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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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griffe von gegnerischer Seite genöthigt, den Nachdruck weniger auf den besten
Modus der künftigen Revision, als auf die Vertheidigung der vorhandenen
Grundlage der Gewerbeordnung zu legen.

Angesichts des akademischen Charakters, den die ganze Verhandlung trug,
ist es ohne Interesse, auf die Vorschläge der einzelnen Anträge näher einzu¬
gehen. Da Herr Hofmann für die nächste Session eine Vorlage, durch welche
die Gewerbeordnung im Punkte des Lehrliugswesens, der Frauen- und Kinder¬
arbeit und der Schiedsgerichte revidirt, beziehungsweise ergänzt werden soll,
bestimmt in Aussicht stellte, so wäre es überhaupt das Einfachste und Ver¬
ständigste gewesen, der Regierung die Anträge als Material zu ihren Vor¬
arbeiten zu überreichen. Statt dessen hat man beliebt, in diesem letzten Stadium
der Session noch eine besondere Kommission zu bilden und dieser das Durch¬
einander von Wünschen und Beschwerden aufzuhalsen. Wir fürchten indeß,
von den Thaten derselben wird schwerlich viel mehr zu verzeichnen sein, als
das Faktum ihrer Constituirung. Dies ist aber auch freilich von nicht ge¬
ringer symptomatischer Bedeutung. Nach dem bisherigen Verhältniß der Par¬
teien untereinander sowie nach dem Verlauf der Diskussion durfte man erwarten,
daß bei der Wahl der Vorsitzenden der Kommission die Freikonservativen mit
den Liberalen zusammengehen würden. Ans Seiten der letzteren hatte man die
Absicht, einen Nationalliberalen zum ersten und einen Freikonservativen zum
zweiten Vorsitzenden zu ernennen. Allein, zu allgemeiner Ueberraschung hatten
die Freikonservativcn im Verein mit den Deutschkouservativen bereits mit den
Ultramontanen paktirt, und so war das Resultat, daß mit Hülfe der ausschlag¬
gebenden Stimme des Socialdemokraten ein Deutschkonservativer zum ersten
und ein Ultramontaner zum zweiten Vorsitzenden der Kommission gewählt
wurde. Das Organ der Freikouservativen sucht hinterher in sichtlicher Ver¬
legenheit die Bedeutung dieser seltsamen Koalition abzuschwächen; aber ohne
Erfolg. Auf jeden Fall sind die Freikonservativen durch ihr Vorgehen in dieser
Angelegenheit arg kompromittirt.

Von ungleich praktischerer Tendenz, als die Gewerbeordnnngsverhandlung,
war die Zolldebatte. Sie stand im engsten Zusammenhange mit den entsprechenden
Vorgängen der letzten Session. Als die schntzMnerische Agitation gegen das
Gesetz von 1873, nach welchem mit dem 1. Januar 1857 alle noch bestehenden
Eisenzölle in Wegfall kommen mußte", sich im Reichstage ohne alle Hoffnung
sah, tauchte in letzter Stunde ein Gesetzentwurf der Regierungen auf, nach
welchen, Angesichts der in verschiedenen Staaten für Eisen und Zucker ge¬
währten Ansfnhrvergütungen auf die Einfuhr dieser Artikel eine diesen Ver¬
gütungen entsprechende "Ausgleichungsabgabe" gelegt werden sollte. Der Ge¬
setzentwurf wurde damals in der Kommission begraben. In der gegenwärtigen


griffe von gegnerischer Seite genöthigt, den Nachdruck weniger auf den besten
Modus der künftigen Revision, als auf die Vertheidigung der vorhandenen
Grundlage der Gewerbeordnung zu legen.

Angesichts des akademischen Charakters, den die ganze Verhandlung trug,
ist es ohne Interesse, auf die Vorschläge der einzelnen Anträge näher einzu¬
gehen. Da Herr Hofmann für die nächste Session eine Vorlage, durch welche
die Gewerbeordnung im Punkte des Lehrliugswesens, der Frauen- und Kinder¬
arbeit und der Schiedsgerichte revidirt, beziehungsweise ergänzt werden soll,
bestimmt in Aussicht stellte, so wäre es überhaupt das Einfachste und Ver¬
ständigste gewesen, der Regierung die Anträge als Material zu ihren Vor¬
arbeiten zu überreichen. Statt dessen hat man beliebt, in diesem letzten Stadium
der Session noch eine besondere Kommission zu bilden und dieser das Durch¬
einander von Wünschen und Beschwerden aufzuhalsen. Wir fürchten indeß,
von den Thaten derselben wird schwerlich viel mehr zu verzeichnen sein, als
das Faktum ihrer Constituirung. Dies ist aber auch freilich von nicht ge¬
ringer symptomatischer Bedeutung. Nach dem bisherigen Verhältniß der Par¬
teien untereinander sowie nach dem Verlauf der Diskussion durfte man erwarten,
daß bei der Wahl der Vorsitzenden der Kommission die Freikonservativen mit
den Liberalen zusammengehen würden. Ans Seiten der letzteren hatte man die
Absicht, einen Nationalliberalen zum ersten und einen Freikonservativen zum
zweiten Vorsitzenden zu ernennen. Allein, zu allgemeiner Ueberraschung hatten
die Freikonservativcn im Verein mit den Deutschkouservativen bereits mit den
Ultramontanen paktirt, und so war das Resultat, daß mit Hülfe der ausschlag¬
gebenden Stimme des Socialdemokraten ein Deutschkonservativer zum ersten
und ein Ultramontaner zum zweiten Vorsitzenden der Kommission gewählt
wurde. Das Organ der Freikouservativen sucht hinterher in sichtlicher Ver¬
legenheit die Bedeutung dieser seltsamen Koalition abzuschwächen; aber ohne
Erfolg. Auf jeden Fall sind die Freikonservativen durch ihr Vorgehen in dieser
Angelegenheit arg kompromittirt.

