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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Silbergräber, war als solcher bald reich, bald arm, wanderte unter großen
Mühseligkeiten nach einem andern als besonders ergiebig gepriesenen Minen¬
distrikt, fand sich getäuscht und verzog, wieder nnter allerlei Strapatzen und
Gefahren, nach einer dritten Gegend, wo er mit Bekannten eine Silberader so
lange mit viel Hoffnung und wenig Erfolg zu eröffnen versuchte, bis ihm das
Geld ausging und er sich genöthigt sah, seinen Lebensunterhalt in einem Poch¬
werk zu suchen. Da er hier für täglich zwölf Stunden schwere Arbeit nur
die Kost und wöchentlich zehn Dollars bekam, hielt er es nicht lange aus,
sondern ergab sich zunächst wieder einem vergnügten Vagabundenleben und ging
dann aufs Neue an das Aufsuchen von Silberadern. Hierbei war er nahe
daran, Millionär zu werden, verbummelte aber die Zeit, binnen welcher er in
dem Erzgänge, den er entdeckt hatte, und der ihm die Million liefern sollte,
gesetzlich gearbeitet haben mußte, um Eigenthümer zu werden, und wurde fo
wieder zum armen Teufel. Indeß leuchtete ihn: in seiner Verzweiflung über
so tiefen Fall aus so großer Höhe ein Hoffnungsstrahl. Er hatte der "Daily
Territorial Enterprise" in Virginia City, der Hauptstadt Nevadas, gelegentlich
Korrespondenzen geschickt, und jetzt lud ihn der Redakteur dieses Blattes ein,
für fünfundzwanzig Dollars die Woche das Departement der Stadtneuigkeiten
bei ihm zu übernehmen. Clemens ergriff den Antrag mit beiden Händen, zog
nach Virginia City und hatte sich bald in seine neuen Pflichten hineingefunden,
die ihn unter den in Nevada obwaltenden Verhältnissen mit sehr seltsamen
Menschen und Dingen in Berührung brachten. Doktor Hingstvn, der ihn hier
mit Artemus Ward aufsuchte, erzählt:

"Virginia City war erst einige Monate alt. Die "Territorial Enterprise"
war ein täglich erscheinendes Blatt, gut redigirt, reich an Mittheilungen, voll
von Anzeigen, welches pünktlich jeden Morgen ausgegeben wurde, wo ein oder
zwei Jahre vorher uur die schweigende Wüste und höchstens ein paar Zelte
der indianischen Wilden gewesen waren. Das Hans, wo sich die Redaktion
und die Druckerei befanden, lag in der Cstraße. Die Grundmauern waren
von Granit, die Vorderseite von Eisen. Im Souterrain war eine Schank-
wirthschaft mit einem Piano, welches, wie man mir sagte, die Bestimmung
hatte, die bekümmerten oder aufgeregten Gemüther der Gäste zu besänftigen.
Hinter der Schenkstube arbeiteten zwei von Hoch cylindrischen Dampfpressen.
Im ersten Stock befanden sich die Comptoire von Maklern, die mit Bergwerks-
knxen handelten und ein Verkauf von Branntwein im Großen. Im zweiten
waren noch einige Makler und etliche Advokaten, und im dritten erst war die
Redaktion. Ich fragte nach Herrn Mark Twain, und als der Herr, den ich
suchte, seinen Namen erwühueu hörte, sagte er zu dem, an welchen ich mich
gewendet hatte: "Dan, lassen Sie den Herrn in meine Höhle eintreten. Das


Silbergräber, war als solcher bald reich, bald arm, wanderte unter großen
Mühseligkeiten nach einem andern als besonders ergiebig gepriesenen Minen¬
distrikt, fand sich getäuscht und verzog, wieder nnter allerlei Strapatzen und
Gefahren, nach einer dritten Gegend, wo er mit Bekannten eine Silberader so
lange mit viel Hoffnung und wenig Erfolg zu eröffnen versuchte, bis ihm das
Geld ausging und er sich genöthigt sah, seinen Lebensunterhalt in einem Poch¬
werk zu suchen. Da er hier für täglich zwölf Stunden schwere Arbeit nur
die Kost und wöchentlich zehn Dollars bekam, hielt er es nicht lange aus,
sondern ergab sich zunächst wieder einem vergnügten Vagabundenleben und ging
dann aufs Neue an das Aufsuchen von Silberadern. Hierbei war er nahe
daran, Millionär zu werden, verbummelte aber die Zeit, binnen welcher er in
dem Erzgänge, den er entdeckt hatte, und der ihm die Million liefern sollte,
gesetzlich gearbeitet haben mußte, um Eigenthümer zu werden, und wurde fo
wieder zum armen Teufel. Indeß leuchtete ihn: in seiner Verzweiflung über
so tiefen Fall aus so großer Höhe ein Hoffnungsstrahl. Er hatte der „Daily
Territorial Enterprise" in Virginia City, der Hauptstadt Nevadas, gelegentlich
Korrespondenzen geschickt, und jetzt lud ihn der Redakteur dieses Blattes ein,
für fünfundzwanzig Dollars die Woche das Departement der Stadtneuigkeiten
bei ihm zu übernehmen. Clemens ergriff den Antrag mit beiden Händen, zog
nach Virginia City und hatte sich bald in seine neuen Pflichten hineingefunden,
die ihn unter den in Nevada obwaltenden Verhältnissen mit sehr seltsamen
Menschen und Dingen in Berührung brachten. Doktor Hingstvn, der ihn hier
mit Artemus Ward aufsuchte, erzählt:

