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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Weges noch die Verkehrssteigerung der Eisenbahn voraussah. Nach und nach
ist aber aus einem gewöhnlichen Kommunikationsweg eine Ortsstraße ge¬
worden, es sind Fabriken in der Nähe entstanden, deren Arbeiter, oft Tausende
an der Zahl, täglich viermal die Bahn überschreiten müssen. Während der
Weg früher die Bahn außerhalb des Bahnhofes kreuzte, sind nach und nach
die Bahnhofsgleise verlängert worden, so daß jetzt der Uebergang oft durch
reagirende Maschinen :c. auf lange Zeit gesperrt werden muß, während früher
täglich nur einige Züge auf wenige Sekunden diese Sperrung nothwendig
machten. Ein derartiger Zustand ist für beide Theile unerträglich; es muß an
die Stelle des Niveauübergauges eine Ueberbrückung oder Unterführung treten,
ja es wird sogar häufig das Bedürfniß eintreten, bei dieser Gelegenheit den
früher nur fünf Meter breiten Uebergang jetzt durch eine acht bis zehn Meter
breite Brücke zu ersetzen. Nun entsteht aber die Frage, wer bezahlt eine der¬
artige Umänderung? Wer trägt Schuld an dem Uebelstand? Natürlich nur
die Eisenbahn, wird sofort geantwortet, hätte sie doch schon früher eine Ueber-
'brückung gebaut, und hätte sie doch ihre Gleise nicht erweitert. Als ob bei der
ersten Anlage die Verwaltungsinstanz nicht ebenso kurzsichtig gewesen wäre
wie die Bahn. Oder will man der Bahn etwa gar einen Vorwurf daraus
machen, daß sie durch ihre bloße Existenz die Bevölkerungsdichtigkeit vermehrt,
zur Anlage von Fabriken eingeladen, überhaupt Verkehr und Wohlstand des
Ortes gehoben hat? Soll sie für diese segensreiche Wirksamkeit nun damit be¬
straft werden, zur Beseitigung schreiender Uebelstände große Kosten aufwenden
zu müssen, die mindestens ihr nicht mehr als dem betreffenden Orte zu gute
kommen? Bisher ist das stets so gewesen. Die Eisenbahn wird einfach ge¬
zwungen, auf ihre Kosten den bisherigen Zustand zu verändern, zu verbessern,
und die Stadt lacht sich ins Fäustchen.

Die Eisenbahn wird sich stets bereit finden, zur Beseitigung solcher Uebel¬
stünde sehr erhebliche Beitrüge zu leisten, denn auch sie hat dadurch greifbare
materielle Vortheile. Es können für die Folge an der betreffenden Stelle die
Wärter wegfallen, die Wahrscheinlichkeit von Unglücksfällen verringert sich
wesentlich, die Dispositionsfreiheit in der Zeit- und Raumeintheilung läßt sich
in der Regel vergrößern, und diese Dinge zusammengenommen lassen sich in
einer ganz ansehnlichen Summe mit ziemlicher Genauigkeit kcipitalisirt zum
Ausdruck bringen. Aber diese Summe reicht nur in den allerseltensten Fällen
für die nothwendigen Bauten aus, und doch ist es unbillig, von der Eisenbahn
erheblich mehr als diese Summe als Beitrag zu verlangen, besonders wenn,
wie so häufig, gleichzeitig eine Verbreiterung der Straße verlangt wird. Wenn
die Eisenbahn nach den eben angedeuteten Gesichtspunkten zu einen: ange¬
messenen Beitrag veranlaßt wird, so mag man es nun der Gemeinde überlassen,


Weges noch die Verkehrssteigerung der Eisenbahn voraussah. Nach und nach
ist aber aus einem gewöhnlichen Kommunikationsweg eine Ortsstraße ge¬
worden, es sind Fabriken in der Nähe entstanden, deren Arbeiter, oft Tausende
an der Zahl, täglich viermal die Bahn überschreiten müssen. Während der
Weg früher die Bahn außerhalb des Bahnhofes kreuzte, sind nach und nach
die Bahnhofsgleise verlängert worden, so daß jetzt der Uebergang oft durch
reagirende Maschinen :c. auf lange Zeit gesperrt werden muß, während früher
täglich nur einige Züge auf wenige Sekunden diese Sperrung nothwendig
machten. Ein derartiger Zustand ist für beide Theile unerträglich; es muß an
die Stelle des Niveauübergauges eine Ueberbrückung oder Unterführung treten,
ja es wird sogar häufig das Bedürfniß eintreten, bei dieser Gelegenheit den
früher nur fünf Meter breiten Uebergang jetzt durch eine acht bis zehn Meter
breite Brücke zu ersetzen. Nun entsteht aber die Frage, wer bezahlt eine der¬
artige Umänderung? Wer trägt Schuld an dem Uebelstand? Natürlich nur
die Eisenbahn, wird sofort geantwortet, hätte sie doch schon früher eine Ueber-
'brückung gebaut, und hätte sie doch ihre Gleise nicht erweitert. Als ob bei der
ersten Anlage die Verwaltungsinstanz nicht ebenso kurzsichtig gewesen wäre
wie die Bahn. Oder will man der Bahn etwa gar einen Vorwurf daraus
machen, daß sie durch ihre bloße Existenz die Bevölkerungsdichtigkeit vermehrt,
zur Anlage von Fabriken eingeladen, überhaupt Verkehr und Wohlstand des
Ortes gehoben hat? Soll sie für diese segensreiche Wirksamkeit nun damit be¬
straft werden, zur Beseitigung schreiender Uebelstände große Kosten aufwenden
zu müssen, die mindestens ihr nicht mehr als dem betreffenden Orte zu gute
kommen? Bisher ist das stets so gewesen. Die Eisenbahn wird einfach ge¬
zwungen, auf ihre Kosten den bisherigen Zustand zu verändern, zu verbessern,
und die Stadt lacht sich ins Fäustchen.

Die Eisenbahn wird sich stets bereit finden, zur Beseitigung solcher Uebel¬
stünde sehr erhebliche Beitrüge zu leisten, denn auch sie hat dadurch greifbare
materielle Vortheile. Es können für die Folge an der betreffenden Stelle die
Wärter wegfallen, die Wahrscheinlichkeit von Unglücksfällen verringert sich
wesentlich, die Dispositionsfreiheit in der Zeit- und Raumeintheilung läßt sich
in der Regel vergrößern, und diese Dinge zusammengenommen lassen sich in
einer ganz ansehnlichen Summe mit ziemlicher Genauigkeit kcipitalisirt zum
Ausdruck bringen. Aber diese Summe reicht nur in den allerseltensten Fällen
für die nothwendigen Bauten aus, und doch ist es unbillig, von der Eisenbahn
erheblich mehr als diese Summe als Beitrag zu verlangen, besonders wenn,
wie so häufig, gleichzeitig eine Verbreiterung der Straße verlangt wird. Wenn
die Eisenbahn nach den eben angedeuteten Gesichtspunkten zu einen: ange¬
messenen Beitrag veranlaßt wird, so mag man es nun der Gemeinde überlassen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/254>, abgerufen am 03.07.2024.