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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Dort sollte seine Absetzung überhaupt offiziell gar nicht erfahren, und derselbe
Offizier, der sie ihm nach der Meinung der Franzosen anzukündigen hatte,
sollte die ersten Fäden des preußisch-russischen Bündnisses schlingen. In El-
bing traf Natzmer, am 5. Januar Abends abgegangen, König Murat und
Macdonald. Jener zeigte sich sehr befriedigt über die Haltung des Königs,
dieser schalt bitter auf Jork; man ließ aber Natzmer zu Wittgenstein Weiter¬
reisen, dessen Corps er passiren mußte, wenn er nach Königsberg gelangen
wollte. Den Schein, als ob es ihm damit Ernst sei, nahm er auch dem russi¬
schen General gegenüber noch an; dieser jedoch erklärte ihm ohne weiteres, er
werde ihn nicht zu Jork reisen lassen; der König habe, unfrei wie er jetzt sei,
noch kein Recht, über jenes Corps zu bestimmen, das sich den Russen übergeben
habe. Als Natzmer dagegen Geleit zu Kaiser Alexander verlangte, gab ihm
der General sehr bereitwillig einen seiner Offiziere mit, und so erreichte jener
am 13. Januar Bobersk in Russisch-Litthauen unweit des Njemen. Der Zar,
dem ihn Fürst Kutusov vorstellte, empfing ihn sehr zuvorkommend und fragte
ihn zunächst mehrmals, ob der König seine Maßregeln gegen Aork ernst meine;
Natzmer verneinte dies mit voller Bestimmtheit. Alexander versicherte dann,
sein Zweck sei die Zurückweisung Frankreichs hinter den Rhein und die Her¬
stellung Preußens, nicht Eroberung; auch für Polen halte er die alte Theilung
unter die drei Großmächte für das Beste*). Von Oesterreich hoffte er Gutes,
da aus Schwarzenbergs Benehmen günstige Instruktionen des Wiener Kabinets
sich erkennen ließen; im Nothfall seit man auch stark genug zu einer Defensive
gegen Oesterreich, könne ihm auch die Türken ans den Hals schicken. Sodann
entwickelte der Kaiser seine nächsten militärischen Bewegungen: Kutnsov gehe
gegen Plock, Sacken auf Warschau. Bezüglich Ostpreußens, das sich schon
selbständig zu rühren begann, versicherte er, HM die Anerbietungen der
Stände nicht ohne die Genehmigung des Königs benutzen dürfen. Am Schlüsse
drängte er Natzmer zu schleuniger Rückreise, da er sichere Kunde habe von
einem Plane der Franzosen, sich der Person des Monarchen zu bemächtigen.





mehr vorhandenen offiziellen Berichts. Den letzteren theilt zum ersten Male E. G. v, Natz¬
mer mit, 94 --102. Häußer 4S nach Droysen.
*) Nach dem, was die Korrespondenz zwischen Kaiser Alexander und Fürst Czartoryski
(^.lexanärs se 1s xrinov Lüartorz^s^i. Lorresxonüanve et sonvsrs^lions 1801 -- 1323, Z?g>ris
1366) ergibt, war das durchaus nicht ehrlich. An demselben 13. Januar vielmehr schrieb
der Zar dem Fürsten unter Betonung der Schwierigkeiten, die jetzt eben den polnischen
Hoffnungen entgegenstünden, für das Beste halte er gegenwärtig einen Bündniszvertrag zwischen
Rußland und Polen zum Zwecke der Verwirklichung jener Hoffnungen. Der Brief voll¬
ständig nach einer Abschrift in Wien bei Oncken I, 226 f.

Dort sollte seine Absetzung überhaupt offiziell gar nicht erfahren, und derselbe
Offizier, der sie ihm nach der Meinung der Franzosen anzukündigen hatte,
sollte die ersten Fäden des preußisch-russischen Bündnisses schlingen. In El-
bing traf Natzmer, am 5. Januar Abends abgegangen, König Murat und
Macdonald. Jener zeigte sich sehr befriedigt über die Haltung des Königs,
dieser schalt bitter auf Jork; man ließ aber Natzmer zu Wittgenstein Weiter¬
reisen, dessen Corps er passiren mußte, wenn er nach Königsberg gelangen
wollte. Den Schein, als ob es ihm damit Ernst sei, nahm er auch dem russi¬
schen General gegenüber noch an; dieser jedoch erklärte ihm ohne weiteres, er
werde ihn nicht zu Jork reisen lassen; der König habe, unfrei wie er jetzt sei,
noch kein Recht, über jenes Corps zu bestimmen, das sich den Russen übergeben
habe. Als Natzmer dagegen Geleit zu Kaiser Alexander verlangte, gab ihm
der General sehr bereitwillig einen seiner Offiziere mit, und so erreichte jener
am 13. Januar Bobersk in Russisch-Litthauen unweit des Njemen. Der Zar,
dem ihn Fürst Kutusov vorstellte, empfing ihn sehr zuvorkommend und fragte
ihn zunächst mehrmals, ob der König seine Maßregeln gegen Aork ernst meine;
Natzmer verneinte dies mit voller Bestimmtheit. Alexander versicherte dann,
sein Zweck sei die Zurückweisung Frankreichs hinter den Rhein und die Her¬
stellung Preußens, nicht Eroberung; auch für Polen halte er die alte Theilung
unter die drei Großmächte für das Beste*). Von Oesterreich hoffte er Gutes,
da aus Schwarzenbergs Benehmen günstige Instruktionen des Wiener Kabinets
sich erkennen ließen; im Nothfall seit man auch stark genug zu einer Defensive
gegen Oesterreich, könne ihm auch die Türken ans den Hals schicken. Sodann
entwickelte der Kaiser seine nächsten militärischen Bewegungen: Kutnsov gehe
gegen Plock, Sacken auf Warschau. Bezüglich Ostpreußens, das sich schon
selbständig zu rühren begann, versicherte er, HM die Anerbietungen der
Stände nicht ohne die Genehmigung des Königs benutzen dürfen. Am Schlüsse
drängte er Natzmer zu schleuniger Rückreise, da er sichere Kunde habe von
einem Plane der Franzosen, sich der Person des Monarchen zu bemächtigen.





mehr vorhandenen offiziellen Berichts. Den letzteren theilt zum ersten Male E. G. v, Natz¬
mer mit, 94 —102. Häußer 4S nach Droysen.
*) Nach dem, was die Korrespondenz zwischen Kaiser Alexander und Fürst Czartoryski
(^.lexanärs se 1s xrinov Lüartorz^s^i. Lorresxonüanve et sonvsrs^lions 1801 — 1323, Z?g>ris
1366) ergibt, war das durchaus nicht ehrlich. An demselben 13. Januar vielmehr schrieb
der Zar dem Fürsten unter Betonung der Schwierigkeiten, die jetzt eben den polnischen
Hoffnungen entgegenstünden, für das Beste halte er gegenwärtig einen Bündniszvertrag zwischen
Rußland und Polen zum Zwecke der Verwirklichung jener Hoffnungen. Der Brief voll¬
ständig nach einer Abschrift in Wien bei Oncken I, 226 f.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/18>, abgerufen am 11.01.2025.