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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Mit der einfachen Sicherung der Handelsstraßen, mit der bloßen Besitz¬
ergreifung jener Länder in Mittelasien ist es aber allein nicht gethan, um den
Handel dorthin zu einem blühenden zu machen. Die russischen Waaren müssen
verlangt werden, es muß Nachfrage danach sein.

Die Bedürfnisse eines Volkes stehen mit dem Grade seiner Bildung, mit
seiner höhern oder niedern Kulturstufe in unmittelbarer Wechselbeziehung. Je
kultivirter ein Volk ist, je mehr Bedürfnisse wird es haben. Aus rein mer¬
kantilen Rücksichten also schon, um seinen Kaufleuten Absatz zu verschaffen, ist
es eine unabweisliche Verpflichtung der Regierung Rußlands, nach den mittel¬
asiatischen Besitzungen Kultur zu tragen. Die civilisatorische Mission Rußlands
in Mittelasien ist also erst eine Folge seines Vordringens dorthin, ist in handels¬
politischer Beziehung geboten; -- keineswegs aber liegt in ihr die sich dort
vollziehende Gebietserweiterung begründet. Eine solche Behauptung ist -- wie
gesagt -- eine leere, hohle Phrase.

Wir können aber noch weiter schließen. Da die Anfänge der Kultur eines
jeden Volkes auf einem geordneten Staatswesen beruhen, so hatte auch die
russische Regierung auf die Einführung eines solchen in ihren mittelasiatischen
Besitzungen ihr erstes Augenmerk zu richten. Und in der That ist ihr Streben
dahin, vom ersten Augenblicke ihrer Besitzergreifung jener Gebiete an, unver¬
kennbar hervorgetreten. Hatte bis dahin ein ewiger Wechsel der Dynastieen
stattgefunden, hatten neue Kronprätendenten neue Kriege gebracht, und war es
auch nicht einer Dynastie nnr im Entferntesten gelungen, auf die Dauer die
zügellosen Elemente der im Lande zerstreuten Nomadenhorden zur Ruhe zu
bringen, so hat Rußland dies Ziel in seinem Gebiete erreicht. Es hat -- viel¬
leicht freilich nicht immer mit humanen Mitteln -- Ruhe und Ordnung in
seinem Reiche hergestellt. Das ist aber die Basis für alles weitere. Glückt
es der Regierung ferner, die Nomadenbevölkernng zu einer mehr seßhaften
Lebensweise zu bringen, so wird auch die Einführung einer formellen Bildung
dort möglich, denn ein Staat mit überwiegender Nomadenbevölkerung möchte
kaum einer höhern Entwickelung fähig sein. In dieser Beziehung sind
schon Fortschritte zu merken: Kirgisen und Sarteu geben schon das Nomaden¬
leben mehr ans und treiben Ackerbau. Freilich die wildeu Söhne der Wüste
werden bleiben, was sie sind, bis zu ihrer gänzlichen Vernichtung.

Endlich hängt mit dieser Vorbedingung, der Einführung einer Kultur, noch
die Höhe der Einnahmen zusammen, welche Rußland aus seinen mittelasia¬
tischen Besitzungen ziehen kann. Je kultivirter das Volk dort wird, je mehr
werden die Producte jener keineswegs armen Natur gehoben und verwerthet
werdeu köunen. Wir sahen ja, mit was für einem Deficit die Verwaltung


Mit der einfachen Sicherung der Handelsstraßen, mit der bloßen Besitz¬
ergreifung jener Länder in Mittelasien ist es aber allein nicht gethan, um den
Handel dorthin zu einem blühenden zu machen. Die russischen Waaren müssen
verlangt werden, es muß Nachfrage danach sein.

Die Bedürfnisse eines Volkes stehen mit dem Grade seiner Bildung, mit
seiner höhern oder niedern Kulturstufe in unmittelbarer Wechselbeziehung. Je
kultivirter ein Volk ist, je mehr Bedürfnisse wird es haben. Aus rein mer¬
kantilen Rücksichten also schon, um seinen Kaufleuten Absatz zu verschaffen, ist
es eine unabweisliche Verpflichtung der Regierung Rußlands, nach den mittel¬
asiatischen Besitzungen Kultur zu tragen. Die civilisatorische Mission Rußlands
in Mittelasien ist also erst eine Folge seines Vordringens dorthin, ist in handels¬
politischer Beziehung geboten; — keineswegs aber liegt in ihr die sich dort
vollziehende Gebietserweiterung begründet. Eine solche Behauptung ist — wie
gesagt — eine leere, hohle Phrase.

