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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Mau macht auf Seiten der Opposition viel Aufhebens darüber, daß in
Baiern, Würtemberg und Baden die Zuständigkeit der Geschwornen die Pre߬
vergehen einbegreift, was im übrigen Reich nicht der Fall ist. Als ob an
dieser unbedeutenden Unregelmäßigkeit die Rechtseinheit zu Grunde ginge.
Man erinnert an das Wort des Reichskanzlers vom Mai 1870, als er die
Ausschließung der Todesstrafe nicht partikularistisch gelten lassen wollte, um
nicht Deutsche erster und zweiter Klasse zu haben. Als ob eine geringe
Unregelmäßigkeit der Rechtspflegeform sich in Vergleich stellen ließe mit
der Verschiedenheit einer hochwichtigen Bestimmung des materiellen Rechts,,
einer Bestimmung, welche auf die sittliche Würdigung des Verbrechens den
stärksten Einfluß übt!

Eine große Störung der Symmetrie des Gerichtsorganismus will man
auch in der Zuziehung von Schöffen bei der Abnrtheilnng leichter Straffälle,
der Ausschließung aller Laien bei mittleren Straffällen, in der Zuziehung der
Geschworenen bei deu schweren Straffällen finden. Ich glaube, diese Ungleich¬
heit wird in der Praxis viel weniger empfunden werden, als bei der von
Außen auf den Gerichtsorganismus gehefteten Contemplation. Ich glaube
uicht von der Empfindung der Uugleichmüßigkeit wird der Anstoß der Reform
kommen, sondern eher von den Mängeln, welche die Schwurgerichte in der
neuen Abgrenzung in ihrer Funktion durch die Strafprozeßordnung erst recht
zeigen werden. Ersetzt man die Geschwornen bei den schweren Straffällen
durch die Schöffen, so wird man die Letzteren anch wohl bei den mittleren
Straffällen einführen. Aber ob diese doppelte Reform rasch kommen wird,
steht sehr dahin. Auch wenn Alles gut geht in deutschen Dingen und gut zu
gehen fortfährt, das Tempo des Fortschritts wird doch bedeutend langsamer
werden. Um der Symmetrie allein willen, wird man gewiß nicht so bald eine
neue Gerichtsverfassung in Angriff nehmen. Bei allen Reformen, die jetz
erarbeitet werden, muß man allerdings eingedenk sein, daß Anstoß, Kraft,
Gelegenheit zur abermaligen Verbesserung in unberechenbarer Zukunft liegen
und ganz und gar nicht damit gegeben sein werden, daß wir morgen wieder
0 -- r. aufwachen, wenn wir nicht zuvor gestorben sind.




Aas Mägdlein von Moers.
Mi Dr. Wolzendorff. tgetheilt von

Am Ende des sechzehnten und im Beginne des siebzehnten Jahrhunderts
erregte das öftere Vorkommen von jahrelangem Fasten weiblicher Personen


Mau macht auf Seiten der Opposition viel Aufhebens darüber, daß in
Baiern, Würtemberg und Baden die Zuständigkeit der Geschwornen die Pre߬
vergehen einbegreift, was im übrigen Reich nicht der Fall ist. Als ob an
dieser unbedeutenden Unregelmäßigkeit die Rechtseinheit zu Grunde ginge.
Man erinnert an das Wort des Reichskanzlers vom Mai 1870, als er die
Ausschließung der Todesstrafe nicht partikularistisch gelten lassen wollte, um
nicht Deutsche erster und zweiter Klasse zu haben. Als ob eine geringe
Unregelmäßigkeit der Rechtspflegeform sich in Vergleich stellen ließe mit
der Verschiedenheit einer hochwichtigen Bestimmung des materiellen Rechts,,
einer Bestimmung, welche auf die sittliche Würdigung des Verbrechens den
stärksten Einfluß übt!

