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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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stattgefunden habe, in der bestimmten Absicht, die Geschichtsforschung späterer
Jahrhunderte irre zu führen. Das ist sehr unwahrscheinlich.

Die Sache erklärt sich auch ganz ungezwungen in ihrer natürlichen Ent¬
wickelung. Es war verboten, Greise und Kranke zu foltern. Wenn nun auch
die heilige Mutter Kirche dies Gebot stellenweise recht ungenirt übertrat,
namentlich wenn es sich um Ungläubige oder Ketzer handelte, so lag hier doch
keine Veranlassung dazu vor. Denn vor allem und hauptsächlich war Galilei
der "Mann" des mächtigen und gebildeten Großherzogs von Toskana, und da
derselbe auch äußerlich gute Beziehungen zum römischen Stuhle aufrecht erhielt,
so schien es nicht gerathen, durch die Vernichtung seines berühmtesten Unter¬
thanen seine Freundschaft auf eine zu harte Probe zu stellen. Zweitens aber
war Vernichtung Galileis nicht der Zweck der Kurie und konnte es nicht sein:
er mußte leben, möglichst lange, und scheinbar durchaus nicht "unter polizeilicher
Aufsicht stehend", nachdem er sein System oder vielmehr seine Auffassung des
Kopernikus widerrufen hatte. -- Wenn sowohl Domenico Berti als M^zwres
noch als fernere Gründe gegen die Folter anführen, der Papst oder der Pater
Commissarius des heiligen Gerichts oder gar dieses selber habe Mitleiden mit
den Körperleiden und der Todesangst des Angeklagten gehabt, so macht dies
dem Gemüthsleben dieser Herren alle Ehre, aber geschichtlich ist dieses Mit¬
leiden nicht begründet. Wie sollte gerade Galilei dieses Mitleid erregen, währeud
Tausend anderer Ketzer ebenfalls oft krank, und immer voll Todesangst, er¬
barmungslos gefoltert wurden? Man bedürfte einfach der Folter nicht: man
wühlte alle andern Mittel, mit Entschlossenheit eine dem Klerus feindliche
Intelligenz zu Boden zu werfen, man that nicht zu wenig, nicht zu viel, und
erreichte bei genauer Kenntniß der Persönlichkeit den angestrebten Zweck. Von
Wohlwollen oder christlichem Erbarmen war nirgend die Rede.

Es handelte sich hier darum, eiuen glänzenden Geist, von seinen Landsleuten
vielleicht überschwenglich gefeiert, da sie die Originale nicht kannten, auf deren
eigue freie Geistesthat seiue Erscheinung gegründet war, wieder zurückzuführen
in den Schoß der Glaubensgenossenschaft und unter die Botmäßigkeit der
Kirche.

Galilei aber lebte, nachdem er seinen Widerruf unterzeichnet, noch zehn
Jahre theils zu Siena, theils bei Florenz in mehr oder minder fühlbarer
Polizeiaufsicht. Vergeblich verlangte Vineento Castelli, sein alter Zögling und
Schüler, die Erlaubniß, ihn zu besuchen. Selbst das Versprechen, nicht über
die Notation sprechen zu wollen, verschaffte ihm diese Erlaubniß nicht. An
alle päpstlichen Gesandtschaften, an alle Kommcmditen der Inquisition wurden
Auszüge aus den Prozeßakten gedruckt versendet, welche den Urtheilsspruch
und deu Akt des Widerrufes enthielten. Die Aufgeklärten gingen mit Spott


stattgefunden habe, in der bestimmten Absicht, die Geschichtsforschung späterer
Jahrhunderte irre zu führen. Das ist sehr unwahrscheinlich.

Die Sache erklärt sich auch ganz ungezwungen in ihrer natürlichen Ent¬
wickelung. Es war verboten, Greise und Kranke zu foltern. Wenn nun auch
die heilige Mutter Kirche dies Gebot stellenweise recht ungenirt übertrat,
namentlich wenn es sich um Ungläubige oder Ketzer handelte, so lag hier doch
keine Veranlassung dazu vor. Denn vor allem und hauptsächlich war Galilei
der „Mann" des mächtigen und gebildeten Großherzogs von Toskana, und da
derselbe auch äußerlich gute Beziehungen zum römischen Stuhle aufrecht erhielt,
so schien es nicht gerathen, durch die Vernichtung seines berühmtesten Unter¬
thanen seine Freundschaft auf eine zu harte Probe zu stellen. Zweitens aber
war Vernichtung Galileis nicht der Zweck der Kurie und konnte es nicht sein:
er mußte leben, möglichst lange, und scheinbar durchaus nicht „unter polizeilicher
Aufsicht stehend", nachdem er sein System oder vielmehr seine Auffassung des
Kopernikus widerrufen hatte. — Wenn sowohl Domenico Berti als M^zwres
noch als fernere Gründe gegen die Folter anführen, der Papst oder der Pater
Commissarius des heiligen Gerichts oder gar dieses selber habe Mitleiden mit
den Körperleiden und der Todesangst des Angeklagten gehabt, so macht dies
dem Gemüthsleben dieser Herren alle Ehre, aber geschichtlich ist dieses Mit¬
leiden nicht begründet. Wie sollte gerade Galilei dieses Mitleid erregen, währeud
Tausend anderer Ketzer ebenfalls oft krank, und immer voll Todesangst, er¬
barmungslos gefoltert wurden? Man bedürfte einfach der Folter nicht: man
wühlte alle andern Mittel, mit Entschlossenheit eine dem Klerus feindliche
Intelligenz zu Boden zu werfen, man that nicht zu wenig, nicht zu viel, und
erreichte bei genauer Kenntniß der Persönlichkeit den angestrebten Zweck. Von
Wohlwollen oder christlichem Erbarmen war nirgend die Rede.

Es handelte sich hier darum, eiuen glänzenden Geist, von seinen Landsleuten
vielleicht überschwenglich gefeiert, da sie die Originale nicht kannten, auf deren
eigue freie Geistesthat seiue Erscheinung gegründet war, wieder zurückzuführen
in den Schoß der Glaubensgenossenschaft und unter die Botmäßigkeit der
Kirche.

Galilei aber lebte, nachdem er seinen Widerruf unterzeichnet, noch zehn
Jahre theils zu Siena, theils bei Florenz in mehr oder minder fühlbarer
Polizeiaufsicht. Vergeblich verlangte Vineento Castelli, sein alter Zögling und
Schüler, die Erlaubniß, ihn zu besuchen. Selbst das Versprechen, nicht über
die Notation sprechen zu wollen, verschaffte ihm diese Erlaubniß nicht. An
alle päpstlichen Gesandtschaften, an alle Kommcmditen der Inquisition wurden
Auszüge aus den Prozeßakten gedruckt versendet, welche den Urtheilsspruch
und deu Akt des Widerrufes enthielten. Die Aufgeklärten gingen mit Spott


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/503>, abgerufen am 23.07.2024.