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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Reue, den sie für aufrichtig zu halten sich deu Anschein gaben, sofort eine Ver¬
mehrung der äußeren Annehmlichkeiten in der Haft des Gefangenen eintreten.
Mail ließ ihn in das Gesandtschaftshvtel zurückkehren und erlaubte ihm, für
die Pflege seines kranken Körpers Sorge zu tragen.

Man darf die Klugheit dieses Verfahrens nicht gering anschlagen. Galilei,
ein Mann, sowohl an die tausend Bequemlichkeiten des verfeinerten iii^K illo
damaliger Zeit gewöhnt, als durch die Erfolge in der vornehmen Welt für
jede Rücksicht und Rücksichtslosigkeit doppelt empfänglich und empfindlich, mußte
in der überreizten und krankhaften Stimmung, in der er sich erklärlicher Weise
befand, auf diese Äußerlichkeiten einen Werth legen, der ihn dahin führen
konnte, schneller "mürbe" zu werden, wenn man ihm im rechten Augenblicke
wieder mit Entziehung drohte.

Wie richtig diese Methode berechnet war auf deu Charakter dessen, dem
sie galt, zeigt eine Stelle aus Galileis Vertheidigungsschrift, in der er in
geradezu jämmerlicher Weise um Erbarmen winselt zu Leuten, von denen sein
Verstand und seine Lebenserfahrung ihm sagen mußten, daß sie Erbarmen
und Milde ebenso uur als Mittel zum Zweck benutzen, wie Härte und Grau¬
samkeit, Er sagt da wörtlich: "Es erübrigt mir noch eine letzte Bemerkung;
sie betrifft deu traurigen Stand meiner Gesundheit, welcher herbeigeführt durch
den Zustand fortwährender Angst und Ungewißheit, vermehrt durch die Be-
schwerden einer Reise im schärfsten Winter, zusehends sich verschlimmert hat
dnrch die zehnmonatliche Dauer meiller Haft, wie durch mein Alter von siebzig
Jahren. Ich habe Zuversicht zu der Güte und Milde der allerdurchlauchtigsten
(omiuvlltiSLiini) Herren, welche meine Richter sind, daß sie diese meine Leiden
als Kompensation meiner Strafen, die ich wohl verdient zu haben gestehe,
ansehen und Gnade für Recht ergehen lassen einem gebrechlichen Greisenalter
gegenüber, das ich ihrer Huld empfehle!" Das war ein Held! Nebenbei er¬
zählt uns die Geschichte, daß dieser todtkrank'e, sterbende Greis nachher noch
zehn Jahre ganz behaglich, mit durchaus ungestörter Verdauung sich der
florentinischen Küche erfreute; also ganz so schlimm, als er die Sache darstellt,
kann sie nicht gewesen sein.

Wir kommen nun an jenen Punkt des Prozesses, der unter den Parteien bis¬
her am bestrittensten gewesen ist. Es ist dies die Folterfrage und alles, was
damit zusammenhängt. Hier verdankt man der Arbeit Domenico Bertis ab¬
solute Klarheit, da er deu Rotulus des Prozesses veröffentlicht. Dieses Akten¬
stück enthält in kurzer trockner Darstellung alle prozeßleitenden Entschließungen
sowohl, als auch die infolge derselben vorgenommenen Gerichtshandlungen.
Hieraus ergibt sich denn ganz klar, daß die von den Freunden des römischen
Klerus kvlpvrtirte Behauptung, das letzte Drittel des Prozesses habe sich nur


Reue, den sie für aufrichtig zu halten sich deu Anschein gaben, sofort eine Ver¬
mehrung der äußeren Annehmlichkeiten in der Haft des Gefangenen eintreten.
Mail ließ ihn in das Gesandtschaftshvtel zurückkehren und erlaubte ihm, für
die Pflege seines kranken Körpers Sorge zu tragen.

Man darf die Klugheit dieses Verfahrens nicht gering anschlagen. Galilei,
ein Mann, sowohl an die tausend Bequemlichkeiten des verfeinerten iii^K illo
damaliger Zeit gewöhnt, als durch die Erfolge in der vornehmen Welt für
jede Rücksicht und Rücksichtslosigkeit doppelt empfänglich und empfindlich, mußte
in der überreizten und krankhaften Stimmung, in der er sich erklärlicher Weise
befand, auf diese Äußerlichkeiten einen Werth legen, der ihn dahin führen
konnte, schneller „mürbe" zu werden, wenn man ihm im rechten Augenblicke
wieder mit Entziehung drohte.

Wie richtig diese Methode berechnet war auf deu Charakter dessen, dem
sie galt, zeigt eine Stelle aus Galileis Vertheidigungsschrift, in der er in
geradezu jämmerlicher Weise um Erbarmen winselt zu Leuten, von denen sein
Verstand und seine Lebenserfahrung ihm sagen mußten, daß sie Erbarmen
und Milde ebenso uur als Mittel zum Zweck benutzen, wie Härte und Grau¬
samkeit, Er sagt da wörtlich: „Es erübrigt mir noch eine letzte Bemerkung;
sie betrifft deu traurigen Stand meiner Gesundheit, welcher herbeigeführt durch
den Zustand fortwährender Angst und Ungewißheit, vermehrt durch die Be-
schwerden einer Reise im schärfsten Winter, zusehends sich verschlimmert hat
dnrch die zehnmonatliche Dauer meiller Haft, wie durch mein Alter von siebzig
Jahren. Ich habe Zuversicht zu der Güte und Milde der allerdurchlauchtigsten
(omiuvlltiSLiini) Herren, welche meine Richter sind, daß sie diese meine Leiden
als Kompensation meiner Strafen, die ich wohl verdient zu haben gestehe,
ansehen und Gnade für Recht ergehen lassen einem gebrechlichen Greisenalter
gegenüber, das ich ihrer Huld empfehle!" Das war ein Held! Nebenbei er¬
zählt uns die Geschichte, daß dieser todtkrank'e, sterbende Greis nachher noch
zehn Jahre ganz behaglich, mit durchaus ungestörter Verdauung sich der
florentinischen Küche erfreute; also ganz so schlimm, als er die Sache darstellt,
kann sie nicht gewesen sein.

Wir kommen nun an jenen Punkt des Prozesses, der unter den Parteien bis¬
her am bestrittensten gewesen ist. Es ist dies die Folterfrage und alles, was
damit zusammenhängt. Hier verdankt man der Arbeit Domenico Bertis ab¬
solute Klarheit, da er deu Rotulus des Prozesses veröffentlicht. Dieses Akten¬
stück enthält in kurzer trockner Darstellung alle prozeßleitenden Entschließungen
sowohl, als auch die infolge derselben vorgenommenen Gerichtshandlungen.
Hieraus ergibt sich denn ganz klar, daß die von den Freunden des römischen
Klerus kvlpvrtirte Behauptung, das letzte Drittel des Prozesses habe sich nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/501>, abgerufen am 03.07.2024.