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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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uiögens und einen Pfarrverweser zur Besorgung der kirchlichen Funktionen
und der Pastoration? Die Gemeinde Balg kann doch nicht ohne Pfarrer sein?
wird man vielleicht einwenden. Warum denn nicht? fragen wir. Sie hatte
bisher einen Pfarrer im Ort und hat ihn ignorirt. Nun wohnt er außerhalb
des Ortes. Möge die Gemeinde, wie sie bisher gethan, sich auch fernerhin
behelfen. Ist ihr das auf die Dauer unbequem, so gebe sie den Wunsch kund,
daß ihr Pfarrer Glattfelder zurückkehre, und er wird kommen. So etwa hätte
die Regierung die Sache ordnen sollen, dann wäre die Staatsautorität ge¬
wahrt gewesen.

Es kann sich jetzt nicht darum handeln, zu untersuchen, ob die Sache nicht
von vorn herein geschickter hätte angelegt und geplant werden können. Herr
Glattfelder mag nicht die geeignete Persönlichkeit gewesen sein und Balg nicht
der richtige Ort, um das Experiment zu versuchen. Aber nachdem die Sache
unter Billigung sämmtlicher zuständigen staatlichen Faktoren aufgegriffen und
wie geschehen behandelt war, mußte die Regierung bei ihrer Position beharren.
Sie hat nicht dabei beharrt, und damit ist sie faktisch unterlegen und die Kurie
hat gesiegt. Schon einmal, zu Anfang der fünfziger Jahre, haben römisch¬
katholische Geistliche in Baden die Erfahrung gemacht, wie unklug es sei, sich
der Kirchengewalt gegenüber auf den Schutz des Staates zu verlassen. Das
mit dem Fall Glattfelder gegebene Beispiel wird aufs neue gebucht werden,
zu Gunsten der Kirchengewalt.

Wir wollen nicht weitgehende Kombinationen an den Einzelfall knüpfen,
weder im Sinne des Organs der Deutsch-Conservativen, das bereits von einer
"neuen Aera" spricht, noch im Sinne der "Frankfurter Zeitung", die in dem
Ausgang des Bälger Handels den Anfang vom "Ende des Kulturkampfes in
Baden" erblickt. Das aalglatte Hinwegschlüpfen der ultramontanen Blätter
über Balg, das Nichterheben des sonst in ähnlichen Fällen üblichen Triumph¬
geschreis könnte zu der Vermuthung verleiten, als ob wir noch fernere Ueber-
raschungen auf gleicher Linie zu gewärtigen hätten. Es genügt uns für heute,
das Facit des Falles Balg und Glattfelder zu ziehen. Und wir hundelt: das
landesherrliche Präsentationsrecht gilt nur soviel, als die Kurie es gelten lassen
^ni, und sodann: der Rebell gegen die Staatsautorität kann, wenn er die
kirchliche Charaktermaske geschickt vorzunehmen weiß, uicht nur ungestraft re-
belliren, fondern auch die vou ihm berannte Burg öffnet, ohne daß die Be¬
satzung Pulver und Blei verbraucht hätte oder der Proviant ausgegangen
>pare, zur Stunde der Ruhebedürftigkeit des Kommandirenden ihre Thore, die
Standarte des Burgherrn sinkt, und wo sie gefestigt war, da flattert jetzt die
Rebellenfahne in den Lüften frei und keck.


Hr.


Greuzlwtm I. 1877. 49

uiögens und einen Pfarrverweser zur Besorgung der kirchlichen Funktionen
und der Pastoration? Die Gemeinde Balg kann doch nicht ohne Pfarrer sein?
wird man vielleicht einwenden. Warum denn nicht? fragen wir. Sie hatte
bisher einen Pfarrer im Ort und hat ihn ignorirt. Nun wohnt er außerhalb
des Ortes. Möge die Gemeinde, wie sie bisher gethan, sich auch fernerhin
behelfen. Ist ihr das auf die Dauer unbequem, so gebe sie den Wunsch kund,
daß ihr Pfarrer Glattfelder zurückkehre, und er wird kommen. So etwa hätte
die Regierung die Sache ordnen sollen, dann wäre die Staatsautorität ge¬
wahrt gewesen.

Es kann sich jetzt nicht darum handeln, zu untersuchen, ob die Sache nicht
von vorn herein geschickter hätte angelegt und geplant werden können. Herr
Glattfelder mag nicht die geeignete Persönlichkeit gewesen sein und Balg nicht
der richtige Ort, um das Experiment zu versuchen. Aber nachdem die Sache
unter Billigung sämmtlicher zuständigen staatlichen Faktoren aufgegriffen und
wie geschehen behandelt war, mußte die Regierung bei ihrer Position beharren.
Sie hat nicht dabei beharrt, und damit ist sie faktisch unterlegen und die Kurie
hat gesiegt. Schon einmal, zu Anfang der fünfziger Jahre, haben römisch¬
katholische Geistliche in Baden die Erfahrung gemacht, wie unklug es sei, sich
der Kirchengewalt gegenüber auf den Schutz des Staates zu verlassen. Das
mit dem Fall Glattfelder gegebene Beispiel wird aufs neue gebucht werden,
zu Gunsten der Kirchengewalt.

