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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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kindische Geschäfte verrichten. Der Leib hatte seine natürliche Wärme; das
Athemholen, Reden und Schreien geschah ihr nicht schwer. Dieses Alles hab
ich mit meinen Augen gesehen und mit meinen Ohren gehöret. Sie ist zu
Cöln etliche Monat geblieben und von vielen mit großer Bewunderung gesehen
worden. Von daraus ist sie an einen andern Ort geführet worden; was es
nun für einen Ausgang mit ihr genommen, kann ich nicht wissen."

Ungleich berühmter als dieses sind drei andere Mädchen geworden nämlich
1) die Apollonia Schreyerin in der Schweiz, 2) eine Französin, deren
Leben von Citerius beschrieben ist, und 3) das Mädchen von Moers.
Der zweite Fall bleibt hier unberücksichtigt, und von der Apollonia Schreyerin
sei nur erwähnt, daß sie in oder bei Bern wohnte und dem Fabricius
persönlich bekannt war; nachdem sie zehn Jahre lang Nichts genossen, nahm
sie wieder Speise und Trank zu sich, wie andere Menschen auch. Ausschließlich
soll uns der dritte Fall beschäftigen; und aus einer Reihe von Briefen, die
theils von Fabricius geschrieben, theils an ihn gerichtet sind, habe ich alles
zusammengetragen, was auf den Fall Bezug hat.

Fabricius reiste im Jahre 1612 nach Cöln und Hilden; und da er bereits
von der wunderbaren Jungfrau in Moers gehört hatte und nicht, ohne sie ge¬
sehen zu haben, nach der Schweiz zurückkehren wollte, so begab er sich mit
einem Empfehlungsschreiben des Grafen von Falkenstein nach Moers, woselbst
er von dem Schloßvogt Schweichel freundlichst aufgenommen wurde, und die
Jungfrau durch Vermittlung des Pfarrers Feldhus kennen lernte, welcher die¬
selbe in sein Haus kommen ließ.

Unter dem 1. Oktober 1623 schreibt nnn Fabricius über diesen Besuch
an den Professor Pfister in Basel: "Es war aber dasselbe Mägdlein mit
Namen Eva von gen End, sonsten Flegen genannt, von ehrlichen Eltern,
Tilman und Greta Flegen, in Repel geboren, banalen ihres Alters im 37.
Jahr und hatte schon in das 16. Jahr ohne Speis und Trank gelebt. Sie
selbst und auch Herr Feldhusius, Diener am Worte Gottes daselbst, sagen,
daß sie von Kindheit ans siech und dem Hauptweh stetigs unterworfen ge¬
wesen. Aber im Jahre 1597, welches war das 21. ihres Alters, als sie von
einer beschwerlichen, langwierigen Krankheit, mehr durch die Natur, als durch
die Kunst der Aerzte wieder gesund worden, hat sie gemälig angefangen, einen
Ekel ab der Speis zu haben, also, daß.sie in Jahresfrist alles ausgeschlagen
und Nichts mehr zu sich nehmen wollen.

Vom Anfang und bis in das fünfte Fahr ihres Fastens hat sie gesagt,
daß sie allezeit um dritten Tag um den Aufgang der Sonnen mit einem hellen
Licht umbleichet werde, welches ihr eine wunderbare Freud mitbringe, und


kindische Geschäfte verrichten. Der Leib hatte seine natürliche Wärme; das
Athemholen, Reden und Schreien geschah ihr nicht schwer. Dieses Alles hab
ich mit meinen Augen gesehen und mit meinen Ohren gehöret. Sie ist zu
Cöln etliche Monat geblieben und von vielen mit großer Bewunderung gesehen
worden. Von daraus ist sie an einen andern Ort geführet worden; was es
nun für einen Ausgang mit ihr genommen, kann ich nicht wissen."

Ungleich berühmter als dieses sind drei andere Mädchen geworden nämlich
1) die Apollonia Schreyerin in der Schweiz, 2) eine Französin, deren
Leben von Citerius beschrieben ist, und 3) das Mädchen von Moers.
Der zweite Fall bleibt hier unberücksichtigt, und von der Apollonia Schreyerin
sei nur erwähnt, daß sie in oder bei Bern wohnte und dem Fabricius
persönlich bekannt war; nachdem sie zehn Jahre lang Nichts genossen, nahm
sie wieder Speise und Trank zu sich, wie andere Menschen auch. Ausschließlich
soll uns der dritte Fall beschäftigen; und aus einer Reihe von Briefen, die
theils von Fabricius geschrieben, theils an ihn gerichtet sind, habe ich alles
zusammengetragen, was auf den Fall Bezug hat.

Fabricius reiste im Jahre 1612 nach Cöln und Hilden; und da er bereits
von der wunderbaren Jungfrau in Moers gehört hatte und nicht, ohne sie ge¬
sehen zu haben, nach der Schweiz zurückkehren wollte, so begab er sich mit
einem Empfehlungsschreiben des Grafen von Falkenstein nach Moers, woselbst
er von dem Schloßvogt Schweichel freundlichst aufgenommen wurde, und die
Jungfrau durch Vermittlung des Pfarrers Feldhus kennen lernte, welcher die¬
selbe in sein Haus kommen ließ.

Unter dem 1. Oktober 1623 schreibt nnn Fabricius über diesen Besuch
an den Professor Pfister in Basel: „Es war aber dasselbe Mägdlein mit
Namen Eva von gen End, sonsten Flegen genannt, von ehrlichen Eltern,
Tilman und Greta Flegen, in Repel geboren, banalen ihres Alters im 37.
Jahr und hatte schon in das 16. Jahr ohne Speis und Trank gelebt. Sie
selbst und auch Herr Feldhusius, Diener am Worte Gottes daselbst, sagen,
daß sie von Kindheit ans siech und dem Hauptweh stetigs unterworfen ge¬
wesen. Aber im Jahre 1597, welches war das 21. ihres Alters, als sie von
einer beschwerlichen, langwierigen Krankheit, mehr durch die Natur, als durch
die Kunst der Aerzte wieder gesund worden, hat sie gemälig angefangen, einen
Ekel ab der Speis zu haben, also, daß.sie in Jahresfrist alles ausgeschlagen
und Nichts mehr zu sich nehmen wollen.

Vom Anfang und bis in das fünfte Fahr ihres Fastens hat sie gesagt,
daß sie allezeit um dritten Tag um den Aufgang der Sonnen mit einem hellen
Licht umbleichet werde, welches ihr eine wunderbare Freud mitbringe, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/79>, abgerufen am 23.07.2024.