Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.lebhaft gewesen. Sie war deutsch geführt worden ans Rücksicht auf meinen Um zehn Uhr hatten wir Gäste uns von der gnädigen Frau verabschiedet, Auf diese Weise machte ich die Bekanntschaft des Mannes, in dessen Hanse Die Familie Prnski ist, soweit meine Nachrichten reichen, dem allgemeinen lebhaft gewesen. Sie war deutsch geführt worden ans Rücksicht auf meinen Um zehn Uhr hatten wir Gäste uns von der gnädigen Frau verabschiedet, Auf diese Weise machte ich die Bekanntschaft des Mannes, in dessen Hanse Die Familie Prnski ist, soweit meine Nachrichten reichen, dem allgemeinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137256"/> <p xml:id="ID_322" prev="#ID_321"> lebhaft gewesen. Sie war deutsch geführt worden ans Rücksicht auf meinen<lb/> Vater und auf die französische Gouvernante Madame Peltret, die wohl noth¬<lb/> dürftig deutsch, aber gar uicht polnisch sprach. Dem polnischen Theile der<lb/> Gesellschaft war dadurch kein Opfer auferlegt, denn der polnische Adel West-<lb/> preußens, in dem diese meine Jugenderinnerung spielt, hat seit der Ordenszeit<lb/> die deutsche Sprache nie verlernt.</p><lb/> <p xml:id="ID_323"> Um zehn Uhr hatten wir Gäste uns von der gnädigen Frau verabschiedet,<lb/> indem wir der Reihe nach ihr die zarte, weiche Hand küßten. Ich, der drei¬<lb/> zehnjährige Quartaner, machte damit den ersten Versuch polnischer feiner Sitte.<lb/> Wir waren darauf vom Bedienten, der zugleich die Aemter eines Gärtners<lb/> und eines Jägers versah, in den oberen Stock des Hauses über einen weit¬<lb/> läufigen leeren Flur in das weißgetünchte Gastzimmer geführt worden, in<lb/> welchem sich neben einigen altmodischen Polsterstühlen vier Betten in Feldbett¬<lb/> stellen befanden, die Herr Kowalski, ein benachbarter Gutsbesitzer, mein Vater,<lb/> ich und der ältere Sohn des Hauses, der vierzehnjährige Quintaner Emilian,<lb/> einzunehmen hatten. Herr Kowalski, ein großer, kräftig gebauter Fünfziger,<lb/> mit einem starken braunen Schnurrbart, war in sehr guter Stimmung, obwohl<lb/> ihm das Gehen schwer fiel. Seine Zunge litt jedoch uicht an Gicht, und so<lb/> gefiel er sich denn, während wir uns entkleideten, ohne Rücksicht auf uns<lb/> Knaben, in der ununterbrochenen Erzählung von Zoten. Die Versuche meines<lb/> Vaters, dem Redestrom Einhalt zu thun, blieben erfolglos. Zuletzt, als er<lb/> sich uur in unbeschreiblichen untern Unaussprechlichen befand, machte er sich<lb/> noch den Hauptspaß, an die selbstverständlich verschlvssue Thür, welche<lb/> unser Zimmer von demjenigen der alten zahnlosen Madame Peltret und der<lb/> kleinen Tochter des Hauses trennte, zu humpeln, anzuklopfen und von ihr zu<lb/> einem Besuche Einlaß zu verlangen. Die Französin besaß nicht Tact genng<lb/> zu schweigen, sondern gab ihm durch ihre Zurückweisung Veranlassung, ihr<lb/> noch einige nicht eben zarte und saubere Worte durch die Thüre zuzurufen,<lb/> zur Erquickung der Kinderohren hüben und drüben.</p><lb/> <p xml:id="ID_324"> Auf diese Weise machte ich die Bekanntschaft des Mannes, in dessen Hanse<lb/> ich im Laufe der Jahre das traurigste Versinken einer früher wohlhabenden<lb/> polnischen Familie beobachten sollte. Ich komme später auf sie zurück. Für<lb/> heute wollen wir die Familie von Pruski und ihr Gut Zahlenan (polnisch<lb/> Aalno) näher kennen lernen.</p><lb/> <p xml:id="ID_325" next="#ID_326"> Die Familie Prnski ist, soweit meine Nachrichten reichen, dem allgemeinen<lb/> Schicksal des polnischen Adels, dem Herunterkommen, bisher noch nicht ver¬<lb/> fallen, dieses Glück verdankt sie ihrer Neubegründerin, der Frau Natalie von<lb/> Prnski, der achtnngswerthesten und einsichtsvollsten Polin, die ich kennen gelernt<lb/> habe. Hütte ihr Manu länger gelebt, so würde den Seinigen wahrscheinlich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0083]
lebhaft gewesen. Sie war deutsch geführt worden ans Rücksicht auf meinen
Vater und auf die französische Gouvernante Madame Peltret, die wohl noth¬
dürftig deutsch, aber gar uicht polnisch sprach. Dem polnischen Theile der
Gesellschaft war dadurch kein Opfer auferlegt, denn der polnische Adel West-
preußens, in dem diese meine Jugenderinnerung spielt, hat seit der Ordenszeit
die deutsche Sprache nie verlernt.
