Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kräftigem Behagen in einem Tone behandelten, der nnr möglich ist bei voll¬
kommener Ungläubigreit. Von ihrem Standpunkt ans ist es auch kein Wunder
und nur eine sehr natürliche Maßregel, wenn sie mit allen Mitteln einen
Gegner angriffen, der ihnen und ihren Nachfolgern die reichliche und mühe¬
lose Ausbeutung der Gläubigen gewaltig zu verkürzen drohte. Schwerlich ver¬
machte noch ein Mensch, der über Galileis System und dessen Konsequenzen
reiflich nachgedacht hatte, seinen sauer verdienten Reichthum der todten Hand.
Was sollte da aus den Priestern werden? Am Ende hätten sie gar studiren
müssen, wie die Prediger der Protestanten, oder, schauderhafter Gedanke, zum
Besten der Gemeinde arbeiten und Aemter verwalten, wie die geistlichen Lehrer
des jüdischen Volkes! Nein, so weit sollte es nicht kommen, dank der
heiligen Inquisition, dieses erkorenen Rüstzeuges des wahren Glaubens! Noch
einmal wurden die Werke des Astronomen sorgsam durchstöbert, und in einer
seiner letzten Arbeiten über die Sonnenflecke fand man denn, was man suchte:
zwei Punkte, die klärlich Ketzereien enthielten.

Galilei, der wie es scheint sehr wohl unterrichtet war von dem, was im
Lager der Feinde vorging -- hatte er doch alle wirklich klaren Köpfe zu seinen
Anhängern zu rechnen -- beschloß noch einmal, sich in die Höhle der Löwen
zu wagen. Mochte der Ausgang der ersten Reise den etwas eiteln und spötti¬
schen Gelehrten über die wahre Sachlage getäuscht haben, mochte er dein großen
Zauber seines persönlichen Auftretens zutrauen, auch die starre Feindschaft er¬
bitterter Priester zu beschwören, oder endlich, was vielleicht am wahrscheinlichsten
ist, wurde er durch eiuen Verräther in eine Falle gelockt -- kurz, er reiste im
Herbst 1615 zum zweiten Male freiwillig nach Rom. Wieder erschien er als
"Legatious-Attachu" des Großherzogs von Toskana und stieg in dessen Ge¬
sandtschaftshotel ab, wieder wurde er von einer Gesellschaft mit Ehren über¬
häuft, die allen Vorträgen, die er öffentlich hielt, allen Schriften, die er zum
Beweise seines rechtlichen Bewußtseins öffentlich vertheilte, einmüthigen Beifall
spendete.

Es war vergebens. Am 24. Februar 1616 erklärte das heilige Kolleg
mit Einstimmigkeit: Das Rotationsgesetz der Erde enthalte eine
Dummheit und eine Ketzerei! Zugleich wurde der Kardinal Bellarmin
durch eine Kabinetsordre angewiesen, von dem neu ernannten Ketzer einen Wider¬
ruf zu erpressen. "Wenn er sich weigert", sagt die Kabinetsordre wörtlich, "so
soll der mit der Führung des Prozesses betraute Priester ihn formaliter vor einem
Notar nebst Zeugen noch einmal in Güte auffordern. Er soll erklären, daß
er auf ewige Zeiten sich enthalten soll, von dieser Irrlehre je wieder zu reden
oder gar sie zu verbreiten. Beharrt er in seinem Ungehorsam, wird er so--
fort ins Gefängniß geführt."


kräftigem Behagen in einem Tone behandelten, der nnr möglich ist bei voll¬
kommener Ungläubigreit. Von ihrem Standpunkt ans ist es auch kein Wunder
und nur eine sehr natürliche Maßregel, wenn sie mit allen Mitteln einen
Gegner angriffen, der ihnen und ihren Nachfolgern die reichliche und mühe¬
lose Ausbeutung der Gläubigen gewaltig zu verkürzen drohte. Schwerlich ver¬
machte noch ein Mensch, der über Galileis System und dessen Konsequenzen
reiflich nachgedacht hatte, seinen sauer verdienten Reichthum der todten Hand.
Was sollte da aus den Priestern werden? Am Ende hätten sie gar studiren
müssen, wie die Prediger der Protestanten, oder, schauderhafter Gedanke, zum
Besten der Gemeinde arbeiten und Aemter verwalten, wie die geistlichen Lehrer
des jüdischen Volkes! Nein, so weit sollte es nicht kommen, dank der
heiligen Inquisition, dieses erkorenen Rüstzeuges des wahren Glaubens! Noch
einmal wurden die Werke des Astronomen sorgsam durchstöbert, und in einer
seiner letzten Arbeiten über die Sonnenflecke fand man denn, was man suchte:
zwei Punkte, die klärlich Ketzereien enthielten.

