Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.die Sache übel. Kapp greift zur Feder, um für sich selbst sein Verfahre" Feuerbach klagt, daß er aufschreiben soll, was er gedacht. "Nur im Zu Feuerbachs Leben und Briefwechsel, dem von K. Grün herausgegebenen M. Carriere. Verantwortlicher Redacteur: ol. Haus Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Hiithel Herrmann in Leipzig. die Sache übel. Kapp greift zur Feder, um für sich selbst sein Verfahre» Feuerbach klagt, daß er aufschreiben soll, was er gedacht. „Nur im Zu Feuerbachs Leben und Briefwechsel, dem von K. Grün herausgegebenen M. Carriere. Verantwortlicher Redacteur: ol. Haus Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hiithel Herrmann in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137905"/> <p xml:id="ID_521" prev="#ID_520"> die Sache übel. Kapp greift zur Feder, um für sich selbst sein Verfahre»<lb/> festzustellen, zu rechtfertigen, Fellerbachs krankhafte Reizbarkeit zu beleuchten,<lb/> „seine Lage entschuldigt seine Flegelhaftigkeit!" — „Die Schatten wie die<lb/> Lichter in seinem Leben und Denken sind dieselben", — und dann dem Freunde<lb/> die Hand zur Versöhnung zu reichen. Feilerbach ist verstimmt, daß er einsam<lb/> dasteht, und trägt doch' die Schuld, daß er sich der akademischen Ordnung<lb/> uicht fügen mochte; dann aber sagt er trefflich: „Was soll man klagen oder<lb/> schelten? Die einzig vernünftige Rache ist, sich nicht in seiner Freiheit stören<lb/> zu lassen und die eingebornen Ideen als einen heiligen Schatz rein und un¬<lb/> befleckt in sich zu bewahren und in vollendeten Formen auszubilden." Ich<lb/> stelle einige andere Aussprüche Feilerbachs zusammen. „Kostbar sind die Steine,<lb/> herrlich dle Perlen, aber noch kostbarer, herrlicher die Wesen, denen sie zum<lb/> Schmucke dienen: die Frauen. Wohl gleiche der Philosoph dem Diamant, der<lb/> den höchste» Härtegrad besitzt: er werde uur durch sich selbst geritzt; aber er<lb/> verschmähe es auch nicht, wie der Diamant vom Feuer der Liebe sich ver-<lb/> zehren zu lassen. Alles Menschliche vereine der Philosoph in sich, nichts<lb/> schließe er von sich aus. Auch dein Schmerz der Liebe gebe er seine Rechte.<lb/> Wo die Menschen schweigen, reden die Steine; aber wo die Liebe spricht, ver¬<lb/> stummen hinwieder die Steine, und wo ein Menschenauge sich trübt, da ver¬<lb/> lieren auch die schönsten Steine ihren Glanz. Mehr sollen — werden daher<lb/> mich jetzt gute Nachrichten von Deiner Frau erfreuen, als der schönste Stein<lb/> aus Heidelberg." (Kapp hatte ihn in die Geologie eingeführt, ihm Stücke<lb/> aus der eignen Mineraliensammlung gesandt.)</p><lb/> <p xml:id="ID_522"> Feuerbach klagt, daß er aufschreiben soll, was er gedacht. „Nur im<lb/> Innern tobt das Feuer des Lebens. Der Kanal der Feder ist mir zu enge,<lb/> aufs Papier fallen nur Staub und Asche. Ich bin so wenig wie Du eigent¬<lb/> licher, d. h. allezeit leichtflüssiger Schriftsteller. Glücklich der, welcher ohne<lb/> schmerzliche Unterbrechung seine Gedanken und Empfindungen zu Tage fördern<lb/> kann. Ich wollt', ich könnte die Welt — die Feder auf dem Hut, statt in der<lb/> Hand,— durchschweifen, frei und frank. Mein Leben ist der vollständigste Wider¬<lb/> spruch, der sich nur denken läßt." Kapp schrieb früher: „Kein Baum treibt alle<lb/> seine Blüten zu Früchten, und der ärmliche Nvthbedarf der Mittheilung, das<lb/> Schreiben, das Schreiben mit blöde werdenden Augen, wird mir täglich lästiger. Be¬<lb/> denke dies zur Warnung, daß Du mit Maß und Vorsicht Mikroskope brauchst.<lb/> Propheten und Dichter können ohne Noth erblinden. Philosophen müssen sehen,<lb/> wenn sie das Tiefste, die einzige Wahrheit, die Metaphysik im Leben, an¬<lb/> schaulich durchführend bis ins Kleinste entwickeln sollen."</p><lb/> <p xml:id="ID_523"> Zu Feuerbachs Leben und Briefwechsel, dem von K. Grün herausgegebenen<lb/> Buche, bildet das Borliegende eine nothwendige Ergänzung; der Charakter wie<lb/> die Bestrebungen des berühmten Denkers liegen hier klar zu Tage, und der<lb/> minder berühmte Mitstrebende würde noch bedeutender dastehen, wenn nicht<lb/> Feuerbach, in der schmählichen Reaktionszeit mit polizeilicher Ueverwachung<lb/> heimgesucht, viele Briefe von Andern an ihn leider unmuthsvoll verbrannt<lb/> hätte, statt ihnen eine gesicherte Aufbewahrung zu bereiten. Doch auch so ge¬<lb/> hört das Buch zu den Denkmalen unsrer Kulturgeschichte.</p><lb/> <note type="byline"> M. Carriere.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur: ol. Haus Blum in Leipzig.<lb/> Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hiithel Herrmann in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
