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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Wesens, der Industrie, der Volkswirtschaft kann und darf nicht geleugnet
werden, wenn man uicht zu vollständig falschen Schlüssen gelangen will. Die
Fortschritte speciell während der Regierung des Kaisers Alexander II. liegen
klar zu Tage; ich erinnere nur an die fast zu Ende geführte Armeereorgani¬
sation, die vielleicht in nächster Zeit ihre Feuerprobe bestehen wird, an die
enorme Entwickelung des Eisenbahnnetzes. Die übrigen Großstaaten sind indeß
auch nicht stehen geblieben. Sind auch die Resultate ihrer Arbeit relativ ge¬
ringere, so ist doch die Summe ihrer Leistungsfähigkeit besonders in national-
ökonomischer Beziehung eine positiv größere als die Rußlands. Eine natur¬
gemäße Folge dieser Verhältnisse ist, speciell in merkantiler Beziehung, daß
uur Rußlands Naturproducte einen Exportartikel nach dem übrigen Europa
bilden können. Aber selbst auf diesem Gebiete erwächst ihm eine mächtige
Konkurrenz in Amerika. Handelt man doch jetzt schon amerikanischen Waizen
neben russischem; amerikanische Wollen und Rohleder gehen nach England und
Deutschland, ja amerikanisches Talg kommt sogar in Warschau auf den Markt,
alles Artikel, in denen bis dahin Rußland das Uebergewicht hatte. Und die
Konkurrenz Amerikas wird noch mit jedem Jahre zunehmen.

Die Erzeugnisse russischer Industrie, so groß deren Aufschwung auch in
der letzten Zeit ist, können natürlich gar keinen Markt in dein westlichen
Europa finden. Und selbst in dem eigenen Lande möchte ihnen in den west¬
lichen Fabrikaten eine Konkurrenz erwachsen, sowie der Rußland fast hermetisch
abschließende Schutzzoll fällt, wozu allerdings jetzt noch nicht die geringste
Aussicht vorhanden ist. -- Zur Vertreibung seiner Erzeugnisse, seiner Fabrikate
bedarf der russische Handel indeß eines Marktes, -- und dieser Markt kann
nur im Osten, in Asien liegen.

Schon seit Jahren hat der russische Handel gesucht, dorthin seine Waaren
abzusetzen. Dem Gesuche Peters des Großen schon, mit Chiwa in freund¬
schaftliche Beziehungen zu treten, lagen -- wie bereits hervorgehoben --
wesentlich handelspolitische Motive zu Grunde. Es dauerte aber lange, ehe
diese Handelsbestrebungen sich verwirklichen ließen. Sie trafen auf große
Hemmnisse. Einmal führten die Handelsstraßen dnrch Steppen und Wüsten,
und dann hatten die Kaufleute nie die Garantie, daß ihre Karawanen auch
wirklich unberanbt an ihr Ziel gelangten. Ueberfälle, Beraubungen dnrch die
asiatischen Horden bildeten die Regel. Der russisch-mittelasiatische Handel war
somit fast zur Unmöglichkeit geworden. Wollte sich also die russiche Regierung
hier einen Markt schaffen -- und daraus mußte sie bedacht sein -- so lag
es wohl in ihrem unmittelbarsten Interesse, hier auch festen Fuß zu fassen,
dein Räuberunwesen ein Ziel zu setzen, geordneten und sicherm Zuständen Bahn
zu brechen.


Wesens, der Industrie, der Volkswirtschaft kann und darf nicht geleugnet
werden, wenn man uicht zu vollständig falschen Schlüssen gelangen will. Die
Fortschritte speciell während der Regierung des Kaisers Alexander II. liegen
klar zu Tage; ich erinnere nur an die fast zu Ende geführte Armeereorgani¬
sation, die vielleicht in nächster Zeit ihre Feuerprobe bestehen wird, an die
enorme Entwickelung des Eisenbahnnetzes. Die übrigen Großstaaten sind indeß
auch nicht stehen geblieben. Sind auch die Resultate ihrer Arbeit relativ ge¬
ringere, so ist doch die Summe ihrer Leistungsfähigkeit besonders in national-
ökonomischer Beziehung eine positiv größere als die Rußlands. Eine natur¬
gemäße Folge dieser Verhältnisse ist, speciell in merkantiler Beziehung, daß
uur Rußlands Naturproducte einen Exportartikel nach dem übrigen Europa
bilden können. Aber selbst auf diesem Gebiete erwächst ihm eine mächtige
Konkurrenz in Amerika. Handelt man doch jetzt schon amerikanischen Waizen
neben russischem; amerikanische Wollen und Rohleder gehen nach England und
Deutschland, ja amerikanisches Talg kommt sogar in Warschau auf den Markt,
alles Artikel, in denen bis dahin Rußland das Uebergewicht hatte. Und die
Konkurrenz Amerikas wird noch mit jedem Jahre zunehmen.

Die Erzeugnisse russischer Industrie, so groß deren Aufschwung auch in
der letzten Zeit ist, können natürlich gar keinen Markt in dein westlichen
Europa finden. Und selbst in dem eigenen Lande möchte ihnen in den west¬
lichen Fabrikaten eine Konkurrenz erwachsen, sowie der Rußland fast hermetisch
abschließende Schutzzoll fällt, wozu allerdings jetzt noch nicht die geringste
Aussicht vorhanden ist. — Zur Vertreibung seiner Erzeugnisse, seiner Fabrikate
bedarf der russische Handel indeß eines Marktes, — und dieser Markt kann
nur im Osten, in Asien liegen.

Schon seit Jahren hat der russische Handel gesucht, dorthin seine Waaren
abzusetzen. Dem Gesuche Peters des Großen schon, mit Chiwa in freund¬
schaftliche Beziehungen zu treten, lagen — wie bereits hervorgehoben —
wesentlich handelspolitische Motive zu Grunde. Es dauerte aber lange, ehe
diese Handelsbestrebungen sich verwirklichen ließen. Sie trafen auf große
Hemmnisse. Einmal führten die Handelsstraßen dnrch Steppen und Wüsten,
und dann hatten die Kaufleute nie die Garantie, daß ihre Karawanen auch
wirklich unberanbt an ihr Ziel gelangten. Ueberfälle, Beraubungen dnrch die
asiatischen Horden bildeten die Regel. Der russisch-mittelasiatische Handel war
somit fast zur Unmöglichkeit geworden. Wollte sich also die russiche Regierung
hier einen Markt schaffen — und daraus mußte sie bedacht sein — so lag
es wohl in ihrem unmittelbarsten Interesse, hier auch festen Fuß zu fassen,
dein Räuberunwesen ein Ziel zu setzen, geordneten und sicherm Zuständen Bahn
zu brechen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/95>, abgerufen am 23.07.2024.