Wir können aber noch weiter schließen. Da die Anfänge der Kultur eines
jeden Volkes auf einem geordneten Staatswesen beruhen, so hatte auch die
russische Regierung auf die Einführung eines solchen in ihren mittelasiatischen
Besitzungen ihr erstes Augenmerk zu richten. Und in der That ist ihr Streben
dahin, vom ersten Augenblicke ihrer Besitzergreifung jener Gebiete an, unver¬
kennbar hervorgetreten. Hatte bis dahin ein ewiger Wechsel der Dynastieen
stattgefunden, hatten neue Kronprätendenten neue Kriege gebracht, und war es
auch nicht einer Dynastie nnr im Entferntesten gelungen, auf die Dauer die
zügellosen Elemente der im Lande zerstreuten Nomadenhorden zur Ruhe zu
bringen, so hat Rußland dies Ziel in seinem Gebiete erreicht. Es hat — viel¬
leicht freilich nicht immer mit humanen Mitteln — Ruhe und Ordnung in
seinem Reiche hergestellt. Das ist aber die Basis für alles weitere. Glückt
es der Regierung ferner, die Nomadenbevölkernng zu einer mehr seßhaften
Lebensweise zu bringen, so wird auch die Einführung einer formellen Bildung
dort möglich, denn ein Staat mit überwiegender Nomadenbevölkerung möchte
kaum einer höhern Entwickelung fähig sein. In dieser Beziehung sind
schon Fortschritte zu merken: Kirgisen und Sarteu geben schon das Nomaden¬
leben mehr ans und treiben Ackerbau. Freilich die wildeu Söhne der Wüste
werden bleiben, was sie sind, bis zu ihrer gänzlichen Vernichtung.

Endlich hängt mit dieser Vorbedingung, der Einführung einer Kultur, noch
die Höhe der Einnahmen zusammen, welche Rußland aus seinen mittelasia¬
tischen Besitzungen ziehen kann. Je kultivirter das Volk dort wird, je mehr
werden die Producte jener keineswegs armen Natur gehoben und verwerthet
werdeu köunen. Wir sahen ja, mit was für einem Deficit die Verwaltung


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[0096] Mit der einfachen Sicherung der Handelsstraßen, mit der bloßen Besitz¬ ergreifung jener Länder in Mittelasien ist es aber allein nicht gethan, um den Handel dorthin zu einem blühenden zu machen. Die russischen Waaren müssen verlangt werden, es muß Nachfrage danach sein. Die Bedürfnisse eines Volkes stehen mit dem Grade seiner Bildung, mit seiner höhern oder niedern Kulturstufe in unmittelbarer Wechselbeziehung. Je kultivirter ein Volk ist, je mehr Bedürfnisse wird es haben. Aus rein mer¬ kantilen Rücksichten also schon, um seinen Kaufleuten Absatz zu verschaffen, ist es eine unabweisliche Verpflichtung der Regierung Rußlands, nach den mittel¬ asiatischen Besitzungen Kultur zu tragen. Die civilisatorische Mission Rußlands in Mittelasien ist also erst eine Folge seines Vordringens dorthin, ist in handels¬ politischer Beziehung geboten; — keineswegs aber liegt in ihr die sich dort vollziehende Gebietserweiterung begründet. Eine solche Behauptung ist — wie gesagt — eine leere, hohle Phrase. Wir können aber noch weiter schließen. Da die Anfänge der Kultur eines jeden Volkes auf einem geordneten Staatswesen beruhen, so hatte auch die russische Regierung auf die Einführung eines solchen in ihren mittelasiatischen Besitzungen ihr erstes Augenmerk zu richten. Und in der That ist ihr Streben dahin, vom ersten Augenblicke ihrer Besitzergreifung jener Gebiete an, unver¬ kennbar hervorgetreten. Hatte bis dahin ein ewiger Wechsel der Dynastieen stattgefunden, hatten neue Kronprätendenten neue Kriege gebracht, und war es auch nicht einer Dynastie nnr im Entferntesten gelungen, auf die Dauer die zügellosen Elemente der im Lande zerstreuten Nomadenhorden zur Ruhe zu bringen, so hat Rußland dies Ziel in seinem Gebiete erreicht. Es hat — viel¬ leicht freilich nicht immer mit humanen Mitteln — Ruhe und Ordnung in seinem Reiche hergestellt. Das ist aber die Basis für alles weitere. Glückt es der Regierung ferner, die Nomadenbevölkernng zu einer mehr seßhaften Lebensweise zu bringen, so wird auch die Einführung einer formellen Bildung dort möglich, denn ein Staat mit überwiegender Nomadenbevölkerung möchte kaum einer höhern Entwickelung fähig sein. In dieser Beziehung sind schon Fortschritte zu merken: Kirgisen und Sarteu geben schon das Nomaden¬ leben mehr ans und treiben Ackerbau. Freilich die wildeu Söhne der Wüste werden bleiben, was sie sind, bis zu ihrer gänzlichen Vernichtung. Endlich hängt mit dieser Vorbedingung, der Einführung einer Kultur, noch die Höhe der Einnahmen zusammen, welche Rußland aus seinen mittelasia¬ tischen Besitzungen ziehen kann. Je kultivirter das Volk dort wird, je mehr werden die Producte jener keineswegs armen Natur gehoben und verwerthet werdeu köunen. Wir sahen ja, mit was für einem Deficit die Verwaltung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/96>, abgerufen am 23.07.2024.