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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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gehen. Aus rein militairscheu Gründen mußte das rechte Anm-Ufer in den
Besitz Rußlands übergehen.

In handelspolitischer Beziehung war der Besitz der Mündung des Ann,
des Ann-Deltcis, für Rußland von großem Werthe, um den Strom sicher be¬
fahren zu können. -- Ferner mußte aus gleichen Rücksichten Chiwa die Mög¬
lichkeit genommen werden, den Karawanenhandel zwischen Rußland und Buchara
stören zu können. Dies geschah, wenn die Karawanenstraße in Zukunft nicht
mehr chiwesisches Gebiet berührte. Die Abtretung eines weiteren Stückes
Land am rechten Anm-Ufer Seitens Chiwa an Buchara leistete dieser Noth¬
wendigkeit Genüge, und belohnte gleichzeitig die gute Haltung des letzteren
Staates während des Krieges.

Der Absicht endlich, den Chan selbst auf dem guten Wege der Willfährig¬
keit zu erhalten, entsprang die ihm aufgelegte Kontribution von 2,200,000
Rubeln, deren letzte Rate erst im Jahre 1893 fällig ist.

Auf Grund dieser Erwägungen wurde der Friede zwischen Rußland und
Chiwa am 12. August 1873 geschlossen.

Das Fort Petro-Alexcmdrowssk entstand 2^ Werst vom rechten Ufer des
Ann-Darja zwischen Charta und Schurachana, und erhielt eine Besatzung von
9 Compagnien, 4 Ssotnien und 8 Feld-Geschützen; armirt wurde es mit 12
Festungs-Geschützen.

Die übrigen Truppen verließen das Chanat und trafen im Laufe des
Septembers und Oktobers in ihren Garnisonen wieder ein.

Das neu gewonnene Gebiet -- 1880 ^-Meilen -- wurde unter dein
Namen Ann-darja-Gebiet dem General-Gouvernement einverleibt, so daß
letzteres im Westen jetzt bis an den Ann-darja sich erstreckt und das Amu-
Delta mit umfaßt.

Trotz dieses Gebietszuwachses und trotz der dem Chan und den Turk¬
menen auferlegten Kontribution kann aber doch von einem materiellen Gewinn
nicht die Rede fein. Die Kontributionen decken die Kosten der Expedition,
welche man -- als die Truppen noch in Chiwa standen -- schon auf 3^
Millionen Rubel bezifferte, bei weitem nicht. Und das eroberte Gebiet ist
zum größten Theile unfruchtbare Steppe, nur der westlichste Theil am Ann
selbst ist bevölkert und bebaut.

Wohl aber kann man behaupten, daß in ideeller Beziehung der Gewinn
ein großer war: Abgesehen von der Aufhebung der Sklaverei im Chanat felbst,
war ein mittelasiatisches Reich zu Boden geworfen, dessen Unbezwinglichkeit
bis dahin unbezweifelt dastand. Der russische Doppelaar war wieder der
Schrecken der Mittelasiaten geworden: Chiwa war bezwungen -- wie leicht


gehen. Aus rein militairscheu Gründen mußte das rechte Anm-Ufer in den
Besitz Rußlands übergehen.

In handelspolitischer Beziehung war der Besitz der Mündung des Ann,
des Ann-Deltcis, für Rußland von großem Werthe, um den Strom sicher be¬
fahren zu können. — Ferner mußte aus gleichen Rücksichten Chiwa die Mög¬
lichkeit genommen werden, den Karawanenhandel zwischen Rußland und Buchara
stören zu können. Dies geschah, wenn die Karawanenstraße in Zukunft nicht
mehr chiwesisches Gebiet berührte. Die Abtretung eines weiteren Stückes
Land am rechten Anm-Ufer Seitens Chiwa an Buchara leistete dieser Noth¬
wendigkeit Genüge, und belohnte gleichzeitig die gute Haltung des letzteren
Staates während des Krieges.

Der Absicht endlich, den Chan selbst auf dem guten Wege der Willfährig¬
keit zu erhalten, entsprang die ihm aufgelegte Kontribution von 2,200,000
Rubeln, deren letzte Rate erst im Jahre 1893 fällig ist.

Auf Grund dieser Erwägungen wurde der Friede zwischen Rußland und
Chiwa am 12. August 1873 geschlossen.

Das Fort Petro-Alexcmdrowssk entstand 2^ Werst vom rechten Ufer des
Ann-Darja zwischen Charta und Schurachana, und erhielt eine Besatzung von
9 Compagnien, 4 Ssotnien und 8 Feld-Geschützen; armirt wurde es mit 12
Festungs-Geschützen.

Die übrigen Truppen verließen das Chanat und trafen im Laufe des
Septembers und Oktobers in ihren Garnisonen wieder ein.

Das neu gewonnene Gebiet — 1880 ^-Meilen — wurde unter dein
Namen Ann-darja-Gebiet dem General-Gouvernement einverleibt, so daß
letzteres im Westen jetzt bis an den Ann-darja sich erstreckt und das Amu-
Delta mit umfaßt.

Trotz dieses Gebietszuwachses und trotz der dem Chan und den Turk¬
menen auferlegten Kontribution kann aber doch von einem materiellen Gewinn
nicht die Rede fein. Die Kontributionen decken die Kosten der Expedition,
welche man — als die Truppen noch in Chiwa standen — schon auf 3^
Millionen Rubel bezifferte, bei weitem nicht. Und das eroberte Gebiet ist
zum größten Theile unfruchtbare Steppe, nur der westlichste Theil am Ann
selbst ist bevölkert und bebaut.

Wohl aber kann man behaupten, daß in ideeller Beziehung der Gewinn
ein großer war: Abgesehen von der Aufhebung der Sklaverei im Chanat felbst,
war ein mittelasiatisches Reich zu Boden geworfen, dessen Unbezwinglichkeit
bis dahin unbezweifelt dastand. Der russische Doppelaar war wieder der
Schrecken der Mittelasiaten geworden: Chiwa war bezwungen — wie leicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/60>, abgerufen am 23.07.2024.