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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Spottes begossen hat, die unser sterbliches Theil mit Kleidern versorgt. Aber
"und bei den andern Ständen und Gewerben ist unseres Wissens nichts unbe¬
achtet geblieben, was der Volkshumor in seiner Lust am Schrauben und Foppen
vergnüglich an ihnen verbrochen hat, und Dasselbe gilt von den Sachsen und
Schwaben, den Hessen, Westfalen, Schlesien: und wie sie sonst heißen, denen
jener neckische Kobold "eins angehangen hat". Ist darunter manches, was ver¬
drießen kann, so ist anzunehmen, daß dieß verständige Leute nicht anfechten
wird. Zum Ueberfluß aber beginnt der Verfasser diesen Abschnitt mit der Ent¬
schuldigung: "Mit Gunst, und nichts für ungut! Wer im Nachstehenden auf
etwas stößt, was ihn verstimmen will, der erinnere sich, bevor er sich ärgert,
an zweierlei: erstens, daß das Buch eine Gabe zum Karneval sein will, und
daß während des Karnevals Narrenfreiheit herrscht, die allen Scherz, aber
weder Uebelnehmen noch Uebelmeinen erlaubt, zweitens, daß sichs viel vor¬
nehmere Leute als wir, der Doctor Luther und der alte Fritz, andere große
Helden und Heilige und, wie schon bemerkt, der Herr Christus, ja der liebe
Gott selber gefallen lassen sollen und wirklich geduldig gefallen lassen, daß die
Ausgelassenheit des deutschen Volkshumors ihrem Wesen eine Dosis Komik
beimischt und allerlei Schnurren und schwanke von ihnen erzählt." Wir meinen,
^ hätte hier auch noch das Sprichwort herangezogen werden können: "Was
sich liebt, das neckt sich", wenn man Rücksicht auf beschränkte Köpfe nehmen
on müssen meinte, die keinen Spaß verstehen.

Noch viel häufiger und bunter als die Fälle, wo der Humor des Volkes
ganze Landschaften und Stämme Deutschlands verspottet und schraubt, sind
diejenigen, wo er einzelne Städte oder Dörfer neckt oder in die verkehrte Welt
Ersetzt, und so beschäftigen sich mit den Erzeugnissen dieser Neckerei, den
deutschen Narrenstädten, die ihr Gesammtbild in Schilda haben, nicht weniger
drei Kapitel unseres Buches, die denn die Sache auch so ziemlich erschöpfen,
indem sie uns zunächst über die Entstehung und weite Verbreitung der Nach¬
reden unterrichten, welche Hunderte von deutschen Orten lächerlich machten, und
sodann die Geschichtchen, die ihnen nachgesagt werden und die Spitznamen, mit
denen man sie oder ihre Einwohner ärgert, Revüe passiren lassen. Wir ersehen
daraus, daß in Norddeutschland Schleswig-Holstein und die Provinz Preußen,
i>n Süden aber Schwaben, die Schweiz und Tirol besonders reich an Städtchen
und Dörfern sind, denen der Volkswitz Schildbürgerstreiche angedichtet oder
komische Beinamen gegeben hat. Der Bericht über die transalbingischen Schild¬
bürger umfaßt nicht weniger als zehn, der über die oft- und westpreußischen
fast sieben, der über die westfälischen fünf Seiten unsrer Schrift, während die
schwäbischen Verwandten deren mehr als sechs, die schweizerischen deren nahezu
acht in Anspruch nehmen.


Grenzboten N, 1377. 28

Spottes begossen hat, die unser sterbliches Theil mit Kleidern versorgt. Aber
»und bei den andern Ständen und Gewerben ist unseres Wissens nichts unbe¬
achtet geblieben, was der Volkshumor in seiner Lust am Schrauben und Foppen
vergnüglich an ihnen verbrochen hat, und Dasselbe gilt von den Sachsen und
Schwaben, den Hessen, Westfalen, Schlesien: und wie sie sonst heißen, denen
jener neckische Kobold „eins angehangen hat". Ist darunter manches, was ver¬
drießen kann, so ist anzunehmen, daß dieß verständige Leute nicht anfechten
wird. Zum Ueberfluß aber beginnt der Verfasser diesen Abschnitt mit der Ent¬
schuldigung: „Mit Gunst, und nichts für ungut! Wer im Nachstehenden auf
etwas stößt, was ihn verstimmen will, der erinnere sich, bevor er sich ärgert,
an zweierlei: erstens, daß das Buch eine Gabe zum Karneval sein will, und
daß während des Karnevals Narrenfreiheit herrscht, die allen Scherz, aber
weder Uebelnehmen noch Uebelmeinen erlaubt, zweitens, daß sichs viel vor¬
nehmere Leute als wir, der Doctor Luther und der alte Fritz, andere große
Helden und Heilige und, wie schon bemerkt, der Herr Christus, ja der liebe
Gott selber gefallen lassen sollen und wirklich geduldig gefallen lassen, daß die
Ausgelassenheit des deutschen Volkshumors ihrem Wesen eine Dosis Komik
beimischt und allerlei Schnurren und schwanke von ihnen erzählt." Wir meinen,
^ hätte hier auch noch das Sprichwort herangezogen werden können: „Was
sich liebt, das neckt sich", wenn man Rücksicht auf beschränkte Köpfe nehmen
on müssen meinte, die keinen Spaß verstehen.

Noch viel häufiger und bunter als die Fälle, wo der Humor des Volkes
ganze Landschaften und Stämme Deutschlands verspottet und schraubt, sind
diejenigen, wo er einzelne Städte oder Dörfer neckt oder in die verkehrte Welt
Ersetzt, und so beschäftigen sich mit den Erzeugnissen dieser Neckerei, den
deutschen Narrenstädten, die ihr Gesammtbild in Schilda haben, nicht weniger
drei Kapitel unseres Buches, die denn die Sache auch so ziemlich erschöpfen,
indem sie uns zunächst über die Entstehung und weite Verbreitung der Nach¬
reden unterrichten, welche Hunderte von deutschen Orten lächerlich machten, und
sodann die Geschichtchen, die ihnen nachgesagt werden und die Spitznamen, mit
denen man sie oder ihre Einwohner ärgert, Revüe passiren lassen. Wir ersehen
daraus, daß in Norddeutschland Schleswig-Holstein und die Provinz Preußen,
i>n Süden aber Schwaben, die Schweiz und Tirol besonders reich an Städtchen
und Dörfern sind, denen der Volkswitz Schildbürgerstreiche angedichtet oder
komische Beinamen gegeben hat. Der Bericht über die transalbingischen Schild¬
bürger umfaßt nicht weniger als zehn, der über die oft- und westpreußischen
fast sieben, der über die westfälischen fünf Seiten unsrer Schrift, während die
schwäbischen Verwandten deren mehr als sechs, die schweizerischen deren nahezu
acht in Anspruch nehmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/221>, abgerufen am 01.07.2024.