Von ungleich praktischerer Tendenz, als die Gewerbeordnnngsverhandlung,
war die Zolldebatte. Sie stand im engsten Zusammenhange mit den entsprechenden
Vorgängen der letzten Session. Als die schntzMnerische Agitation gegen das
Gesetz von 1873, nach welchem mit dem 1. Januar 1857 alle noch bestehenden
Eisenzölle in Wegfall kommen mußte», sich im Reichstage ohne alle Hoffnung
sah, tauchte in letzter Stunde ein Gesetzentwurf der Regierungen auf, nach
welchen, Angesichts der in verschiedenen Staaten für Eisen und Zucker ge¬
währten Ansfnhrvergütungen auf die Einfuhr dieser Artikel eine diesen Ver¬
gütungen entsprechende „Ausgleichungsabgabe" gelegt werden sollte. Der Ge¬
setzentwurf wurde damals in der Kommission begraben. In der gegenwärtigen


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[0199] griffe von gegnerischer Seite genöthigt, den Nachdruck weniger auf den besten Modus der künftigen Revision, als auf die Vertheidigung der vorhandenen Grundlage der Gewerbeordnung zu legen. Angesichts des akademischen Charakters, den die ganze Verhandlung trug, ist es ohne Interesse, auf die Vorschläge der einzelnen Anträge näher einzu¬ gehen. Da Herr Hofmann für die nächste Session eine Vorlage, durch welche die Gewerbeordnung im Punkte des Lehrliugswesens, der Frauen- und Kinder¬ arbeit und der Schiedsgerichte revidirt, beziehungsweise ergänzt werden soll, bestimmt in Aussicht stellte, so wäre es überhaupt das Einfachste und Ver¬ ständigste gewesen, der Regierung die Anträge als Material zu ihren Vor¬ arbeiten zu überreichen. Statt dessen hat man beliebt, in diesem letzten Stadium der Session noch eine besondere Kommission zu bilden und dieser das Durch¬ einander von Wünschen und Beschwerden aufzuhalsen. Wir fürchten indeß, von den Thaten derselben wird schwerlich viel mehr zu verzeichnen sein, als das Faktum ihrer Constituirung. Dies ist aber auch freilich von nicht ge¬ ringer symptomatischer Bedeutung. Nach dem bisherigen Verhältniß der Par¬ teien untereinander sowie nach dem Verlauf der Diskussion durfte man erwarten, daß bei der Wahl der Vorsitzenden der Kommission die Freikonservativen mit den Liberalen zusammengehen würden. Ans Seiten der letzteren hatte man die Absicht, einen Nationalliberalen zum ersten und einen Freikonservativen zum zweiten Vorsitzenden zu ernennen. Allein, zu allgemeiner Ueberraschung hatten die Freikonservativcn im Verein mit den Deutschkouservativen bereits mit den Ultramontanen paktirt, und so war das Resultat, daß mit Hülfe der ausschlag¬ gebenden Stimme des Socialdemokraten ein Deutschkonservativer zum ersten und ein Ultramontaner zum zweiten Vorsitzenden der Kommission gewählt wurde. Das Organ der Freikouservativen sucht hinterher in sichtlicher Ver¬ legenheit die Bedeutung dieser seltsamen Koalition abzuschwächen; aber ohne Erfolg. Auf jeden Fall sind die Freikonservativen durch ihr Vorgehen in dieser Angelegenheit arg kompromittirt. Von ungleich praktischerer Tendenz, als die Gewerbeordnnngsverhandlung, war die Zolldebatte. Sie stand im engsten Zusammenhange mit den entsprechenden Vorgängen der letzten Session. Als die schntzMnerische Agitation gegen das Gesetz von 1873, nach welchem mit dem 1. Januar 1857 alle noch bestehenden Eisenzölle in Wegfall kommen mußte», sich im Reichstage ohne alle Hoffnung sah, tauchte in letzter Stunde ein Gesetzentwurf der Regierungen auf, nach welchen, Angesichts der in verschiedenen Staaten für Eisen und Zucker ge¬ währten Ansfnhrvergütungen auf die Einfuhr dieser Artikel eine diesen Ver¬ gütungen entsprechende „Ausgleichungsabgabe" gelegt werden sollte. Der Ge¬ setzentwurf wurde damals in der Kommission begraben. In der gegenwärtigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/199>, abgerufen am 29.06.2024.