Galilei, der wie es scheint sehr wohl unterrichtet war von dem, was im
Lager der Feinde vorging — hatte er doch alle wirklich klaren Köpfe zu seinen
Anhängern zu rechnen — beschloß noch einmal, sich in die Höhle der Löwen
zu wagen. Mochte der Ausgang der ersten Reise den etwas eiteln und spötti¬
schen Gelehrten über die wahre Sachlage getäuscht haben, mochte er dein großen
Zauber seines persönlichen Auftretens zutrauen, auch die starre Feindschaft er¬
bitterter Priester zu beschwören, oder endlich, was vielleicht am wahrscheinlichsten
ist, wurde er durch eiuen Verräther in eine Falle gelockt — kurz, er reiste im
Herbst 1615 zum zweiten Male freiwillig nach Rom. Wieder erschien er als
„Legatious-Attachu" des Großherzogs von Toskana und stieg in dessen Ge¬
sandtschaftshotel ab, wieder wurde er von einer Gesellschaft mit Ehren über¬
häuft, die allen Vorträgen, die er öffentlich hielt, allen Schriften, die er zum
Beweise seines rechtlichen Bewußtseins öffentlich vertheilte, einmüthigen Beifall
spendete.

Es war vergebens. Am 24. Februar 1616 erklärte das heilige Kolleg
mit Einstimmigkeit: Das Rotationsgesetz der Erde enthalte eine
Dummheit und eine Ketzerei! Zugleich wurde der Kardinal Bellarmin
durch eine Kabinetsordre angewiesen, von dem neu ernannten Ketzer einen Wider¬
ruf zu erpressen. „Wenn er sich weigert", sagt die Kabinetsordre wörtlich, „so
soll der mit der Führung des Prozesses betraute Priester ihn formaliter vor einem
Notar nebst Zeugen noch einmal in Güte auffordern. Er soll erklären, daß
er auf ewige Zeiten sich enthalten soll, von dieser Irrlehre je wieder zu reden
oder gar sie zu verbreiten. Beharrt er in seinem Ungehorsam, wird er so--
fort ins Gefängniß geführt."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137667"/>
          <p xml:id="ID_1580" prev="#ID_1579"> kräftigem Behagen in einem Tone behandelten, der nnr möglich ist bei voll¬<lb/>
kommener Ungläubigreit. Von ihrem Standpunkt ans ist es auch kein Wunder<lb/>
und nur eine sehr natürliche Maßregel, wenn sie mit allen Mitteln einen<lb/>
Gegner angriffen, der ihnen und ihren Nachfolgern die reichliche und mühe¬<lb/>
lose Ausbeutung der Gläubigen gewaltig zu verkürzen drohte. Schwerlich ver¬<lb/>
machte noch ein Mensch, der über Galileis System und dessen Konsequenzen<lb/>
reiflich nachgedacht hatte, seinen sauer verdienten Reichthum der todten Hand.<lb/>
Was sollte da aus den Priestern werden? Am Ende hätten sie gar studiren<lb/>
müssen, wie die Prediger der Protestanten, oder, schauderhafter Gedanke, zum<lb/>
Besten der Gemeinde arbeiten und Aemter verwalten, wie die geistlichen Lehrer<lb/>
des jüdischen Volkes! Nein, so weit sollte es nicht kommen, dank der<lb/>
heiligen Inquisition, dieses erkorenen Rüstzeuges des wahren Glaubens! Noch<lb/>
einmal wurden die Werke des Astronomen sorgsam durchstöbert, und in einer<lb/>
seiner letzten Arbeiten über die Sonnenflecke fand man denn, was man suchte:<lb/>
zwei Punkte, die klärlich Ketzereien enthielten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1581"> Galilei, der wie es scheint sehr wohl unterrichtet war von dem, was im<lb/>
Lager der Feinde vorging &#x2014; hatte er doch alle wirklich klaren Köpfe zu seinen<lb/>
Anhängern zu rechnen &#x2014; beschloß noch einmal, sich in die Höhle der Löwen<lb/>
zu wagen. Mochte der Ausgang der ersten Reise den etwas eiteln und spötti¬<lb/>
schen Gelehrten über die wahre Sachlage getäuscht haben, mochte er dein großen<lb/>
Zauber seines persönlichen Auftretens zutrauen, auch die starre Feindschaft er¬<lb/>
bitterter Priester zu beschwören, oder endlich, was vielleicht am wahrscheinlichsten<lb/>
ist, wurde er durch eiuen Verräther in eine Falle gelockt &#x2014; kurz, er reiste im<lb/>
Herbst 1615 zum zweiten Male freiwillig nach Rom. Wieder erschien er als<lb/>
&#x201E;Legatious-Attachu" des Großherzogs von Toskana und stieg in dessen Ge¬<lb/>
sandtschaftshotel ab, wieder wurde er von einer Gesellschaft mit Ehren über¬<lb/>
