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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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daß das Buch den Anstoß zur Ausbildung eines förmlichen Lehrsystems für
Weissager gab, bewahrte es vor dem Schicksale, welchem 221 v. Chr. sämmt¬
liche Bücher des Reiches der Mitte mit Ausnahme der medicinischen, prophe¬
tischen und wirthschaftlichen verfallen sollten und meist auch verfielen, indem
der Kaiser Ehe Hwaug Ti aus politischen Gründen deren Vernichtung anord¬
nete. Unter den Schriften, welche dem von diesem Tyrannen anbefohlnen
Autodafö entgingen, befanden sich auch die Werke des Konfutse: Das "Buch
der Geschichte", das "Buch der Lieder", die "Frühlings- und Herbstjahrbücher",
das "Ritualienbuch" sowie die vier Bücher der Schüler jenes Weisen und des
Mentsius.

Das Buch der Geschichte greift in das höchste Alterthum zurück und ent¬
hält Chroniken aus den Dynastien In, Hea, Schcmg und Choo von 2400
bis 721 v. Chr. Konfutse entdeckte es angeblich in seiner ursprünglichen
Fassung zusammen mit einigen andern Manuskripten verwandten Inhaltes, die
er einer Prüfung unterwarf, und aus denen er dann das nach seiner Meinung
Werthvollste in einer Blumenlese zusammenstellte. Auch die Benennung "Bücher
der Geschichte" wird auf ihn zurückgeführt. Der Inhalt des Werkes aber er¬
streckt sich ans Alles, was einem Bewohner des Himmlischen Reiches ersprießlich
und wissenswerth erscheinen kann. Namentlich ist es die encyklopädische Fund¬
grube aller Weisheit auf dem Gebiete der Politik, der politischen Geschichte,
des Kultus, des Kriegswesens, der Musik und der Astronomie. Die Mitthei¬
lung des Lehrstoffs geschieht größtentheils in der Form von Zwiegesprächen
zwischen Kaisern und ihren Räthen. "Die Tugend", sagt u. A. der Minister
Yih, zur Majestät gewendet, "ist die feste Grundlage jeder Regierung. Beim
Fürsten giebt sie sich in der Fürsorge desselben für sein Volk und vornehmlich
in der Beschaffung der ersten physischen Existenzmittel, wie Wasser, Feuer,
Metalle, Holz, Getreide und dergl. kund. Auch muß der Herrscher darauf be¬
dacht sein, die Menschen zur Tugend hinzuführen, und sie vor allen das Leben
und die Gesundheit gefährdenden Einflüssen bewahren. Willst Du sie warnen,
so gebrauche sanfte Worte; willst Du sie strafen, so thue es mit Nachdruck".
An einer andern Stelle reden Se. Excellenz in noch kühnerem Tone: "Hüte
Dich vor falscher Scham, und gestehe es, wenn Du Irrthümer begangen hast;
diese werden sonst zu Verbrechen an Deinen Unterthanen". Die noch heute
zu beobachtende Erscheinung, daß man im Pekinger Reichsanzeiger Bekannt¬
machungen der kaiserlichen Regierung liest, worin begangene Irrthümer und
Mißgriffe in der Verwaltung rückhaltlos eingestanden werden, beweist, daß
nicht alle schöne Lehren der "Vier Bücher" zur grauen Theorie geworden sind.

Das gilt in noch höherem Grade von dem Le ke oder Ritualienbuch e,
dessen Inhalt geradezu in sueeum vt, sanLuivöin des chinesischen Volkes über-


daß das Buch den Anstoß zur Ausbildung eines förmlichen Lehrsystems für
Weissager gab, bewahrte es vor dem Schicksale, welchem 221 v. Chr. sämmt¬
liche Bücher des Reiches der Mitte mit Ausnahme der medicinischen, prophe¬
tischen und wirthschaftlichen verfallen sollten und meist auch verfielen, indem
der Kaiser Ehe Hwaug Ti aus politischen Gründen deren Vernichtung anord¬
nete. Unter den Schriften, welche dem von diesem Tyrannen anbefohlnen
Autodafö entgingen, befanden sich auch die Werke des Konfutse: Das „Buch
der Geschichte", das „Buch der Lieder", die „Frühlings- und Herbstjahrbücher",
das „Ritualienbuch" sowie die vier Bücher der Schüler jenes Weisen und des
Mentsius.

