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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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der alten aarganischen Städte erklärte. "Als Papst Martinus vom Kosemitzer
Konzil nach Welschland heimzog, kam er auch in das Städtchen Brugg und
hielt hier Nachtlager. Die Bürgerschaft gedachte ihm mit einem Gastmahl
eine Ehre anzuthun, und wühlte dazu das Beste, was sie kannte. Sie kochte
ihm eine schöne rosenrothe Kirschsuppe. Martinus begnügte sich damit und
ritt den andern Tag nach Lenzburg, dem zweiten Städtchen. Auch dieses be¬
strebte sich, die päpstliche Tafel mit dem zu besetzen, was es selber für das Vor¬
züglichste hielt: es ließ dem heiligen Vater einen von jenen scharf duftenden
grünen Ziegenkäsen auftragen, die man erst raspeln oder schaben muß, wenn
sie genießbar werden sollen, weshalb man sie "Schabziegerstöckli" nennt.
"Wieder ein Fasttag!" klagte der so Traktirte und reiste sobald als möglich aus
der Käseatmvsphäre weiter nach Aarau. Hier gedachte man den Luxus der
beideu andern Orte weit zu überbieten, und so bewirthete man den frommen
alten Herrn mit der Lieblingsspeise der Bürger, einer mächtigen Schüssel weißen
Mehlbreis. "Wunderbar, wie streng diese ganze Gegend mein Fastenmandat
hält!" stöhnte leise der Magen des Statthalters Gottes. niedergeschlagen
brach die Gesellschaft am andern Tage nach dem zwei Stunden Wegs von hier
entfernten Otter auf. Die Frösche der dortigen Wiesen sind von Alters her von den
Kapuzinern daselbst schmackhaft befunden worden, und so meinten die Oltener ihrem
hohen Gaste nichts Besseres vorsetzen zu können als eine breite Froschsnppe. "Das
sind ja Christen von exemplarischem Wandel und striktester Observanz", riefen die
hungernden Kardinäle. Indeß lag Aarburg nahe, wo man sich an solideren trösten
zu können verhoffte. Leider sah man sich auch hier in seinen Erwartungen getauscht.
Hier sind nämlich in Hecken und Hagen die Schnecken so reichlich zu finden, daß
der kleine Ort in der ersten Eile beschloß, seinen Besuch damit zu überraschen.
Fünf Fastenmahlzeiten nach einander waren selbst einem Papste zuviel. Seuf¬
zend über eine Welt, die das Christenthum auf die Spitze trieb, bestieg Martinus
sein Maulthier und ritt gen Zofingen. Kaum war er abgestiegen, so erschienen
zwölf Schulknaben mit Krenz und Fahne und deklcunirten ihm lateinische
Verse. Schon saß ihm ein Wort des Verdrusses über diesen Empfang auf den
Lippen, da senkten sich die Fahnen, die Reihe öffnete sich, und heran schritt
ein mit Kapaunen und Fasanen behangener, blnmenbelränzter, goldhorniger
Mastochse. Gerührt stiftete Martinus auf der Stelle ein Schülerstipendinm,
das noch heute vertheilt wird. Die Brugger aber heißen seitdem "Chriesi-
süppler", die Lenzburger "Schabziegerstöckli", die Aarcmer "Pappenhaner",
die Altener "Frösche", die Aarburger "Schnecken", die Zosinger endlich, die
bis auf diesen Tag starke Lateiner geblieben sind, "Ochsen".

Das sechste Kapitel ist ein Exkurs, welcher einen Blick auf die außer-
oentschen Land- und Ortschaften wirft, denen der Vvlksivitz lächerliche oder


der alten aarganischen Städte erklärte. „Als Papst Martinus vom Kosemitzer
Konzil nach Welschland heimzog, kam er auch in das Städtchen Brugg und
hielt hier Nachtlager. Die Bürgerschaft gedachte ihm mit einem Gastmahl
eine Ehre anzuthun, und wühlte dazu das Beste, was sie kannte. Sie kochte
ihm eine schöne rosenrothe Kirschsuppe. Martinus begnügte sich damit und
ritt den andern Tag nach Lenzburg, dem zweiten Städtchen. Auch dieses be¬
strebte sich, die päpstliche Tafel mit dem zu besetzen, was es selber für das Vor¬
züglichste hielt: es ließ dem heiligen Vater einen von jenen scharf duftenden
grünen Ziegenkäsen auftragen, die man erst raspeln oder schaben muß, wenn
sie genießbar werden sollen, weshalb man sie „Schabziegerstöckli" nennt.
„Wieder ein Fasttag!" klagte der so Traktirte und reiste sobald als möglich aus
der Käseatmvsphäre weiter nach Aarau. Hier gedachte man den Luxus der
beideu andern Orte weit zu überbieten, und so bewirthete man den frommen
alten Herrn mit der Lieblingsspeise der Bürger, einer mächtigen Schüssel weißen
Mehlbreis. „Wunderbar, wie streng diese ganze Gegend mein Fastenmandat
hält!" stöhnte leise der Magen des Statthalters Gottes. niedergeschlagen
brach die Gesellschaft am andern Tage nach dem zwei Stunden Wegs von hier
entfernten Otter auf. Die Frösche der dortigen Wiesen sind von Alters her von den
Kapuzinern daselbst schmackhaft befunden worden, und so meinten die Oltener ihrem
hohen Gaste nichts Besseres vorsetzen zu können als eine breite Froschsnppe. „Das
sind ja Christen von exemplarischem Wandel und striktester Observanz", riefen die
hungernden Kardinäle. Indeß lag Aarburg nahe, wo man sich an solideren trösten
zu können verhoffte. Leider sah man sich auch hier in seinen Erwartungen getauscht.
Hier sind nämlich in Hecken und Hagen die Schnecken so reichlich zu finden, daß
der kleine Ort in der ersten Eile beschloß, seinen Besuch damit zu überraschen.
Fünf Fastenmahlzeiten nach einander waren selbst einem Papste zuviel. Seuf¬
zend über eine Welt, die das Christenthum auf die Spitze trieb, bestieg Martinus
sein Maulthier und ritt gen Zofingen. Kaum war er abgestiegen, so erschienen
zwölf Schulknaben mit Krenz und Fahne und deklcunirten ihm lateinische
Verse. Schon saß ihm ein Wort des Verdrusses über diesen Empfang auf den
Lippen, da senkten sich die Fahnen, die Reihe öffnete sich, und heran schritt
ein mit Kapaunen und Fasanen behangener, blnmenbelränzter, goldhorniger
Mastochse. Gerührt stiftete Martinus auf der Stelle ein Schülerstipendinm,
das noch heute vertheilt wird. Die Brugger aber heißen seitdem „Chriesi-
süppler", die Lenzburger „Schabziegerstöckli", die Aarcmer „Pappenhaner",
die Altener „Frösche", die Aarburger „Schnecken", die Zosinger endlich, die
bis auf diesen Tag starke Lateiner geblieben sind, „Ochsen".

