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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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natur gewordene Bildung und Denkart der höfischen und ritterliche" Kreise,
uns die zwecklosen Düfteleien der Gelehrten, auf die himmelssüchtige Mystik
des einen nud deu leeren Ceremoniendienst des andern Theils der Kirche uicht
zu verachtende Vorzüge darstellten. Bald lernte das Volk diese Vorzüge zu
Vortheilen ausmünzen, und wenn vor seinem Mutterwitz die Vornehmheit der
Adeligen und die schale Weisheit der Schule bisweilen das Feld räumen
mußten, so nahm sich das komisch aus. Es sah sich an wie David und
Goliath. Die Stimmung der Zeit verfolgte eine Richtung, wie sie einst die
Cyniker verfolgt hatten, und wie sie später Rousseau einschlug, d. h. die ein¬
fache Menschlichkeit suchte sich von den Bauden freizumachen, in die sie die
Ueberfeinerung der Sitte und Lehre geschlagen. Zugleich aber strebten die
Stände, welche die Einfalt der Natur vertraten, mit Macht zu der Stellung
empor, die das in ihnen erwachte Selbstgefühl verlangte. Dem Gewaltbesitz
der herrschenden Klassen gegenüber bediente man sich der List, der Angriffs¬
waffe aller Schwachen, als Schild nahm man den Schein der Thorheit vor.
Der Narr erschien ungefährlich in seinem Reden und Thun, aber er hatte den
Schelm im Nacken und verstand es vortrefflich, die Blößen des Gegners her¬
auszufinden und ihm zur rechten Zeit ein Bein zu stellen.

Allmählich waren hierdurch weite Kreise des Volkes und ein Theil der
Literatur zu einem Bilde der verkehrten Welt geworden. Das Niedere rückte
herauf, das Obere herunter. Schnurren, Possen und burleske Prellküuste
gingen von Mund zu Mund, das Sylbenstecher, Häufeln, Foppen und Necken
florirte, wo man ging und stand. Kaum gab es noch etwas Ernstes, dem sich
nicht ein Spaß an den Arm oder auf den Rücken hing. Wie unter den
Menschen, so nahm in den schalkhaften Historien dieser Tage auch unter den
Thieren und droben im Himmel Alles diese Wendung. Der Humor wurde
als lustiger Rath Hausgenosse der Fürsten. Er stellte sich Possen reißend
neben den Arzt, der mit seinen Wunderkuren und seinen Alles heilenden Pillen
und Tränkchen die Märkte besuchte. Wie früher die Geißler im Büßergewande,
so zogen jetzt fahrende Leute mit dem Fuchsschwanz und den Eselsohren, den
Schellen und dem Kolben des Hanswursts in Schaaren durch die Städte, und
statt der Litaneien jener erschallten nun die Jubelrufe und Neckereien dieser
in den Gassen. Zuweilen warf ein Narrenverein den Ernst ganz bei Seite
und lebte im steten Gegensatze zu der Ehrbarkeit und Gesetztheit des bürger¬
lichen Herkommens -- ein Antipode des Mönchthums in seinem Gegensatze zur
Weltlichkeit. Spaßvogel wanderten, mit Thorheiten den Alltagsverstand be¬
kämpfend, durch das Land -- eine Parodie der fahrenden Ritter, die ehedem
gegen Riesen und Drachen gestritten. An den Universitäten disputirte man
über skurrile Themata. Die Aufuahmeeeremonien der Zünfte erhielten komische


natur gewordene Bildung und Denkart der höfischen und ritterliche« Kreise,
uns die zwecklosen Düfteleien der Gelehrten, auf die himmelssüchtige Mystik
des einen nud deu leeren Ceremoniendienst des andern Theils der Kirche uicht
zu verachtende Vorzüge darstellten. Bald lernte das Volk diese Vorzüge zu
Vortheilen ausmünzen, und wenn vor seinem Mutterwitz die Vornehmheit der
Adeligen und die schale Weisheit der Schule bisweilen das Feld räumen
mußten, so nahm sich das komisch aus. Es sah sich an wie David und
Goliath. Die Stimmung der Zeit verfolgte eine Richtung, wie sie einst die
Cyniker verfolgt hatten, und wie sie später Rousseau einschlug, d. h. die ein¬
fache Menschlichkeit suchte sich von den Bauden freizumachen, in die sie die
Ueberfeinerung der Sitte und Lehre geschlagen. Zugleich aber strebten die
Stände, welche die Einfalt der Natur vertraten, mit Macht zu der Stellung
empor, die das in ihnen erwachte Selbstgefühl verlangte. Dem Gewaltbesitz
der herrschenden Klassen gegenüber bediente man sich der List, der Angriffs¬
waffe aller Schwachen, als Schild nahm man den Schein der Thorheit vor.
Der Narr erschien ungefährlich in seinem Reden und Thun, aber er hatte den
Schelm im Nacken und verstand es vortrefflich, die Blößen des Gegners her¬
auszufinden und ihm zur rechten Zeit ein Bein zu stellen.

