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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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aufgewärmt und namentlich von Schwärmern für Polen, von Ultramontanen,
unbelehrbar weifen Demokraten und ähnlichen Geistern als eine Wahrheit be¬
handelt wird, so wollen wir in einem Auszuge der vorliegenden, sonach nicht
überflüssigen Schrift nochmals zeigen, daß es Erfindung und nichts als Er¬
findung ist. Unsre Fabel datirt aus dem Jahre 1812. Napoleon lag damals
daran, das Gerücht zu verbreiten, Rußland denke an eine Weltherrschaft; ein
Projekt, welches ihm traditionell überliefert sei. Zu diesem Zweck ließ er von
dem Gelehrten Lesur, der im Ministerium des Auswärtigen zu Paris angestellt
war, ein fünfhundert Seiten starkes Buch ausarbeiten, welches den Titel:
"Des xrogrös as 1a puissanes russe äoxuis son in-igins MSyv.' g.u eom-
menesment, <w XIX. siöelk" führte, unter dem Scheine eines ernsten historischen
Werkes sofort den Zweck einer politischen Flugschrift erkennen ließ und neben
einer Andeutung, daß es in den Petersburger Archiven geheime Memoiren
Peters des Großen gebe, einen Auszug aus dem Testamente dieses Kaisers
mittheilte. Dieses angebliche Resum6 enthält in seinen ersten zwölf Para¬
graphen nichts als vatioinig, post "zvontum, indem Lesnr der Erzählung der
Thatsachen, welche in dem Augenblicke, wo er schrieb, sich schon vollzogen hatten,
die Form von Rathschlägen und Vorschriften gab, welche von Peter herrühren
sollten. Die beiden letzten Paragraphen beschäftigen sich mit der Zukunft und
find mit den schwülstigen Redensarten, die dem alten Zaren in den Mund
gelegt werden (es ist von "einer Wolke asiatischer Horden", von "wilden, bente-
durstigen Nomadenvölkern" die Rede, welche in Italien, Frankreich und Spa¬
nien einbrechen sollen, um "deren Einwohner theils niederzumetzeln, theils in
die Sklaverei zu schleppen und mit ihnen die sibirischen Wüsten zu bevöl¬
kern") ohne Zweifel nicht von Lesur, sondern von einer dreisteren Hand, d. h.,
wie unsre Schrift nachzuweisen sucht, von Napoleon selbst geliefert worden.

Das Lesursche Buch war vergessen, als das Testament Peters des Großen
1836 von dem pariser Literaten Gaillardet in den sogenannten "Memoiren
des Chevaliers d'Eon" wieder auf die Bühne gebracht wurde. D'Eon war wirk¬
lich einige Jahre am Hofe Elisabeths als GesandtschaftsSekretär gewesen; die
ihm zugeschriebenen Memoiren aber mit dem in allem Wesentlichen aus Lesur
entlehnten, jetzt nicht als Auszug, sondern als wörtliche Abschrift auftretenden
Testamente waren deutlich als romanhaftes Machwerk zu erkennen, welches
vor den historischen Thatsachen nicht Stich hält. Wir können der Prüfung,
welche unsre Schrift hier anstellt, nicht in ihre Einzelheiten folgen, aber schon
die Behauptung Gaillardets, daß d'Eon jenes Testament "dank dem unbegrenz¬
ten Zutrauen, dessen er sich (am russischen Hofe) erfreut habe, und dank sei¬
nen durch nichts behinderten Forschungen in den geheimsten Archiven der
Zaren" aufgefunden und gleichzeitig mit dem Beitritt Elisabeths zum Ver-


aufgewärmt und namentlich von Schwärmern für Polen, von Ultramontanen,
unbelehrbar weifen Demokraten und ähnlichen Geistern als eine Wahrheit be¬
handelt wird, so wollen wir in einem Auszuge der vorliegenden, sonach nicht
überflüssigen Schrift nochmals zeigen, daß es Erfindung und nichts als Er¬
findung ist. Unsre Fabel datirt aus dem Jahre 1812. Napoleon lag damals
daran, das Gerücht zu verbreiten, Rußland denke an eine Weltherrschaft; ein
Projekt, welches ihm traditionell überliefert sei. Zu diesem Zweck ließ er von
dem Gelehrten Lesur, der im Ministerium des Auswärtigen zu Paris angestellt
war, ein fünfhundert Seiten starkes Buch ausarbeiten, welches den Titel:
„Des xrogrös as 1a puissanes russe äoxuis son in-igins MSyv.' g.u eom-
menesment, <w XIX. siöelk" führte, unter dem Scheine eines ernsten historischen
Werkes sofort den Zweck einer politischen Flugschrift erkennen ließ und neben
einer Andeutung, daß es in den Petersburger Archiven geheime Memoiren
Peters des Großen gebe, einen Auszug aus dem Testamente dieses Kaisers
mittheilte. Dieses angebliche Resum6 enthält in seinen ersten zwölf Para¬
graphen nichts als vatioinig, post «zvontum, indem Lesnr der Erzählung der
Thatsachen, welche in dem Augenblicke, wo er schrieb, sich schon vollzogen hatten,
die Form von Rathschlägen und Vorschriften gab, welche von Peter herrühren
sollten. Die beiden letzten Paragraphen beschäftigen sich mit der Zukunft und
find mit den schwülstigen Redensarten, die dem alten Zaren in den Mund
gelegt werden (es ist von „einer Wolke asiatischer Horden", von „wilden, bente-
durstigen Nomadenvölkern" die Rede, welche in Italien, Frankreich und Spa¬
nien einbrechen sollen, um „deren Einwohner theils niederzumetzeln, theils in
die Sklaverei zu schleppen und mit ihnen die sibirischen Wüsten zu bevöl¬
kern") ohne Zweifel nicht von Lesur, sondern von einer dreisteren Hand, d. h.,
wie unsre Schrift nachzuweisen sucht, von Napoleon selbst geliefert worden.

Das Lesursche Buch war vergessen, als das Testament Peters des Großen
1836 von dem pariser Literaten Gaillardet in den sogenannten „Memoiren
des Chevaliers d'Eon" wieder auf die Bühne gebracht wurde. D'Eon war wirk¬
lich einige Jahre am Hofe Elisabeths als GesandtschaftsSekretär gewesen; die
ihm zugeschriebenen Memoiren aber mit dem in allem Wesentlichen aus Lesur
entlehnten, jetzt nicht als Auszug, sondern als wörtliche Abschrift auftretenden
Testamente waren deutlich als romanhaftes Machwerk zu erkennen, welches
vor den historischen Thatsachen nicht Stich hält. Wir können der Prüfung,
welche unsre Schrift hier anstellt, nicht in ihre Einzelheiten folgen, aber schon
die Behauptung Gaillardets, daß d'Eon jenes Testament „dank dem unbegrenz¬
ten Zutrauen, dessen er sich (am russischen Hofe) erfreut habe, und dank sei¬
nen durch nichts behinderten Forschungen in den geheimsten Archiven der
Zaren" aufgefunden und gleichzeitig mit dem Beitritt Elisabeths zum Ver-


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[0123] aufgewärmt und namentlich von Schwärmern für Polen, von Ultramontanen, unbelehrbar weifen Demokraten und ähnlichen Geistern als eine Wahrheit be¬ handelt wird, so wollen wir in einem Auszuge der vorliegenden, sonach nicht überflüssigen Schrift nochmals zeigen, daß es Erfindung und nichts als Er¬ findung ist. Unsre Fabel datirt aus dem Jahre 1812. Napoleon lag damals daran, das Gerücht zu verbreiten, Rußland denke an eine Weltherrschaft; ein Projekt, welches ihm traditionell überliefert sei. Zu diesem Zweck ließ er von dem Gelehrten Lesur, der im Ministerium des Auswärtigen zu Paris angestellt war, ein fünfhundert Seiten starkes Buch ausarbeiten, welches den Titel: „Des xrogrös as 1a puissanes russe äoxuis son in-igins MSyv.' g.u eom- menesment, <w XIX. siöelk" führte, unter dem Scheine eines ernsten historischen Werkes sofort den Zweck einer politischen Flugschrift erkennen ließ und neben einer Andeutung, daß es in den Petersburger Archiven geheime Memoiren Peters des Großen gebe, einen Auszug aus dem Testamente dieses Kaisers mittheilte. Dieses angebliche Resum6 enthält in seinen ersten zwölf Para¬ graphen nichts als vatioinig, post «zvontum, indem Lesnr der Erzählung der Thatsachen, welche in dem Augenblicke, wo er schrieb, sich schon vollzogen hatten, die Form von Rathschlägen und Vorschriften gab, welche von Peter herrühren sollten. Die beiden letzten Paragraphen beschäftigen sich mit der Zukunft und find mit den schwülstigen Redensarten, die dem alten Zaren in den Mund gelegt werden (es ist von „einer Wolke asiatischer Horden", von „wilden, bente- durstigen Nomadenvölkern" die Rede, welche in Italien, Frankreich und Spa¬ nien einbrechen sollen, um „deren Einwohner theils niederzumetzeln, theils in die Sklaverei zu schleppen und mit ihnen die sibirischen Wüsten zu bevöl¬ kern") ohne Zweifel nicht von Lesur, sondern von einer dreisteren Hand, d. h., wie unsre Schrift nachzuweisen sucht, von Napoleon selbst geliefert worden. Das Lesursche Buch war vergessen, als das Testament Peters des Großen 1836 von dem pariser Literaten Gaillardet in den sogenannten „Memoiren des Chevaliers d'Eon" wieder auf die Bühne gebracht wurde. D'Eon war wirk¬ lich einige Jahre am Hofe Elisabeths als GesandtschaftsSekretär gewesen; die ihm zugeschriebenen Memoiren aber mit dem in allem Wesentlichen aus Lesur entlehnten, jetzt nicht als Auszug, sondern als wörtliche Abschrift auftretenden Testamente waren deutlich als romanhaftes Machwerk zu erkennen, welches vor den historischen Thatsachen nicht Stich hält. Wir können der Prüfung, welche unsre Schrift hier anstellt, nicht in ihre Einzelheiten folgen, aber schon die Behauptung Gaillardets, daß d'Eon jenes Testament „dank dem unbegrenz¬ ten Zutrauen, dessen er sich (am russischen Hofe) erfreut habe, und dank sei¬ nen durch nichts behinderten Forschungen in den geheimsten Archiven der Zaren" aufgefunden und gleichzeitig mit dem Beitritt Elisabeths zum Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/123>, abgerufen am 26.06.2024.