Das sechste Kapitel ist ein Exkurs, welcher einen Blick auf die außer-
oentschen Land- und Ortschaften wirft, denen der Vvlksivitz lächerliche oder


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[0226] der alten aarganischen Städte erklärte. „Als Papst Martinus vom Kosemitzer Konzil nach Welschland heimzog, kam er auch in das Städtchen Brugg und hielt hier Nachtlager. Die Bürgerschaft gedachte ihm mit einem Gastmahl eine Ehre anzuthun, und wühlte dazu das Beste, was sie kannte. Sie kochte ihm eine schöne rosenrothe Kirschsuppe. Martinus begnügte sich damit und ritt den andern Tag nach Lenzburg, dem zweiten Städtchen. Auch dieses be¬ strebte sich, die päpstliche Tafel mit dem zu besetzen, was es selber für das Vor¬ züglichste hielt: es ließ dem heiligen Vater einen von jenen scharf duftenden grünen Ziegenkäsen auftragen, die man erst raspeln oder schaben muß, wenn sie genießbar werden sollen, weshalb man sie „Schabziegerstöckli" nennt. „Wieder ein Fasttag!" klagte der so Traktirte und reiste sobald als möglich aus der Käseatmvsphäre weiter nach Aarau. Hier gedachte man den Luxus der beideu andern Orte weit zu überbieten, und so bewirthete man den frommen alten Herrn mit der Lieblingsspeise der Bürger, einer mächtigen Schüssel weißen Mehlbreis. „Wunderbar, wie streng diese ganze Gegend mein Fastenmandat hält!" stöhnte leise der Magen des Statthalters Gottes. niedergeschlagen brach die Gesellschaft am andern Tage nach dem zwei Stunden Wegs von hier entfernten Otter auf. Die Frösche der dortigen Wiesen sind von Alters her von den Kapuzinern daselbst schmackhaft befunden worden, und so meinten die Oltener ihrem hohen Gaste nichts Besseres vorsetzen zu können als eine breite Froschsnppe. „Das sind ja Christen von exemplarischem Wandel und striktester Observanz", riefen die hungernden Kardinäle. Indeß lag Aarburg nahe, wo man sich an solideren trösten zu können verhoffte. Leider sah man sich auch hier in seinen Erwartungen getauscht. Hier sind nämlich in Hecken und Hagen die Schnecken so reichlich zu finden, daß der kleine Ort in der ersten Eile beschloß, seinen Besuch damit zu überraschen. Fünf Fastenmahlzeiten nach einander waren selbst einem Papste zuviel. Seuf¬ zend über eine Welt, die das Christenthum auf die Spitze trieb, bestieg Martinus sein Maulthier und ritt gen Zofingen. Kaum war er abgestiegen, so erschienen zwölf Schulknaben mit Krenz und Fahne und deklcunirten ihm lateinische Verse. Schon saß ihm ein Wort des Verdrusses über diesen Empfang auf den Lippen, da senkten sich die Fahnen, die Reihe öffnete sich, und heran schritt ein mit Kapaunen und Fasanen behangener, blnmenbelränzter, goldhorniger Mastochse. Gerührt stiftete Martinus auf der Stelle ein Schülerstipendinm, das noch heute vertheilt wird. Die Brugger aber heißen seitdem „Chriesi- süppler", die Lenzburger „Schabziegerstöckli", die Aarcmer „Pappenhaner", die Altener „Frösche", die Aarburger „Schnecken", die Zosinger endlich, die bis auf diesen Tag starke Lateiner geblieben sind, „Ochsen". Das sechste Kapitel ist ein Exkurs, welcher einen Blick auf die außer- oentschen Land- und Ortschaften wirft, denen der Vvlksivitz lächerliche oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/226>, abgerufen am 23.07.2024.