die Sache übel. Kapp greift zur Feder, um für sich selbst sein Verfahre»
festzustellen, zu rechtfertigen, Fellerbachs krankhafte Reizbarkeit zu beleuchten,
„seine Lage entschuldigt seine Flegelhaftigkeit!" — „Die Schatten wie die
Lichter in seinem Leben und Denken sind dieselben", — und dann dem Freunde
die Hand zur Versöhnung zu reichen. Feilerbach ist verstimmt, daß er einsam
dasteht, und trägt doch' die Schuld, daß er sich der akademischen Ordnung
uicht fügen mochte; dann aber sagt er trefflich: „Was soll man klagen oder
schelten? Die einzig vernünftige Rache ist, sich nicht in seiner Freiheit stören
zu lassen und die eingebornen Ideen als einen heiligen Schatz rein und un¬
befleckt in sich zu bewahren und in vollendeten Formen auszubilden." Ich
stelle einige andere Aussprüche Feilerbachs zusammen. „Kostbar sind die Steine,
herrlich dle Perlen, aber noch kostbarer, herrlicher die Wesen, denen sie zum
Schmucke dienen: die Frauen. Wohl gleiche der Philosoph dem Diamant, der
den höchste» Härtegrad besitzt: er werde uur durch sich selbst geritzt; aber er
verschmähe es auch nicht, wie der Diamant vom Feuer der Liebe sich ver-
zehren zu lassen. Alles Menschliche vereine der Philosoph in sich, nichts
schließe er von sich aus. Auch dein Schmerz der Liebe gebe er seine Rechte.
Wo die Menschen schweigen, reden die Steine; aber wo die Liebe spricht, ver¬
stummen hinwieder die Steine, und wo ein Menschenauge sich trübt, da ver¬
lieren auch die schönsten Steine ihren Glanz. Mehr sollen — werden daher
mich jetzt gute Nachrichten von Deiner Frau erfreuen, als der schönste Stein
aus Heidelberg." (Kapp hatte ihn in die Geologie eingeführt, ihm Stücke
aus der eignen Mineraliensammlung gesandt.)
Feuerbach klagt, daß er aufschreiben soll, was er gedacht. „Nur im
Innern tobt das Feuer des Lebens. Der Kanal der Feder ist mir zu enge,
aufs Papier fallen nur Staub und Asche. Ich bin so wenig wie Du eigent¬
licher, d. h. allezeit leichtflüssiger Schriftsteller. Glücklich der, welcher ohne
schmerzliche Unterbrechung seine Gedanken und Empfindungen zu Tage fördern
kann. Ich wollt', ich könnte die Welt — die Feder auf dem Hut, statt in der
Hand,— durchschweifen, frei und frank. Mein Leben ist der vollständigste Wider¬
spruch, der sich nur denken läßt." Kapp schrieb früher: „Kein Baum treibt alle
seine Blüten zu Früchten, und der ärmliche Nvthbedarf der Mittheilung, das
Schreiben, das Schreiben mit blöde werdenden Augen, wird mir täglich lästiger. Be¬
denke dies zur Warnung, daß Du mit Maß und Vorsicht Mikroskope brauchst.
Propheten und Dichter können ohne Noth erblinden. Philosophen müssen sehen,
wenn sie das Tiefste, die einzige Wahrheit, die Metaphysik im Leben, an¬
schaulich durchführend bis ins Kleinste entwickeln sollen."
Zu Feuerbachs Leben und Briefwechsel, dem von K. Grün herausgegebenen
Buche, bildet das Borliegende eine nothwendige Ergänzung; der Charakter wie
die Bestrebungen des berühmten Denkers liegen hier klar zu Tage, und der
minder berühmte Mitstrebende würde noch bedeutender dastehen, wenn nicht
Feuerbach, in der schmählichen Reaktionszeit mit polizeilicher Ueverwachung
heimgesucht, viele Briefe von Andern an ihn leider unmuthsvoll verbrannt
hätte, statt ihnen eine gesicherte Aufbewahrung zu bereiten. Doch auch so ge¬
hört das Buch zu den Denkmalen unsrer Kulturgeschichte.
M. Carriere.
Verantwortlicher Redacteur: ol. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hiithel Herrmann in Leipzig.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |