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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Zeichneten Reformen aus eignem Antriebe und mit eignen produktiven Kräften
schritten; wenn nicht, wolle er gehen, da er sich nicht stark genug fühle, um
Ministerkrisen, den Bruch mit seinen alten Kollegen und das Einleben mit
neuen zu vertragen. Es sei ein unbilliges Verlangen, daß er selbst die nöthigen
Arbeiten liefere und sie der Kritik eines in entgegengesetzten Spuren (soll doch
Wohl vor allen andern Dingen heißen, im Geleise der Manchesterschule) gehenden
Ressortministers unterwerfe. Einen solchen Weg habe er in der Eisenbahnfrage
eingeschlagen und äußerlich die Zustimmung Aller gewonnen, sobald es aber an
die Ausführung gegangen, hergebrachtermaßen passiven Widerstand und die
übliche Abweisung gefunden, ähnlich wie bei der Fortschrittspartei, die anch zu
sagen Pflege: Nur so nicht, sondern anders -- nämlich so, wie es
nicht geht." Der Kanzler sagte damals: "Es handelt sich für mich nur um
die Ermittelung, ob meine jetzigen Kollegen diejenigen Reformen, welche ich
für unabweislich halte, aus freien Stücken und freier Ueberzeugung so betreiben
wollen, daß sie mich in der Richtung schieben und tragen würden, nicht aber
ich sie. Wollten sie Ersteres, so würde er sehr gern seinen Kredit und seinen
Namen in der Firma lassen, um diese Reformen durchführen zu helfen".

Der Verfasser des Artikels der Cöln. Zeit, äußert sich so hoffnungsvoll
in Betreff der Reformwünsche des Fürsten, daß man sich vielleicht fragen darf,
warum sie, von dem Kollegen, den sie vor Allen angehen, zu Pinnen aus¬
gearbeitet und den Faktoren der Gesetzgebung zur Annahme empfohlen, nicht
denselben Erfolg haben sollten, den er ihnen verspricht, wenn sie der Kanzler der
Kritik der Minister und der Reichstagsparteien unterbreiten wollte. Der Kollege
des Fürsten, der jenem Artikel offenbar sehr nahe stand, als er geschrieben
wurde, ist ein Mann von ebensoviel Selbstgefühl als Vielseitigkeit. Er scheint
Macht und Einfluß zu besitzen. Vor zwei Jahren sagte er im Reichstage:
"Das Wort Unmöglich ist in meinem Wörterbuche fehr klein gedruckt." Er
unterhält Beziehungen zu dem Schlosse in Coblenz und ist gleichzeitig in einem
hohen berliner Kreise, wo man sehr liberal und sehr lichtfreundlich ist, als
Grundpfeiler und Eckstein des Constitutionalismus und des kräftigen Protestan¬
tismus Hochaugesehen. Warum will er, der so viel ist und vermag, nicht die
Initiative zu den Reformen ergreifen, die dem Kanzler am Herzen liegen? Ist
es etwa, weil ihn daran eine andere Seite seiner Vielseitigkeit hindert -- weil
er dabei seine Vergangenheit, seine Grundsätze und seine Verbindungen als
Manchestermann zu verleugnen hätte?

Und jetzt zu etwas Anderem, zur Widerlegung einer soeben in einem
großen berliner Blatte aufgetauchte" Vermuthung vou Frictionen mit einer
anderen Autorität. Die Rat. Zeit, von gestern sagt in dem Artikel über Moltkes
Rede, es werde sich wohl um einen Konflikt militärischer und politischer Noth-


Zeichneten Reformen aus eignem Antriebe und mit eignen produktiven Kräften
schritten; wenn nicht, wolle er gehen, da er sich nicht stark genug fühle, um
Ministerkrisen, den Bruch mit seinen alten Kollegen und das Einleben mit
neuen zu vertragen. Es sei ein unbilliges Verlangen, daß er selbst die nöthigen
Arbeiten liefere und sie der Kritik eines in entgegengesetzten Spuren (soll doch
Wohl vor allen andern Dingen heißen, im Geleise der Manchesterschule) gehenden
Ressortministers unterwerfe. Einen solchen Weg habe er in der Eisenbahnfrage
eingeschlagen und äußerlich die Zustimmung Aller gewonnen, sobald es aber an
die Ausführung gegangen, hergebrachtermaßen passiven Widerstand und die
übliche Abweisung gefunden, ähnlich wie bei der Fortschrittspartei, die anch zu
sagen Pflege: Nur so nicht, sondern anders — nämlich so, wie es
nicht geht." Der Kanzler sagte damals: „Es handelt sich für mich nur um
die Ermittelung, ob meine jetzigen Kollegen diejenigen Reformen, welche ich
für unabweislich halte, aus freien Stücken und freier Ueberzeugung so betreiben
wollen, daß sie mich in der Richtung schieben und tragen würden, nicht aber
ich sie. Wollten sie Ersteres, so würde er sehr gern seinen Kredit und seinen
Namen in der Firma lassen, um diese Reformen durchführen zu helfen".

Der Verfasser des Artikels der Cöln. Zeit, äußert sich so hoffnungsvoll
in Betreff der Reformwünsche des Fürsten, daß man sich vielleicht fragen darf,
warum sie, von dem Kollegen, den sie vor Allen angehen, zu Pinnen aus¬
gearbeitet und den Faktoren der Gesetzgebung zur Annahme empfohlen, nicht
denselben Erfolg haben sollten, den er ihnen verspricht, wenn sie der Kanzler der
Kritik der Minister und der Reichstagsparteien unterbreiten wollte. Der Kollege
des Fürsten, der jenem Artikel offenbar sehr nahe stand, als er geschrieben
wurde, ist ein Mann von ebensoviel Selbstgefühl als Vielseitigkeit. Er scheint
Macht und Einfluß zu besitzen. Vor zwei Jahren sagte er im Reichstage:
„Das Wort Unmöglich ist in meinem Wörterbuche fehr klein gedruckt." Er
unterhält Beziehungen zu dem Schlosse in Coblenz und ist gleichzeitig in einem
hohen berliner Kreise, wo man sehr liberal und sehr lichtfreundlich ist, als
Grundpfeiler und Eckstein des Constitutionalismus und des kräftigen Protestan¬
tismus Hochaugesehen. Warum will er, der so viel ist und vermag, nicht die
Initiative zu den Reformen ergreifen, die dem Kanzler am Herzen liegen? Ist
es etwa, weil ihn daran eine andere Seite seiner Vielseitigkeit hindert — weil
er dabei seine Vergangenheit, seine Grundsätze und seine Verbindungen als
Manchestermann zu verleugnen hätte?

Und jetzt zu etwas Anderem, zur Widerlegung einer soeben in einem
großen berliner Blatte aufgetauchte» Vermuthung vou Frictionen mit einer
anderen Autorität. Die Rat. Zeit, von gestern sagt in dem Artikel über Moltkes
Rede, es werde sich wohl um einen Konflikt militärischer und politischer Noth-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/231>, abgerufen am 03.07.2024.