Eine große Störung der Symmetrie des Gerichtsorganismus will man
auch in der Zuziehung von Schöffen bei der Abnrtheilnng leichter Straffälle,
der Ausschließung aller Laien bei mittleren Straffällen, in der Zuziehung der
Geschworenen bei deu schweren Straffällen finden. Ich glaube, diese Ungleich¬
heit wird in der Praxis viel weniger empfunden werden, als bei der von
Außen auf den Gerichtsorganismus gehefteten Contemplation. Ich glaube
uicht von der Empfindung der Uugleichmüßigkeit wird der Anstoß der Reform
kommen, sondern eher von den Mängeln, welche die Schwurgerichte in der
neuen Abgrenzung in ihrer Funktion durch die Strafprozeßordnung erst recht
zeigen werden. Ersetzt man die Geschwornen bei den schweren Straffällen
durch die Schöffen, so wird man die Letzteren anch wohl bei den mittleren
Straffällen einführen. Aber ob diese doppelte Reform rasch kommen wird,
steht sehr dahin. Auch wenn Alles gut geht in deutschen Dingen und gut zu
gehen fortfährt, das Tempo des Fortschritts wird doch bedeutend langsamer
werden. Um der Symmetrie allein willen, wird man gewiß nicht so bald eine
neue Gerichtsverfassung in Angriff nehmen. Bei allen Reformen, die jetz
erarbeitet werden, muß man allerdings eingedenk sein, daß Anstoß, Kraft,
Gelegenheit zur abermaligen Verbesserung in unberechenbarer Zukunft liegen
und ganz und gar nicht damit gegeben sein werden, daß wir morgen wieder
0 — r. aufwachen, wenn wir nicht zuvor gestorben sind.




Aas Mägdlein von Moers.
Mi Dr. Wolzendorff. tgetheilt von

Am Ende des sechzehnten und im Beginne des siebzehnten Jahrhunderts
erregte das öftere Vorkommen von jahrelangem Fasten weiblicher Personen


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[0077] Mau macht auf Seiten der Opposition viel Aufhebens darüber, daß in Baiern, Würtemberg und Baden die Zuständigkeit der Geschwornen die Pre߬ vergehen einbegreift, was im übrigen Reich nicht der Fall ist. Als ob an dieser unbedeutenden Unregelmäßigkeit die Rechtseinheit zu Grunde ginge. Man erinnert an das Wort des Reichskanzlers vom Mai 1870, als er die Ausschließung der Todesstrafe nicht partikularistisch gelten lassen wollte, um nicht Deutsche erster und zweiter Klasse zu haben. Als ob eine geringe Unregelmäßigkeit der Rechtspflegeform sich in Vergleich stellen ließe mit der Verschiedenheit einer hochwichtigen Bestimmung des materiellen Rechts,, einer Bestimmung, welche auf die sittliche Würdigung des Verbrechens den stärksten Einfluß übt! Eine große Störung der Symmetrie des Gerichtsorganismus will man auch in der Zuziehung von Schöffen bei der Abnrtheilnng leichter Straffälle, der Ausschließung aller Laien bei mittleren Straffällen, in der Zuziehung der Geschworenen bei deu schweren Straffällen finden. Ich glaube, diese Ungleich¬ heit wird in der Praxis viel weniger empfunden werden, als bei der von Außen auf den Gerichtsorganismus gehefteten Contemplation. Ich glaube uicht von der Empfindung der Uugleichmüßigkeit wird der Anstoß der Reform kommen, sondern eher von den Mängeln, welche die Schwurgerichte in der neuen Abgrenzung in ihrer Funktion durch die Strafprozeßordnung erst recht zeigen werden. Ersetzt man die Geschwornen bei den schweren Straffällen durch die Schöffen, so wird man die Letzteren anch wohl bei den mittleren Straffällen einführen. Aber ob diese doppelte Reform rasch kommen wird, steht sehr dahin. Auch wenn Alles gut geht in deutschen Dingen und gut zu gehen fortfährt, das Tempo des Fortschritts wird doch bedeutend langsamer werden. Um der Symmetrie allein willen, wird man gewiß nicht so bald eine neue Gerichtsverfassung in Angriff nehmen. Bei allen Reformen, die jetz erarbeitet werden, muß man allerdings eingedenk sein, daß Anstoß, Kraft, Gelegenheit zur abermaligen Verbesserung in unberechenbarer Zukunft liegen und ganz und gar nicht damit gegeben sein werden, daß wir morgen wieder 0 — r. aufwachen, wenn wir nicht zuvor gestorben sind. Aas Mägdlein von Moers. Mi Dr. Wolzendorff. tgetheilt von Am Ende des sechzehnten und im Beginne des siebzehnten Jahrhunderts erregte das öftere Vorkommen von jahrelangem Fasten weiblicher Personen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/77>, abgerufen am 23.07.2024.