haftete.

Als sie sich in Athen niederließ, ward ihr geschmackvoller Salon bald ein
Sammelplatz der bedeutendsten Männer, welche den Zauber eiues reichen
weiblichen Geistes zu würdigen wußten und mit Erstaunen zum ersten Male
den Schatz der gestimmten hellenischen Bildung in einem weiblichen Wesen ver¬
einigt und in weiblichem Geiste anmuthig wiedergespiegelt sahen. Nur liebens¬
würdiges Wesen, Wohlredenheit, Bildung und Geist waren es, wodurch Aspasia
erobern und herrschen wollte, und wodurch sie nicht bloß die vornehme Jugend
Athen's, sondern auch Männer des ernstesten Geistes und Charakters, wie Vo¬
rrates und Perikles, anzog. Bekannt ist ihr Verhältniß zu dem Letzteren
und der Werth, welchen der bedeutendste der Hellenen, damals Leiter der
geistigen Hauptstadt Griechenlands, auf das Zusammenleben mit dieser Frau
legte. Er, den man seines würdevollen Ernstes und seiner Erhabenheit wegen
den Olympier nannte, den, seit er an der Spitze Athen's stand, nie ein Bürger
beim heiteren Mahle oder auf einem Spaziergange gesehen hatte, suchte gewiß
nicht sinnliche Freuden, als er seine erste freudlose Ehe auflöste und mit
Aspasia sich verband. Ihm war die Nähe eines weiblichen Wesens Bedürfniß,
das zugleich durch verständnißvolle Theilnahme seinen sorgenvollen Geist er¬
frischen und durch gesellschaftliche Talente seinem Hanse die gebührende Stellung
sichern konnte. Beides fand er in Aspasia. Durch sinniges Gespräch wußte
sie den ernsten Mann zu erheitern, durch ihre Verbindungen im Auslande und,
ihre fesselnden Talente sein Haus zum Mittelpunkte des geistigen und poli¬
tischen Lebens in Athen zu machen. Liebevoll und mit feinem Verständniß
nahm sie an seineu mannichfaltigen Pläne" und Sorgen Antheil, und
durch ihre Kunst des freien und leichten Umgangs mit Menschen aller Art
wußte sie den schwer Zugänglicher seinen Mitbürgern näher zu bringen. Ihre
Menschenkenntniß, ihr weiblicher Scharfblick, die Regsamkeit und Aufmerksamkeit,
mit der sie nichts Wichtiges sich entgehen ließ, ihre hinreißende Beredtscunkeit,
die Anmuth und Tiefe, mit der sie über Literatur und Kunst, wie über die
Philosophischen Tagesfragen zu reden wußte, waren für Perikles unschätzbare


sie, die geistreichste Frau des Alterthums, sogleich von den andern Frauen
ihres Standes zu unterscheiden.

Auch Aspasia trug den Namen einer Hetäre und nahm sich ausgesprochener¬
maßen ihre berühmte Landsmännin Thargelia zum Vorbilde; auch sie lebte,
von dem Zwange der Sitte sich befreiend, selbständig und im Verkehr mit
zahlreichen Männern; aber ihre persönlichen vortrefflichen Eigenschaften, die
geistige Bedeutung und der sittliche Werth der Männer, die sich in ihrem
Hause versammelten, und besonders ihr erst durch den Tod gelöstes Verhältniß
zu Perikles sind sichere Beweise dafür, daß — wenigstens nach den Begriffen
ihrer Zeit — kein Makel auf ihr haftete.

Als sie sich in Athen niederließ, ward ihr geschmackvoller Salon bald ein
Sammelplatz der bedeutendsten Männer, welche den Zauber eiues reichen
weiblichen Geistes zu würdigen wußten und mit Erstaunen zum ersten Male
den Schatz der gestimmten hellenischen Bildung in einem weiblichen Wesen ver¬
einigt und in weiblichem Geiste anmuthig wiedergespiegelt sahen. Nur liebens¬
würdiges Wesen, Wohlredenheit, Bildung und Geist waren es, wodurch Aspasia
erobern und herrschen wollte, und wodurch sie nicht bloß die vornehme Jugend
Athen's, sondern auch Männer des ernstesten Geistes und Charakters, wie Vo¬
rrates und Perikles, anzog. Bekannt ist ihr Verhältniß zu dem Letzteren
und der Werth, welchen der bedeutendste der Hellenen, damals Leiter der
geistigen Hauptstadt Griechenlands, auf das Zusammenleben mit dieser Frau
legte. Er, den man seines würdevollen Ernstes und seiner Erhabenheit wegen
den Olympier nannte, den, seit er an der Spitze Athen's stand, nie ein Bürger
beim heiteren Mahle oder auf einem Spaziergange gesehen hatte, suchte gewiß
nicht sinnliche Freuden, als er seine erste freudlose Ehe auflöste und mit
Aspasia sich verband. Ihm war die Nähe eines weiblichen Wesens Bedürfniß,
das zugleich durch verständnißvolle Theilnahme seinen sorgenvollen Geist er¬
frischen und durch gesellschaftliche Talente seinem Hanse die gebührende Stellung
sichern konnte. Beides fand er in Aspasia. Durch sinniges Gespräch wußte
sie den ernsten Mann zu erheitern, durch ihre Verbindungen im Auslande und,
ihre fesselnden Talente sein Haus zum Mittelpunkte des geistigen und poli¬
tischen Lebens in Athen zu machen. Liebevoll und mit feinem Verständniß
nahm sie an seineu mannichfaltigen Pläne» und Sorgen Antheil, und
durch ihre Kunst des freien und leichten Umgangs mit Menschen aller Art
wußte sie den schwer Zugänglicher seinen Mitbürgern näher zu bringen. Ihre
Menschenkenntniß, ihr weiblicher Scharfblick, die Regsamkeit und Aufmerksamkeit,
mit der sie nichts Wichtiges sich entgehen ließ, ihre hinreißende Beredtscunkeit,
die Anmuth und Tiefe, mit der sie über Literatur und Kunst, wie über die
Philosophischen Tagesfragen zu reden wußte, waren für Perikles unschätzbare


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[0307] sie, die geistreichste Frau des Alterthums, sogleich von den andern Frauen ihres Standes zu unterscheiden. Auch Aspasia trug den Namen einer Hetäre und nahm sich ausgesprochener¬ maßen ihre berühmte Landsmännin Thargelia zum Vorbilde; auch sie lebte, von dem Zwange der Sitte sich befreiend, selbständig und im Verkehr mit zahlreichen Männern; aber ihre persönlichen vortrefflichen Eigenschaften, die geistige Bedeutung und der sittliche Werth der Männer, die sich in ihrem Hause versammelten, und besonders ihr erst durch den Tod gelöstes Verhältniß zu Perikles sind sichere Beweise dafür, daß — wenigstens nach den Begriffen ihrer Zeit — kein Makel auf ihr haftete. Als sie sich in Athen niederließ, ward ihr geschmackvoller Salon bald ein Sammelplatz der bedeutendsten Männer, welche den Zauber eiues reichen weiblichen Geistes zu würdigen wußten und mit Erstaunen zum ersten Male den Schatz der gestimmten hellenischen Bildung in einem weiblichen Wesen ver¬ einigt und in weiblichem Geiste anmuthig wiedergespiegelt sahen. Nur liebens¬ würdiges Wesen, Wohlredenheit, Bildung und Geist waren es, wodurch Aspasia erobern und herrschen wollte, und wodurch sie nicht bloß die vornehme Jugend Athen's, sondern auch Männer des ernstesten Geistes und Charakters, wie Vo¬ rrates und Perikles, anzog. Bekannt ist ihr Verhältniß zu dem Letzteren und der Werth, welchen der bedeutendste der Hellenen, damals Leiter der geistigen Hauptstadt Griechenlands, auf das Zusammenleben mit dieser Frau legte. Er, den man seines würdevollen Ernstes und seiner Erhabenheit wegen den Olympier nannte, den, seit er an der Spitze Athen's stand, nie ein Bürger beim heiteren Mahle oder auf einem Spaziergange gesehen hatte, suchte gewiß nicht sinnliche Freuden, als er seine erste freudlose Ehe auflöste und mit Aspasia sich verband. Ihm war die Nähe eines weiblichen Wesens Bedürfniß, das zugleich durch verständnißvolle Theilnahme seinen sorgenvollen Geist er¬ frischen und durch gesellschaftliche Talente seinem Hanse die gebührende Stellung sichern konnte. Beides fand er in Aspasia. Durch sinniges Gespräch wußte sie den ernsten Mann zu erheitern, durch ihre Verbindungen im Auslande und, ihre fesselnden Talente sein Haus zum Mittelpunkte des geistigen und poli¬ tischen Lebens in Athen zu machen. Liebevoll und mit feinem Verständniß nahm sie an seineu mannichfaltigen Pläne» und Sorgen Antheil, und durch ihre Kunst des freien und leichten Umgangs mit Menschen aller Art wußte sie den schwer Zugänglicher seinen Mitbürgern näher zu bringen. Ihre Menschenkenntniß, ihr weiblicher Scharfblick, die Regsamkeit und Aufmerksamkeit, mit der sie nichts Wichtiges sich entgehen ließ, ihre hinreißende Beredtscunkeit, die Anmuth und Tiefe, mit der sie über Literatur und Kunst, wie über die Philosophischen Tagesfragen zu reden wußte, waren für Perikles unschätzbare

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/307>, abgerufen am 03.07.2024.