Um zehn Uhr hatten wir Gäste uns von der gnädigen Frau verabschiedet,
indem wir der Reihe nach ihr die zarte, weiche Hand küßten. Ich, der drei¬
zehnjährige Quartaner, machte damit den ersten Versuch polnischer feiner Sitte.
Wir waren darauf vom Bedienten, der zugleich die Aemter eines Gärtners
und eines Jägers versah, in den oberen Stock des Hauses über einen weit¬
läufigen leeren Flur in das weißgetünchte Gastzimmer geführt worden, in
welchem sich neben einigen altmodischen Polsterstühlen vier Betten in Feldbett¬
stellen befanden, die Herr Kowalski, ein benachbarter Gutsbesitzer, mein Vater,
ich und der ältere Sohn des Hauses, der vierzehnjährige Quintaner Emilian,
einzunehmen hatten. Herr Kowalski, ein großer, kräftig gebauter Fünfziger,
mit einem starken braunen Schnurrbart, war in sehr guter Stimmung, obwohl
ihm das Gehen schwer fiel. Seine Zunge litt jedoch uicht an Gicht, und so
gefiel er sich denn, während wir uns entkleideten, ohne Rücksicht auf uns
Knaben, in der ununterbrochenen Erzählung von Zoten. Die Versuche meines
Vaters, dem Redestrom Einhalt zu thun, blieben erfolglos. Zuletzt, als er
sich uur in unbeschreiblichen untern Unaussprechlichen befand, machte er sich
noch den Hauptspaß, an die selbstverständlich verschlvssue Thür, welche
unser Zimmer von demjenigen der alten zahnlosen Madame Peltret und der
kleinen Tochter des Hauses trennte, zu humpeln, anzuklopfen und von ihr zu
einem Besuche Einlaß zu verlangen. Die Französin besaß nicht Tact genng
zu schweigen, sondern gab ihm durch ihre Zurückweisung Veranlassung, ihr
noch einige nicht eben zarte und saubere Worte durch die Thüre zuzurufen,
zur Erquickung der Kinderohren hüben und drüben.
Auf diese Weise machte ich die Bekanntschaft des Mannes, in dessen Hanse
ich im Laufe der Jahre das traurigste Versinken einer früher wohlhabenden
polnischen Familie beobachten sollte. Ich komme später auf sie zurück. Für
heute wollen wir die Familie von Pruski und ihr Gut Zahlenan (polnisch
Aalno) näher kennen lernen.
Die Familie Prnski ist, soweit meine Nachrichten reichen, dem allgemeinen
Schicksal des polnischen Adels, dem Herunterkommen, bisher noch nicht ver¬
fallen, dieses Glück verdankt sie ihrer Neubegründerin, der Frau Natalie von
Prnski, der achtnngswerthesten und einsichtsvollsten Polin, die ich kennen gelernt
habe. Hütte ihr Manu länger gelebt, so würde den Seinigen wahrscheinlich
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |