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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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höchsten Kreisen Berlins, in unmittelbarster Nähe des Kaisers, für Rom
gewirkt und den Gedanken des Reichskanzlers bis zur Unertrnglichkeit entgeh"
gearbeitet wird? Sagte uicht schon vor zehn Jahren eine jesuitische Stimme
von England: "Bevor wir ein paar Dezennien weiter sind, werden wir so viele
Lords und Pairs bekehrt haben, daß die protestantische Gesetzgebungsmaschine
durch die Mehrheit, die wir dann im Oberhause erlangt haben werden, ganz
zum Stillstande gebracht werden kann, wenn sie uns entgegenarbeiten will".
Auch für die italienischen Politiker ist das Papstthum ein nationales Macht¬
mittel. Endlich ist auch der zahlreichen Satelliten der ultramontanen Politik
in Amerika von der brasilischen Kronprinzessin und den Genossen Garcia
Morenos bis zu den geheimen Freunden in der demokratischen Partei der Ber¬
einigten Staaten zu gedenken.

Vielleicht mehr noch aber als alle diese Gehülfen der kurialistischeu Politik
haben dem Ultrcunontanismns seine scheinbaren Gegner genützt, der religions¬
feindliche Geist der französischen Revolution, der Epikurüismns der Strauß-
scheu Schule, der klägliche Pessimismus Schopenhauers und Hartmanns ""d
der Atheismus der Sozialisten, welche letzteren wir mit vollem Bewußt"
den Ultramontanen Handlangerdienste leisten sehen. Selbst diese Dienste treten
endlich zurück vor der Unterstützung, welche gerade die berufene" Vertreter der
Staatsinteressen bei der Kurie der letzteren vielfach gewährt haben. Wie traurig
ist die Geschichte der Niebuhr, der Brühl, der Sydow bis auf deu jämmer-
lichen Grafen Armin, der so maßlos "geistreich" war, daß er nicht gewahr
wurde, wie er in Jahresfrist, ja oft schon in der Frist eines Monats, sei'"
Ansichten in ihr Gegentheil verkehrte. Und welch eine trübe Perspektive,
der Rückblick auf das Verfahren der sogenannten katholischen Abtheilung
im berliner Kultusministerium nnter Bethmann-Hollweg und Muster!

Dieser Ueberblick war nöthig, um zu zeigen, daß der "Kulturkampf" des¬
wegen noch uicht seine Bedeutung verloren oder gar aufgehört hat, weil er
aus unsern großen Blättern so ziemlich verschwunden ist. Vielleicht wird er
gerade da am lebhaftesten geführt, wo Manche am wenigsten an ihn denken-
Mindestens in Holland werden die Mittheilungen Nippolds außer Zweifel
setzen, daß dort der Kulturkampf nicht nur ebenfalls entbrannt ist, sondern
erheblich größere Dimensionen angenommen hat wie in Deutschland. Wir
können die Entwickelung des Katholizismus in den Niederlanden vom Frei¬
heitskriege an bis auf die Gegenwart hier nicht verfolgen, sondern müssen ans
deren Darstellung in unsrer Schrift selbst, ti? beiläufig ein reiches Detail ent¬
hält, verweisen. Nur die Lehre, die daraus zu ziehen ist, soll hier uach NiP-
polds Ausführungen mitgetheilt und dann ein Ueberblick über die Statistik der
Katholiken in Holland gegeben werden.


höchsten Kreisen Berlins, in unmittelbarster Nähe des Kaisers, für Rom
gewirkt und den Gedanken des Reichskanzlers bis zur Unertrnglichkeit entgeh»
gearbeitet wird? Sagte uicht schon vor zehn Jahren eine jesuitische Stimme
von England: „Bevor wir ein paar Dezennien weiter sind, werden wir so viele
Lords und Pairs bekehrt haben, daß die protestantische Gesetzgebungsmaschine
durch die Mehrheit, die wir dann im Oberhause erlangt haben werden, ganz
zum Stillstande gebracht werden kann, wenn sie uns entgegenarbeiten will".
Auch für die italienischen Politiker ist das Papstthum ein nationales Macht¬
mittel. Endlich ist auch der zahlreichen Satelliten der ultramontanen Politik
in Amerika von der brasilischen Kronprinzessin und den Genossen Garcia
Morenos bis zu den geheimen Freunden in der demokratischen Partei der Ber¬
einigten Staaten zu gedenken.

Vielleicht mehr noch aber als alle diese Gehülfen der kurialistischeu Politik
haben dem Ultrcunontanismns seine scheinbaren Gegner genützt, der religions¬
feindliche Geist der französischen Revolution, der Epikurüismns der Strauß-
scheu Schule, der klägliche Pessimismus Schopenhauers und Hartmanns «"d
der Atheismus der Sozialisten, welche letzteren wir mit vollem Bewußt"
den Ultramontanen Handlangerdienste leisten sehen. Selbst diese Dienste treten
endlich zurück vor der Unterstützung, welche gerade die berufene» Vertreter der
Staatsinteressen bei der Kurie der letzteren vielfach gewährt haben. Wie traurig
ist die Geschichte der Niebuhr, der Brühl, der Sydow bis auf deu jämmer-
lichen Grafen Armin, der so maßlos „geistreich" war, daß er nicht gewahr
wurde, wie er in Jahresfrist, ja oft schon in der Frist eines Monats, sei'"
Ansichten in ihr Gegentheil verkehrte. Und welch eine trübe Perspektive,
der Rückblick auf das Verfahren der sogenannten katholischen Abtheilung
im berliner Kultusministerium nnter Bethmann-Hollweg und Muster!

Dieser Ueberblick war nöthig, um zu zeigen, daß der „Kulturkampf" des¬
wegen noch uicht seine Bedeutung verloren oder gar aufgehört hat, weil er
aus unsern großen Blättern so ziemlich verschwunden ist. Vielleicht wird er
gerade da am lebhaftesten geführt, wo Manche am wenigsten an ihn denken-
Mindestens in Holland werden die Mittheilungen Nippolds außer Zweifel
setzen, daß dort der Kulturkampf nicht nur ebenfalls entbrannt ist, sondern
erheblich größere Dimensionen angenommen hat wie in Deutschland. Wir
können die Entwickelung des Katholizismus in den Niederlanden vom Frei¬
heitskriege an bis auf die Gegenwart hier nicht verfolgen, sondern müssen ans
deren Darstellung in unsrer Schrift selbst, ti? beiläufig ein reiches Detail ent¬
hält, verweisen. Nur die Lehre, die daraus zu ziehen ist, soll hier uach NiP-
polds Ausführungen mitgetheilt und dann ein Ueberblick über die Statistik der
Katholiken in Holland gegeben werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/104>, abgerufen am 01.07.2024.