Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
"O, nie umfaß ich ihn wieder,
Niemals kehret er heim zum theueren Vaterlande,
Ja, zum Trauergcschickc fuhr hin mein trauter Odysseus!"

Dem Fremdling aber verheißt sie zum Lohne für die bittersüße Kunde
ihn im Palaste zu pflegen und immerdar ihm dankbar zu sein. Es ist
Odysseus selber, zu dem sie mit Thränen wehmüthiger Erinnerung diese Worte
spricht. Er ist unerkannt zurückgekehrt, hat alles zur Bestrafung der frevelnden
Freier vorbereitet, und die Rache erfüllt sich. Nach der Ausführung gibt er
sich der Gattin zu erkennen. Aber sie ist noch ungläubig, denn ihr schaudert
bei dem Gedanken, daß ein Fremder durch Aehnlichkeit mit dem Gatten unter¬
stützt sie täuschen könne. Deshalb versucht sie ihn durch die Frage nach einer
nur ihm bekannten geheimen Einrichtung im Schlafgemach. Odysseus gibt die
richtige Antwort, und der Gattin


"erzitterten Herz und Kniee,
Als sie die Zeichen erkannt, die richtig verkündet Odysseus.
Thränenbcnetzt flog hin sie zu ihm und sank mit den Armen
Ihrem Gemahl um den Hals, und das Haupt ihm küssend begann sie:
""Zürne mir nicht, mein Theurer, du warst allzeit ja vor Andern
Wcisheitsvollen Gemüths! Unsterbliche gaben uns Elend,
Denen zu groß es erschien, daß wir einträchtig zusammen
Unserer Jugend genießend der Schwelle nahten des Alters.
Aber du mußt deshalb mir so bös nicht oder erzürnt sein,
Weil ich zuerst nicht gleich bei dem Anblick selbst dich bewillkommt.
Doch nunmehr, nachdem du genau mir die Zeichen genannt hast.
Nunmehr hast du mein Herz erweicht, so hart es zuvor war."" --
Sprach's und erweckt' ihm stärker der Sehnsucht Schmerz im Gemüthe.
Weinend umarmt' er die treue, die herzcinnehmende Gattin,
Und fest hielt um den Hals sie die weißen Arme geschlungen."

Wie der Name der Penelope für die Griechen zum Symbol einer treuen
Gattin geworden war, so war Andromache das Vorbild einer innig und leiden¬
schaftlich liebenden Frau, bei deren Charakterzeichnung ich mich aber ans wenige
hervorragende Züge beschränken will.

Hektor hat sich zum entscheidenden Kampfe gewaffnet. Am Thore der
Vaterstadt tritt ihm die Gattin mit dem unmündigen Sohn entgegen, das
Herz voll banger Ahnung des nahenden Unheils, und weinend ruft sie ihm
ö": "O du Grausamer, du gehst in den Tod, und es jammert dich nicht des
unmündigen Sohnes, noch meiner, der Armen, die bald gattenlos sein wird,
^ut doch wäre mir besser in den Hades zu steigen, wenn ich deiner beraubt
^n; deun kein Trost wird mir mehr werden, sondern eitel Jammer, wenn
dich das Verhüngniß erreicht hat:


Denn entrissen ja sind mir die liebenden Eltern, sie beide,
Und du bist mir, o Hektor, jetzt Bater und herzige Mutter,
Bist mir Bruder und Schwester und Gatte; so habe denn Mitleid,
Wandele nicht zur Waise dein Kind und die Gattin zur Wittwe!"

„O, nie umfaß ich ihn wieder,
Niemals kehret er heim zum theueren Vaterlande,
Ja, zum Trauergcschickc fuhr hin mein trauter Odysseus!"

Dem Fremdling aber verheißt sie zum Lohne für die bittersüße Kunde
ihn im Palaste zu pflegen und immerdar ihm dankbar zu sein. Es ist
Odysseus selber, zu dem sie mit Thränen wehmüthiger Erinnerung diese Worte
spricht. Er ist unerkannt zurückgekehrt, hat alles zur Bestrafung der frevelnden
Freier vorbereitet, und die Rache erfüllt sich. Nach der Ausführung gibt er
sich der Gattin zu erkennen. Aber sie ist noch ungläubig, denn ihr schaudert
bei dem Gedanken, daß ein Fremder durch Aehnlichkeit mit dem Gatten unter¬
stützt sie täuschen könne. Deshalb versucht sie ihn durch die Frage nach einer
nur ihm bekannten geheimen Einrichtung im Schlafgemach. Odysseus gibt die
richtige Antwort, und der Gattin


„erzitterten Herz und Kniee,
Als sie die Zeichen erkannt, die richtig verkündet Odysseus.
Thränenbcnetzt flog hin sie zu ihm und sank mit den Armen
Ihrem Gemahl um den Hals, und das Haupt ihm küssend begann sie:
„„Zürne mir nicht, mein Theurer, du warst allzeit ja vor Andern
Wcisheitsvollen Gemüths! Unsterbliche gaben uns Elend,
Denen zu groß es erschien, daß wir einträchtig zusammen
Unserer Jugend genießend der Schwelle nahten des Alters.
Aber du mußt deshalb mir so bös nicht oder erzürnt sein,
Weil ich zuerst nicht gleich bei dem Anblick selbst dich bewillkommt.
Doch nunmehr, nachdem du genau mir die Zeichen genannt hast.
Nunmehr hast du mein Herz erweicht, so hart es zuvor war."" —
Sprach's und erweckt' ihm stärker der Sehnsucht Schmerz im Gemüthe.
Weinend umarmt' er die treue, die herzcinnehmende Gattin,
Und fest hielt um den Hals sie die weißen Arme geschlungen."

Wie der Name der Penelope für die Griechen zum Symbol einer treuen
Gattin geworden war, so war Andromache das Vorbild einer innig und leiden¬
schaftlich liebenden Frau, bei deren Charakterzeichnung ich mich aber ans wenige
hervorragende Züge beschränken will.

Hektor hat sich zum entscheidenden Kampfe gewaffnet. Am Thore der
Vaterstadt tritt ihm die Gattin mit dem unmündigen Sohn entgegen, das
Herz voll banger Ahnung des nahenden Unheils, und weinend ruft sie ihm
ö": „O du Grausamer, du gehst in den Tod, und es jammert dich nicht des
unmündigen Sohnes, noch meiner, der Armen, die bald gattenlos sein wird,
^ut doch wäre mir besser in den Hades zu steigen, wenn ich deiner beraubt
^n; deun kein Trost wird mir mehr werden, sondern eitel Jammer, wenn
dich das Verhüngniß erreicht hat:


Denn entrissen ja sind mir die liebenden Eltern, sie beide,
Und du bist mir, o Hektor, jetzt Bater und herzige Mutter,
Bist mir Bruder und Schwester und Gatte; so habe denn Mitleid,
Wandele nicht zur Waise dein Kind und die Gattin zur Wittwe!"