häuft, die allen Vorträgen, die er öffentlich hielt, allen Schriften, die er zum<lb/>
Beweise seines rechtlichen Bewußtseins öffentlich vertheilte, einmüthigen Beifall<lb/>
spendete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1582"> Es war vergebens. Am 24. Februar 1616 erklärte das heilige Kolleg<lb/>
mit Einstimmigkeit: Das Rotationsgesetz der Erde enthalte eine<lb/>
Dummheit und eine Ketzerei! Zugleich wurde der Kardinal Bellarmin<lb/>
durch eine Kabinetsordre angewiesen, von dem neu ernannten Ketzer einen Wider¬<lb/>
ruf zu erpressen. &#x201E;Wenn er sich weigert", sagt die Kabinetsordre wörtlich, &#x201E;so<lb/>
soll der mit der Führung des Prozesses betraute Priester ihn formaliter vor einem<lb/>
Notar nebst Zeugen noch einmal in Güte auffordern. Er soll erklären, daß<lb/>
er auf ewige Zeiten sich enthalten soll, von dieser Irrlehre je wieder zu reden<lb/>
oder gar sie zu verbreiten. Beharrt er in seinem Ungehorsam, wird er so--<lb/>
fort ins Gefängniß geführt."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0494] kräftigem Behagen in einem Tone behandelten, der nnr möglich ist bei voll¬ kommener Ungläubigreit. Von ihrem Standpunkt ans ist es auch kein Wunder und nur eine sehr natürliche Maßregel, wenn sie mit allen Mitteln einen Gegner angriffen, der ihnen und ihren Nachfolgern die reichliche und mühe¬ lose Ausbeutung der Gläubigen gewaltig zu verkürzen drohte. Schwerlich ver¬ machte noch ein Mensch, der über Galileis System und dessen Konsequenzen reiflich nachgedacht hatte, seinen sauer verdienten Reichthum der todten Hand. Was sollte da aus den Priestern werden? Am Ende hätten sie gar studiren müssen, wie die Prediger der Protestanten, oder, schauderhafter Gedanke, zum Besten der Gemeinde arbeiten und Aemter verwalten, wie die geistlichen Lehrer des jüdischen Volkes! Nein, so weit sollte es nicht kommen, dank der heiligen Inquisition, dieses erkorenen Rüstzeuges des wahren Glaubens! Noch einmal wurden die Werke des Astronomen sorgsam durchstöbert, und in einer seiner letzten Arbeiten über die Sonnenflecke fand man denn, was man suchte: zwei Punkte, die klärlich Ketzereien enthielten. Galilei, der wie es scheint sehr wohl unterrichtet war von dem, was im Lager der Feinde vorging — hatte er doch alle wirklich klaren Köpfe zu seinen Anhängern zu rechnen — beschloß noch einmal, sich in die Höhle der Löwen zu wagen. Mochte der Ausgang der ersten Reise den etwas eiteln und spötti¬ schen Gelehrten über die wahre Sachlage getäuscht haben, mochte er dein großen Zauber seines persönlichen Auftretens zutrauen, auch die starre Feindschaft er¬ bitterter Priester zu beschwören, oder endlich, was vielleicht am wahrscheinlichsten ist, wurde er durch eiuen Verräther in eine Falle gelockt — kurz, er reiste im Herbst 1615 zum zweiten Male freiwillig nach Rom. Wieder erschien er als „Legatious-Attachu" des Großherzogs von Toskana und stieg in dessen Ge¬ sandtschaftshotel ab, wieder wurde er von einer Gesellschaft mit Ehren über¬ häuft, die allen Vorträgen, die er öffentlich hielt, allen Schriften, die er zum Beweise seines rechtlichen Bewußtseins öffentlich vertheilte, einmüthigen Beifall spendete. Es war vergebens. Am 24. Februar 1616 erklärte das heilige Kolleg mit Einstimmigkeit: Das Rotationsgesetz der Erde enthalte eine Dummheit und eine Ketzerei! Zugleich wurde der Kardinal Bellarmin durch eine Kabinetsordre angewiesen, von dem neu ernannten Ketzer einen Wider¬ ruf zu erpressen. „Wenn er sich weigert", sagt die Kabinetsordre wörtlich, „so soll der mit der Führung des Prozesses betraute Priester ihn formaliter vor einem Notar nebst Zeugen noch einmal in Güte auffordern. Er soll erklären, daß er auf ewige Zeiten sich enthalten soll, von dieser Irrlehre je wieder zu reden oder gar sie zu verbreiten. Beharrt er in seinem Ungehorsam, wird er so-- fort ins Gefängniß geführt."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/494
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/494>, abgerufen am 23.07.2024.