Allmählich waren hierdurch weite Kreise des Volkes und ein Theil der
Literatur zu einem Bilde der verkehrten Welt geworden. Das Niedere rückte
herauf, das Obere herunter. Schnurren, Possen und burleske Prellküuste
gingen von Mund zu Mund, das Sylbenstecher, Häufeln, Foppen und Necken
florirte, wo man ging und stand. Kaum gab es noch etwas Ernstes, dem sich
nicht ein Spaß an den Arm oder auf den Rücken hing. Wie unter den
Menschen, so nahm in den schalkhaften Historien dieser Tage auch unter den
Thieren und droben im Himmel Alles diese Wendung. Der Humor wurde
als lustiger Rath Hausgenosse der Fürsten. Er stellte sich Possen reißend
neben den Arzt, der mit seinen Wunderkuren und seinen Alles heilenden Pillen
und Tränkchen die Märkte besuchte. Wie früher die Geißler im Büßergewande,
so zogen jetzt fahrende Leute mit dem Fuchsschwanz und den Eselsohren, den
Schellen und dem Kolben des Hanswursts in Schaaren durch die Städte, und
statt der Litaneien jener erschallten nun die Jubelrufe und Neckereien dieser
in den Gassen. Zuweilen warf ein Narrenverein den Ernst ganz bei Seite
und lebte im steten Gegensatze zu der Ehrbarkeit und Gesetztheit des bürger¬
lichen Herkommens — ein Antipode des Mönchthums in seinem Gegensatze zur
Weltlichkeit. Spaßvogel wanderten, mit Thorheiten den Alltagsverstand be¬
kämpfend, durch das Land — eine Parodie der fahrenden Ritter, die ehedem
gegen Riesen und Drachen gestritten. An den Universitäten disputirte man
über skurrile Themata. Die Aufuahmeeeremonien der Zünfte erhielten komische


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[0219] natur gewordene Bildung und Denkart der höfischen und ritterliche« Kreise, uns die zwecklosen Düfteleien der Gelehrten, auf die himmelssüchtige Mystik des einen nud deu leeren Ceremoniendienst des andern Theils der Kirche uicht zu verachtende Vorzüge darstellten. Bald lernte das Volk diese Vorzüge zu Vortheilen ausmünzen, und wenn vor seinem Mutterwitz die Vornehmheit der Adeligen und die schale Weisheit der Schule bisweilen das Feld räumen mußten, so nahm sich das komisch aus. Es sah sich an wie David und Goliath. Die Stimmung der Zeit verfolgte eine Richtung, wie sie einst die Cyniker verfolgt hatten, und wie sie später Rousseau einschlug, d. h. die ein¬ fache Menschlichkeit suchte sich von den Bauden freizumachen, in die sie die Ueberfeinerung der Sitte und Lehre geschlagen. Zugleich aber strebten die Stände, welche die Einfalt der Natur vertraten, mit Macht zu der Stellung empor, die das in ihnen erwachte Selbstgefühl verlangte. Dem Gewaltbesitz der herrschenden Klassen gegenüber bediente man sich der List, der Angriffs¬ waffe aller Schwachen, als Schild nahm man den Schein der Thorheit vor. Der Narr erschien ungefährlich in seinem Reden und Thun, aber er hatte den Schelm im Nacken und verstand es vortrefflich, die Blößen des Gegners her¬ auszufinden und ihm zur rechten Zeit ein Bein zu stellen. Allmählich waren hierdurch weite Kreise des Volkes und ein Theil der Literatur zu einem Bilde der verkehrten Welt geworden. Das Niedere rückte herauf, das Obere herunter. Schnurren, Possen und burleske Prellküuste gingen von Mund zu Mund, das Sylbenstecher, Häufeln, Foppen und Necken florirte, wo man ging und stand. Kaum gab es noch etwas Ernstes, dem sich nicht ein Spaß an den Arm oder auf den Rücken hing. Wie unter den Menschen, so nahm in den schalkhaften Historien dieser Tage auch unter den Thieren und droben im Himmel Alles diese Wendung. Der Humor wurde als lustiger Rath Hausgenosse der Fürsten. Er stellte sich Possen reißend neben den Arzt, der mit seinen Wunderkuren und seinen Alles heilenden Pillen und Tränkchen die Märkte besuchte. Wie früher die Geißler im Büßergewande, so zogen jetzt fahrende Leute mit dem Fuchsschwanz und den Eselsohren, den Schellen und dem Kolben des Hanswursts in Schaaren durch die Städte, und statt der Litaneien jener erschallten nun die Jubelrufe und Neckereien dieser in den Gassen. Zuweilen warf ein Narrenverein den Ernst ganz bei Seite und lebte im steten Gegensatze zu der Ehrbarkeit und Gesetztheit des bürger¬ lichen Herkommens — ein Antipode des Mönchthums in seinem Gegensatze zur Weltlichkeit. Spaßvogel wanderten, mit Thorheiten den Alltagsverstand be¬ kämpfend, durch das Land — eine Parodie der fahrenden Ritter, die ehedem gegen Riesen und Drachen gestritten. An den Universitäten disputirte man über skurrile Themata. Die Aufuahmeeeremonien der Zünfte erhielten komische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/219>, abgerufen am 26.06.2024.