„Virginia City war erst einige Monate alt. Die „Territorial Enterprise"
war ein täglich erscheinendes Blatt, gut redigirt, reich an Mittheilungen, voll
von Anzeigen, welches pünktlich jeden Morgen ausgegeben wurde, wo ein oder
zwei Jahre vorher uur die schweigende Wüste und höchstens ein paar Zelte
der indianischen Wilden gewesen waren. Das Hans, wo sich die Redaktion
und die Druckerei befanden, lag in der Cstraße. Die Grundmauern waren
von Granit, die Vorderseite von Eisen. Im Souterrain war eine Schank-
wirthschaft mit einem Piano, welches, wie man mir sagte, die Bestimmung
hatte, die bekümmerten oder aufgeregten Gemüther der Gäste zu besänftigen.
Hinter der Schenkstube arbeiteten zwei von Hoch cylindrischen Dampfpressen.
Im ersten Stock befanden sich die Comptoire von Maklern, die mit Bergwerks-
knxen handelten und ein Verkauf von Branntwein im Großen. Im zweiten
waren noch einige Makler und etliche Advokaten, und im dritten erst war die
Redaktion. Ich fragte nach Herrn Mark Twain, und als der Herr, den ich
suchte, seinen Namen erwühueu hörte, sagte er zu dem, an welchen ich mich
gewendet hatte: „Dan, lassen Sie den Herrn in meine Höhle eintreten. Das


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[0506] Silbergräber, war als solcher bald reich, bald arm, wanderte unter großen Mühseligkeiten nach einem andern als besonders ergiebig gepriesenen Minen¬ distrikt, fand sich getäuscht und verzog, wieder nnter allerlei Strapatzen und Gefahren, nach einer dritten Gegend, wo er mit Bekannten eine Silberader so lange mit viel Hoffnung und wenig Erfolg zu eröffnen versuchte, bis ihm das Geld ausging und er sich genöthigt sah, seinen Lebensunterhalt in einem Poch¬ werk zu suchen. Da er hier für täglich zwölf Stunden schwere Arbeit nur die Kost und wöchentlich zehn Dollars bekam, hielt er es nicht lange aus, sondern ergab sich zunächst wieder einem vergnügten Vagabundenleben und ging dann aufs Neue an das Aufsuchen von Silberadern. Hierbei war er nahe daran, Millionär zu werden, verbummelte aber die Zeit, binnen welcher er in dem Erzgänge, den er entdeckt hatte, und der ihm die Million liefern sollte, gesetzlich gearbeitet haben mußte, um Eigenthümer zu werden, und wurde fo wieder zum armen Teufel. Indeß leuchtete ihn: in seiner Verzweiflung über so tiefen Fall aus so großer Höhe ein Hoffnungsstrahl. Er hatte der „Daily Territorial Enterprise" in Virginia City, der Hauptstadt Nevadas, gelegentlich Korrespondenzen geschickt, und jetzt lud ihn der Redakteur dieses Blattes ein, für fünfundzwanzig Dollars die Woche das Departement der Stadtneuigkeiten bei ihm zu übernehmen. Clemens ergriff den Antrag mit beiden Händen, zog nach Virginia City und hatte sich bald in seine neuen Pflichten hineingefunden, die ihn unter den in Nevada obwaltenden Verhältnissen mit sehr seltsamen Menschen und Dingen in Berührung brachten. Doktor Hingstvn, der ihn hier mit Artemus Ward aufsuchte, erzählt: „Virginia City war erst einige Monate alt. Die „Territorial Enterprise" war ein täglich erscheinendes Blatt, gut redigirt, reich an Mittheilungen, voll von Anzeigen, welches pünktlich jeden Morgen ausgegeben wurde, wo ein oder zwei Jahre vorher uur die schweigende Wüste und höchstens ein paar Zelte der indianischen Wilden gewesen waren. Das Hans, wo sich die Redaktion und die Druckerei befanden, lag in der Cstraße. Die Grundmauern waren von Granit, die Vorderseite von Eisen. Im Souterrain war eine Schank- wirthschaft mit einem Piano, welches, wie man mir sagte, die Bestimmung hatte, die bekümmerten oder aufgeregten Gemüther der Gäste zu besänftigen. Hinter der Schenkstube arbeiteten zwei von Hoch cylindrischen Dampfpressen. Im ersten Stock befanden sich die Comptoire von Maklern, die mit Bergwerks- knxen handelten und ein Verkauf von Branntwein im Großen. Im zweiten waren noch einige Makler und etliche Advokaten, und im dritten erst war die Redaktion. Ich fragte nach Herrn Mark Twain, und als der Herr, den ich suchte, seinen Namen erwühueu hörte, sagte er zu dem, an welchen ich mich gewendet hatte: „Dan, lassen Sie den Herrn in meine Höhle eintreten. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/506>, abgerufen am 03.07.2024.