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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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schon dem General v. Kaufman seine Unterwerfung angezeigt hatte, wurde
noch ans der Nordseite der Stadt gekämpft. Der General Wcrewkin ließ das
Nordthor in Bresche legen und nahm die Stadt mit Sturm. Um 2 Uhr
Nachmittags hielt der General-Gouverneur seinen feierlichen Einzug. Das
Ziel war erreicht, die Hauptstadt des Chanats war im Besitz der Russen; sie
konnten den Frieden dictiren.

Der geflohene Seid-Mohamed-Rachim-Chan folgte der an ihn gerichteten
Aufforderung, zurückzukehren, sofort, und wurde -- da er sich bedingungslos
dem "Weißen Zaren" unterwarf -- wieder in seine Rechte eingesetzt. Zur
weiteren Regelung der Verhältnisse stellte man ihm aber einen Beirath aus
3 von dem General-Gouverneur ernannten Russen und 3 von demselben be¬
stätigten chiwesischen Würdenträgern zur Seite. Der Chan hatte den Ehren¬
vorsitz, der General Kaufman das Bestätigungsrecht aller wichtigen Beschlüsse.

Die bisher im Chenal bestandene Sclaverei wurde aufgehoben. 3000
Sclaven, meist Perser, erlangten ihre Freiheit wieder und kehrten zum Theil
unter russischem Schutze in ihre Heimath zurück.

Je tiefer man aber in die inneren Verhältnisse des Chanats eindrang, je
klarer wurde es, daß das Eintreten der geordneten Zustände in Chanat wesent¬
lich von .dem Verhalten der Turkmenen abhängig sein werde. Sie waren bis¬
her die Hauptvertreter der Feindschaft gegen Rußland gewesen und hatten
auch an dem Kriege den thätigsten Antheil genommen. Sie besonders zu
züchtigen, erschien als ein Unterpfand für die künftige Ruhe und Sicherheit.
Es wurde ihnen in Folge dessen eine Contribution von 300,000 Rubeln auf¬
gelegt. Die Turkmenen dachten aber nicht daran solche zu zahlen. Der Ge¬
neral Golowatschew mußte mit den Waffen in der Hand sie erst dazu zwingen,
und fand hierbei einen hartnäckigeren Widerstand als in dem ganzen bisherigen
Feldzuge. Aber auch dieser wurde gebrochen und 26 Geißeln aus den ange-
sehendsten turkmenischen Familien bürgten schließlich für die Abzahlung der
jetzt auf 310,000 Rubel erhöhten Contribution.

Der zügellose, halsstarrige Charakter der Turkmenen war in diesem Nach¬
spiele der Expedition gegen Chiwa wieder grell an das Licht getreten. Um
die für den Augenblick Eingeschüchterten anch ferner im Zaume zu halten, oder
doch bei jedem Aufstände derselben wenigstens schnell bei der Hand sein zu
können, erschien die Anlage einer Befestigung und deren Besetzung mit russischen
Truppen unbedingt geboten. Ein solches Fort konnte nur an dem rechten
Ufer des Ann-Stromes erbaut werden, mußte aber selbstredend auch eine ge¬
sicherte rückwärtige Verbindung mit dem russischen Territorium haben, -- und
so war eine Gebietsabtretung Seitens des Chans von Chiwa nicht zu um-


schon dem General v. Kaufman seine Unterwerfung angezeigt hatte, wurde
noch ans der Nordseite der Stadt gekämpft. Der General Wcrewkin ließ das
Nordthor in Bresche legen und nahm die Stadt mit Sturm. Um 2 Uhr
Nachmittags hielt der General-Gouverneur seinen feierlichen Einzug. Das
Ziel war erreicht, die Hauptstadt des Chanats war im Besitz der Russen; sie
konnten den Frieden dictiren.

Der geflohene Seid-Mohamed-Rachim-Chan folgte der an ihn gerichteten
Aufforderung, zurückzukehren, sofort, und wurde — da er sich bedingungslos
dem „Weißen Zaren" unterwarf — wieder in seine Rechte eingesetzt. Zur
weiteren Regelung der Verhältnisse stellte man ihm aber einen Beirath aus
3 von dem General-Gouverneur ernannten Russen und 3 von demselben be¬
stätigten chiwesischen Würdenträgern zur Seite. Der Chan hatte den Ehren¬
vorsitz, der General Kaufman das Bestätigungsrecht aller wichtigen Beschlüsse.

Die bisher im Chenal bestandene Sclaverei wurde aufgehoben. 3000
Sclaven, meist Perser, erlangten ihre Freiheit wieder und kehrten zum Theil
unter russischem Schutze in ihre Heimath zurück.

Je tiefer man aber in die inneren Verhältnisse des Chanats eindrang, je
klarer wurde es, daß das Eintreten der geordneten Zustände in Chanat wesent¬
lich von .dem Verhalten der Turkmenen abhängig sein werde. Sie waren bis¬
her die Hauptvertreter der Feindschaft gegen Rußland gewesen und hatten
auch an dem Kriege den thätigsten Antheil genommen. Sie besonders zu
züchtigen, erschien als ein Unterpfand für die künftige Ruhe und Sicherheit.
Es wurde ihnen in Folge dessen eine Contribution von 300,000 Rubeln auf¬
gelegt. Die Turkmenen dachten aber nicht daran solche zu zahlen. Der Ge¬
neral Golowatschew mußte mit den Waffen in der Hand sie erst dazu zwingen,
und fand hierbei einen hartnäckigeren Widerstand als in dem ganzen bisherigen
Feldzuge. Aber auch dieser wurde gebrochen und 26 Geißeln aus den ange-
sehendsten turkmenischen Familien bürgten schließlich für die Abzahlung der
jetzt auf 310,000 Rubel erhöhten Contribution.

Der zügellose, halsstarrige Charakter der Turkmenen war in diesem Nach¬
spiele der Expedition gegen Chiwa wieder grell an das Licht getreten. Um
die für den Augenblick Eingeschüchterten anch ferner im Zaume zu halten, oder
doch bei jedem Aufstände derselben wenigstens schnell bei der Hand sein zu
können, erschien die Anlage einer Befestigung und deren Besetzung mit russischen
Truppen unbedingt geboten. Ein solches Fort konnte nur an dem rechten
Ufer des Ann-Stromes erbaut werden, mußte aber selbstredend auch eine ge¬
sicherte rückwärtige Verbindung mit dem russischen Territorium haben, — und
so war eine Gebietsabtretung Seitens des Chans von Chiwa nicht zu um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/59>, abgerufen am 23.07.2024.