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0215" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137916"/>
          <quote> &#x201E;O, nie umfaß ich ihn wieder,<lb/>
Niemals kehret er heim zum theueren Vaterlande,<lb/>
Ja, zum Trauergcschickc fuhr hin mein trauter Odysseus!"</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_569"> Dem Fremdling aber verheißt sie zum Lohne für die bittersüße Kunde<lb/>
ihn im Palaste zu pflegen und immerdar ihm dankbar zu sein. Es ist<lb/>
Odysseus selber, zu dem sie mit Thränen wehmüthiger Erinnerung diese Worte<lb/>
spricht. Er ist unerkannt zurückgekehrt, hat alles zur Bestrafung der frevelnden<lb/>
Freier vorbereitet, und die Rache erfüllt sich. Nach der Ausführung gibt er<lb/>
sich der Gattin zu erkennen. Aber sie ist noch ungläubig, denn ihr schaudert<lb/>
bei dem Gedanken, daß ein Fremder durch Aehnlichkeit mit dem Gatten unter¬<lb/>
stützt sie täuschen könne. Deshalb versucht sie ihn durch die Frage nach einer<lb/>
nur ihm bekannten geheimen Einrichtung im Schlafgemach. Odysseus gibt die<lb/>
richtige Antwort, und der Gattin</p><lb/>
          <quote> &#x201E;erzitterten Herz und Kniee,<lb/>
Als sie die Zeichen erkannt, die richtig verkündet Odysseus.<lb/>
Thränenbcnetzt flog hin sie zu ihm und sank mit den Armen<lb/>
Ihrem Gemahl um den Hals, und das Haupt ihm küssend begann sie:<lb/>
&#x201E;&#x201E;Zürne mir nicht, mein Theurer, du warst allzeit ja vor Andern<lb/>
Wcisheitsvollen Gemüths! Unsterbliche gaben uns Elend,<lb/>
Denen zu groß es erschien, daß wir einträchtig zusammen<lb/>
Unserer Jugend genießend der Schwelle nahten des Alters.<lb/>
Aber du mußt deshalb mir so bös nicht oder erzürnt sein,<lb/>
Weil ich zuerst nicht gleich bei dem Anblick selbst dich bewillkommt.<lb/>
Doch nunmehr, nachdem du genau mir die Zeichen genannt hast.<lb/>
Nunmehr hast du mein Herz erweicht, so hart es zuvor war."" &#x2014;<lb/>
Sprach's und erweckt' ihm stärker der Sehnsucht Schmerz im Gemüthe.<lb/>
Weinend umarmt' er die treue, die herzcinnehmende Gattin,<lb/>
Und fest hielt um den Hals sie die weißen Arme geschlungen."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_570"> Wie der Name der Penelope für die Griechen zum Symbol einer treuen<lb/>
Gattin geworden war, so war Andromache das Vorbild einer innig und leiden¬<lb/>
schaftlich liebenden Frau, bei deren Charakterzeichnung ich mich aber ans wenige<lb/>
hervorragende Züge beschränken will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_571"> Hektor hat sich zum entscheidenden Kampfe gewaffnet. Am Thore der<lb/>
Vaterstadt tritt ihm die Gattin mit dem unmündigen Sohn entgegen, das<lb/>
Herz voll banger Ahnung des nahenden Unheils, und weinend ruft sie ihm<lb/>
ö": &#x201E;O du Grausamer, du gehst in den Tod, und es jammert dich nicht des<lb/>
unmündigen Sohnes, noch meiner, der Armen, die bald gattenlos sein wird,<lb/>
^ut doch wäre mir besser in den Hades zu steigen, wenn ich deiner beraubt<lb/>
^n; deun kein Trost wird mir mehr werden, sondern eitel Jammer, wenn<lb/>
dich das Verhüngniß erreicht hat:</p><lb/>
          <quote> Denn entrissen ja sind mir die liebenden Eltern, sie beide,<lb/>
Und du bist mir, o Hektor, jetzt Bater und herzige Mutter,<lb/>
Bist mir Bruder und Schwester und Gatte; so habe denn Mitleid,<lb/>
Wandele nicht zur Waise dein Kind und die Gattin zur Wittwe!"</quote><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0215] „O, nie umfaß ich ihn wieder, Niemals kehret er heim zum theueren Vaterlande, Ja, zum Trauergcschickc fuhr hin mein trauter Odysseus!" Dem Fremdling aber verheißt sie zum Lohne für die bittersüße Kunde ihn im Palaste zu pflegen und immerdar ihm dankbar zu sein. Es ist Odysseus selber, zu dem sie mit Thränen wehmüthiger Erinnerung diese Worte spricht. Er ist unerkannt zurückgekehrt, hat alles zur Bestrafung der frevelnden Freier vorbereitet, und die Rache erfüllt sich. Nach der Ausführung gibt er sich der Gattin zu erkennen. Aber sie ist noch ungläubig, denn ihr schaudert bei dem Gedanken, daß ein Fremder durch Aehnlichkeit mit dem Gatten unter¬ stützt sie täuschen könne. Deshalb versucht sie ihn durch die Frage nach einer nur ihm bekannten geheimen Einrichtung im Schlafgemach. Odysseus gibt die richtige Antwort, und der Gattin „erzitterten Herz und Kniee, Als sie die Zeichen erkannt, die richtig verkündet Odysseus. Thränenbcnetzt flog hin sie zu ihm und sank mit den Armen Ihrem Gemahl um den Hals, und das Haupt ihm küssend begann sie: „„Zürne mir nicht, mein Theurer, du warst allzeit ja vor Andern Wcisheitsvollen Gemüths! Unsterbliche gaben uns Elend, Denen zu groß es erschien, daß wir einträchtig zusammen Unserer Jugend genießend der Schwelle nahten des Alters. Aber du mußt deshalb mir so bös nicht oder erzürnt sein, Weil ich zuerst nicht gleich bei dem Anblick selbst dich bewillkommt. Doch nunmehr, nachdem du genau mir die Zeichen genannt hast. Nunmehr hast du mein Herz erweicht, so hart es zuvor war."" — Sprach's und erweckt' ihm stärker der Sehnsucht Schmerz im Gemüthe. Weinend umarmt' er die treue, die herzcinnehmende Gattin, Und fest hielt um den Hals sie die weißen Arme geschlungen." Wie der Name der Penelope für die Griechen zum Symbol einer treuen Gattin geworden war, so war Andromache das Vorbild einer innig und leiden¬ schaftlich liebenden Frau, bei deren Charakterzeichnung ich mich aber ans wenige hervorragende Züge beschränken will. Hektor hat sich zum entscheidenden Kampfe gewaffnet. Am Thore der Vaterstadt tritt ihm die Gattin mit dem unmündigen Sohn entgegen, das Herz voll banger Ahnung des nahenden Unheils, und weinend ruft sie ihm ö": „O du Grausamer, du gehst in den Tod, und es jammert dich nicht des unmündigen Sohnes, noch meiner, der Armen, die bald gattenlos sein wird, ^ut doch wäre mir besser in den Hades zu steigen, wenn ich deiner beraubt ^n; deun kein Trost wird mir mehr werden, sondern eitel Jammer, wenn dich das Verhüngniß erreicht hat: Denn entrissen ja sind mir die liebenden Eltern, sie beide, Und du bist mir, o Hektor, jetzt Bater und herzige Mutter, Bist mir Bruder und Schwester und Gatte; so habe denn Mitleid, Wandele nicht zur Waise dein Kind und die Gattin zur Wittwe!"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/215
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/215>, abgerufen am 26.06.2024.