Wir wollen nicht weitgehende Kombinationen an den Einzelfall knüpfen,
weder im Sinne des Organs der Deutsch-Conservativen, das bereits von einer
»neuen Aera" spricht, noch im Sinne der „Frankfurter Zeitung", die in dem
Ausgang des Bälger Handels den Anfang vom „Ende des Kulturkampfes in
Baden" erblickt. Das aalglatte Hinwegschlüpfen der ultramontanen Blätter
über Balg, das Nichterheben des sonst in ähnlichen Fällen üblichen Triumph¬
geschreis könnte zu der Vermuthung verleiten, als ob wir noch fernere Ueber-
raschungen auf gleicher Linie zu gewärtigen hätten. Es genügt uns für heute,
das Facit des Falles Balg und Glattfelder zu ziehen. Und wir hundelt: das
landesherrliche Präsentationsrecht gilt nur soviel, als die Kurie es gelten lassen
^ni, und sodann: der Rebell gegen die Staatsautorität kann, wenn er die
kirchliche Charaktermaske geschickt vorzunehmen weiß, uicht nur ungestraft re-
belliren, fondern auch die vou ihm berannte Burg öffnet, ohne daß die Be¬
satzung Pulver und Blei verbraucht hätte oder der Proviant ausgegangen
>pare, zur Stunde der Ruhebedürftigkeit des Kommandirenden ihre Thore, die
Standarte des Burgherrn sinkt, und wo sie gefestigt war, da flattert jetzt die
Rebellenfahne in den Lüften frei und keck.


Hr.


Greuzlwtm I. 1877. 49
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[0393] uiögens und einen Pfarrverweser zur Besorgung der kirchlichen Funktionen und der Pastoration? Die Gemeinde Balg kann doch nicht ohne Pfarrer sein? wird man vielleicht einwenden. Warum denn nicht? fragen wir. Sie hatte bisher einen Pfarrer im Ort und hat ihn ignorirt. Nun wohnt er außerhalb des Ortes. Möge die Gemeinde, wie sie bisher gethan, sich auch fernerhin behelfen. Ist ihr das auf die Dauer unbequem, so gebe sie den Wunsch kund, daß ihr Pfarrer Glattfelder zurückkehre, und er wird kommen. So etwa hätte die Regierung die Sache ordnen sollen, dann wäre die Staatsautorität ge¬ wahrt gewesen. Es kann sich jetzt nicht darum handeln, zu untersuchen, ob die Sache nicht von vorn herein geschickter hätte angelegt und geplant werden können. Herr Glattfelder mag nicht die geeignete Persönlichkeit gewesen sein und Balg nicht der richtige Ort, um das Experiment zu versuchen. Aber nachdem die Sache unter Billigung sämmtlicher zuständigen staatlichen Faktoren aufgegriffen und wie geschehen behandelt war, mußte die Regierung bei ihrer Position beharren. Sie hat nicht dabei beharrt, und damit ist sie faktisch unterlegen und die Kurie hat gesiegt. Schon einmal, zu Anfang der fünfziger Jahre, haben römisch¬ katholische Geistliche in Baden die Erfahrung gemacht, wie unklug es sei, sich der Kirchengewalt gegenüber auf den Schutz des Staates zu verlassen. Das mit dem Fall Glattfelder gegebene Beispiel wird aufs neue gebucht werden, zu Gunsten der Kirchengewalt. Wir wollen nicht weitgehende Kombinationen an den Einzelfall knüpfen, weder im Sinne des Organs der Deutsch-Conservativen, das bereits von einer »neuen Aera" spricht, noch im Sinne der „Frankfurter Zeitung", die in dem Ausgang des Bälger Handels den Anfang vom „Ende des Kulturkampfes in Baden" erblickt. Das aalglatte Hinwegschlüpfen der ultramontanen Blätter über Balg, das Nichterheben des sonst in ähnlichen Fällen üblichen Triumph¬ geschreis könnte zu der Vermuthung verleiten, als ob wir noch fernere Ueber- raschungen auf gleicher Linie zu gewärtigen hätten. Es genügt uns für heute, das Facit des Falles Balg und Glattfelder zu ziehen. Und wir hundelt: das landesherrliche Präsentationsrecht gilt nur soviel, als die Kurie es gelten lassen ^ni, und sodann: der Rebell gegen die Staatsautorität kann, wenn er die kirchliche Charaktermaske geschickt vorzunehmen weiß, uicht nur ungestraft re- belliren, fondern auch die vou ihm berannte Burg öffnet, ohne daß die Be¬ satzung Pulver und Blei verbraucht hätte oder der Proviant ausgegangen >pare, zur Stunde der Ruhebedürftigkeit des Kommandirenden ihre Thore, die Standarte des Burgherrn sinkt, und wo sie gefestigt war, da flattert jetzt die Rebellenfahne in den Lüften frei und keck. Hr. Greuzlwtm I. 1877. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/393>, abgerufen am 23.07.2024.