Das Buch der Geschichte greift in das höchste Alterthum zurück und ent¬
hält Chroniken aus den Dynastien In, Hea, Schcmg und Choo von 2400
bis 721 v. Chr. Konfutse entdeckte es angeblich in seiner ursprünglichen
Fassung zusammen mit einigen andern Manuskripten verwandten Inhaltes, die
er einer Prüfung unterwarf, und aus denen er dann das nach seiner Meinung
Werthvollste in einer Blumenlese zusammenstellte. Auch die Benennung „Bücher
der Geschichte" wird auf ihn zurückgeführt. Der Inhalt des Werkes aber er¬
streckt sich ans Alles, was einem Bewohner des Himmlischen Reiches ersprießlich
und wissenswerth erscheinen kann. Namentlich ist es die encyklopädische Fund¬
grube aller Weisheit auf dem Gebiete der Politik, der politischen Geschichte,
des Kultus, des Kriegswesens, der Musik und der Astronomie. Die Mitthei¬
lung des Lehrstoffs geschieht größtentheils in der Form von Zwiegesprächen
zwischen Kaisern und ihren Räthen. „Die Tugend", sagt u. A. der Minister
Yih, zur Majestät gewendet, „ist die feste Grundlage jeder Regierung. Beim
Fürsten giebt sie sich in der Fürsorge desselben für sein Volk und vornehmlich
in der Beschaffung der ersten physischen Existenzmittel, wie Wasser, Feuer,
Metalle, Holz, Getreide und dergl. kund. Auch muß der Herrscher darauf be¬
dacht sein, die Menschen zur Tugend hinzuführen, und sie vor allen das Leben
und die Gesundheit gefährdenden Einflüssen bewahren. Willst Du sie warnen,
so gebrauche sanfte Worte; willst Du sie strafen, so thue es mit Nachdruck".
An einer andern Stelle reden Se. Excellenz in noch kühnerem Tone: „Hüte
Dich vor falscher Scham, und gestehe es, wenn Du Irrthümer begangen hast;
diese werden sonst zu Verbrechen an Deinen Unterthanen". Die noch heute
zu beobachtende Erscheinung, daß man im Pekinger Reichsanzeiger Bekannt¬
machungen der kaiserlichen Regierung liest, worin begangene Irrthümer und
Mißgriffe in der Verwaltung rückhaltlos eingestanden werden, beweist, daß
nicht alle schöne Lehren der „Vier Bücher" zur grauen Theorie geworden sind.

Das gilt in noch höherem Grade von dem Le ke oder Ritualienbuch e,
dessen Inhalt geradezu in sueeum vt, sanLuivöin des chinesischen Volkes über-


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[0274] daß das Buch den Anstoß zur Ausbildung eines förmlichen Lehrsystems für Weissager gab, bewahrte es vor dem Schicksale, welchem 221 v. Chr. sämmt¬ liche Bücher des Reiches der Mitte mit Ausnahme der medicinischen, prophe¬ tischen und wirthschaftlichen verfallen sollten und meist auch verfielen, indem der Kaiser Ehe Hwaug Ti aus politischen Gründen deren Vernichtung anord¬ nete. Unter den Schriften, welche dem von diesem Tyrannen anbefohlnen Autodafö entgingen, befanden sich auch die Werke des Konfutse: Das „Buch der Geschichte", das „Buch der Lieder", die „Frühlings- und Herbstjahrbücher", das „Ritualienbuch" sowie die vier Bücher der Schüler jenes Weisen und des Mentsius. Das Buch der Geschichte greift in das höchste Alterthum zurück und ent¬ hält Chroniken aus den Dynastien In, Hea, Schcmg und Choo von 2400 bis 721 v. Chr. Konfutse entdeckte es angeblich in seiner ursprünglichen Fassung zusammen mit einigen andern Manuskripten verwandten Inhaltes, die er einer Prüfung unterwarf, und aus denen er dann das nach seiner Meinung Werthvollste in einer Blumenlese zusammenstellte. Auch die Benennung „Bücher der Geschichte" wird auf ihn zurückgeführt. Der Inhalt des Werkes aber er¬ streckt sich ans Alles, was einem Bewohner des Himmlischen Reiches ersprießlich und wissenswerth erscheinen kann. Namentlich ist es die encyklopädische Fund¬ grube aller Weisheit auf dem Gebiete der Politik, der politischen Geschichte, des Kultus, des Kriegswesens, der Musik und der Astronomie. Die Mitthei¬ lung des Lehrstoffs geschieht größtentheils in der Form von Zwiegesprächen zwischen Kaisern und ihren Räthen. „Die Tugend", sagt u. A. der Minister Yih, zur Majestät gewendet, „ist die feste Grundlage jeder Regierung. Beim Fürsten giebt sie sich in der Fürsorge desselben für sein Volk und vornehmlich in der Beschaffung der ersten physischen Existenzmittel, wie Wasser, Feuer, Metalle, Holz, Getreide und dergl. kund. Auch muß der Herrscher darauf be¬ dacht sein, die Menschen zur Tugend hinzuführen, und sie vor allen das Leben und die Gesundheit gefährdenden Einflüssen bewahren. Willst Du sie warnen, so gebrauche sanfte Worte; willst Du sie strafen, so thue es mit Nachdruck". An einer andern Stelle reden Se. Excellenz in noch kühnerem Tone: „Hüte Dich vor falscher Scham, und gestehe es, wenn Du Irrthümer begangen hast; diese werden sonst zu Verbrechen an Deinen Unterthanen". Die noch heute zu beobachtende Erscheinung, daß man im Pekinger Reichsanzeiger Bekannt¬ machungen der kaiserlichen Regierung liest, worin begangene Irrthümer und Mißgriffe in der Verwaltung rückhaltlos eingestanden werden, beweist, daß nicht alle schöne Lehren der „Vier Bücher" zur grauen Theorie geworden sind. Das gilt in noch höherem Grade von dem Le ke oder Ritualienbuch e, dessen Inhalt geradezu in sueeum vt, sanLuivöin des chinesischen Volkes über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/274>, abgerufen am 22.07.2024.