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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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die Donaufürstenthümer nur verstärkt worden war, die Abhängigkeit von Frank¬
reich, in welche den Staat der Feldzug von 1809 und das Bündniß vom
März 1813 versetzt hatten, drängten auf der einen Seite dazu, sich dieser
Zwangslage zu entledigen, warnten aber auf der andern ebenso vor einem
vorschnellen Anschlusse an Rußland. Daraus folgte naturgemäß das Friedens¬
vermittlungsprojekt Metternichs, und dies entsprach nicht weniger seiner aus-
gesprochnen Neigung "as temporiser, as eglmer, as iwutraliser es yui xg.riut
äisposß g, I'explosion", wie W. v. Humboldt von ihm schreibt, als der Ab¬
neigung seines kaiserlichen Herrn gegen jede tiefe Aufregung der Volker, die
dem Wiener Hofe später im herrlichsten Aufschwünge des Befreiungskrieges
seinen Abscheu gegen die "Jakobiner des preußischen Heeres" einflößte. Auch
war ja der Kaiserstaat seiner geographischen Lage nach zunächst der dringenden
Gefahr kriegerischer Verwicklung enthoben, und seine Völker standen noch unter
den Nachwirkungen der pessimistischen Stimmung, welche das jammervolle
Scheitern der Erhebung von 1809 erzeugt hatte. Aber nicht genug damit,
daß die Friedeusvermittluug der Lage des Staates wie der Gesinnung der
Regierenden entsprach, sie war am ehesten geeignet, sein tiefgesunkenes Ansehen
wieder zu heben: das Oesterreich, das den Frieden zu Stande brachte, war
wieder eine Macht ersten Ranges. Und kam er nicht zu Stande, dann harrte
Oesterreich des Momentes, wo es gerüstet zwischen die erschöpften Gegner
treten und seinen Beitritt zu der einen oder andern Partei von der Unter¬
werfung unter seine Führung abhängig machen konnte. So ist es ja denn
auch gekommen: daß die Schlacht bei Leipzig ein österreichischer Feldherr
kommandirte, daß der Kongreß, welcher Europas Verhältnisse neu gestaltete, in
Wien zusammentrat, daß die deutschen Dinge in österreichischem Sinne geordnet
oder vielmehr nicht geordnet wurden, das war der glänzende Erfolg der Met-
ternichschen Geschäftsführung, seiner vorsichtigen Reserve vor allem und seiner
ganz spezifisch österreichischem Auffassung der Lage.

Und meisterhaft war doch auch schließlich sein Spiel Preußen gegenüber.
Ein starkes Preußen mußte er wünschen, aber kein ebenbürtiges. So bot er
ihm gerade genug Anlehnung, um sich allmählich von Frankreich zu lösen und
zu Rußland überzutreten, nicht genug, um beiden Mächten allein zum Siege
zu verhelfen.

Freilich trieben die Verhältnisse Preußen rascher vorwärts als Oesterreich.
Das Land tief erschöpft durch den Krieg von 1806/7, durch die furchtbare
Kontribution, durch die ungeheuren Lieferungen für die "große Armee", fast
seines ganzen Seeverkehrs beraubt durch die Kontinentalsperre, die Hälfte des
kleinen Heeres in Rußland, die andere Hälfte über den ganzen Staat zer¬
splittert und vertragsmäßig an seine Garnisonen gebunden, Stettin, Küstrin,


die Donaufürstenthümer nur verstärkt worden war, die Abhängigkeit von Frank¬
reich, in welche den Staat der Feldzug von 1809 und das Bündniß vom
März 1813 versetzt hatten, drängten auf der einen Seite dazu, sich dieser
Zwangslage zu entledigen, warnten aber auf der andern ebenso vor einem
vorschnellen Anschlusse an Rußland. Daraus folgte naturgemäß das Friedens¬
vermittlungsprojekt Metternichs, und dies entsprach nicht weniger seiner aus-
gesprochnen Neigung „as temporiser, as eglmer, as iwutraliser es yui xg.riut
äisposß g, I'explosion", wie W. v. Humboldt von ihm schreibt, als der Ab¬
neigung seines kaiserlichen Herrn gegen jede tiefe Aufregung der Volker, die
dem Wiener Hofe später im herrlichsten Aufschwünge des Befreiungskrieges
seinen Abscheu gegen die „Jakobiner des preußischen Heeres" einflößte. Auch
war ja der Kaiserstaat seiner geographischen Lage nach zunächst der dringenden
Gefahr kriegerischer Verwicklung enthoben, und seine Völker standen noch unter
den Nachwirkungen der pessimistischen Stimmung, welche das jammervolle
Scheitern der Erhebung von 1809 erzeugt hatte. Aber nicht genug damit,
daß die Friedeusvermittluug der Lage des Staates wie der Gesinnung der
Regierenden entsprach, sie war am ehesten geeignet, sein tiefgesunkenes Ansehen
wieder zu heben: das Oesterreich, das den Frieden zu Stande brachte, war
wieder eine Macht ersten Ranges. Und kam er nicht zu Stande, dann harrte
Oesterreich des Momentes, wo es gerüstet zwischen die erschöpften Gegner
treten und seinen Beitritt zu der einen oder andern Partei von der Unter¬
werfung unter seine Führung abhängig machen konnte. So ist es ja denn
auch gekommen: daß die Schlacht bei Leipzig ein österreichischer Feldherr
kommandirte, daß der Kongreß, welcher Europas Verhältnisse neu gestaltete, in
Wien zusammentrat, daß die deutschen Dinge in österreichischem Sinne geordnet
oder vielmehr nicht geordnet wurden, das war der glänzende Erfolg der Met-
ternichschen Geschäftsführung, seiner vorsichtigen Reserve vor allem und seiner
ganz spezifisch österreichischem Auffassung der Lage.

Und meisterhaft war doch auch schließlich sein Spiel Preußen gegenüber.
Ein starkes Preußen mußte er wünschen, aber kein ebenbürtiges. So bot er
ihm gerade genug Anlehnung, um sich allmählich von Frankreich zu lösen und
zu Rußland überzutreten, nicht genug, um beiden Mächten allein zum Siege
zu verhelfen.

Freilich trieben die Verhältnisse Preußen rascher vorwärts als Oesterreich.
Das Land tief erschöpft durch den Krieg von 1806/7, durch die furchtbare
Kontribution, durch die ungeheuren Lieferungen für die „große Armee", fast
seines ganzen Seeverkehrs beraubt durch die Kontinentalsperre, die Hälfte des
kleinen Heeres in Rußland, die andere Hälfte über den ganzen Staat zer¬
splittert und vertragsmäßig an seine Garnisonen gebunden, Stettin, Küstrin,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/10>, abgerufen am 09.01.2025.