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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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erträglich war er nicht. Allein selbst wenn er dies gewesen wäre, so war er
es einzig dnrch Schuld der Gemeinde, beziehungsweise der Kurie, und zwar
dnrch eine absolut strafbare, weil der Auflehnung gegen die Staatsautorität
entspringende Schuld. Man mag den Einzelnen bedauern, der unter solchen
Zuständen leidet, und es steht engherzigen Seelen ganz gut an, über jede in
Balg stattgehabte Civilbeerdigung Thränen zu vergießen, und Leute, deren
Blick nicht das ganze Gebiet beherrschen kann, mögen sich sogar durch die
rührende Schilderung eines Sterbelagers, an dem die letzte Segnung der Kirche
entbehrt werden muß, zu gefühlvollen Deklamationen über Eingriffe in die
Gewissensfreiheit hinreißen lassen. Der Staatsmann, der Politiker hat die
Sache unter anderem Gesichtspunkt zu betrachten. Mochten die Bälger Pfarr-
genvssen ihren kirchlichen Nothstand, ihre Gewissensnvth der Kurie klagen.
""Mochte diese, von ihrer frivolen Auflehnung gegen die Staatsautorität ab¬
lassend, Herrn Glattfelder als Pfarrer anerkennen. Dann war dem uner¬
träglichen Zustande ein Ende gemacht. Wollte die Kurie das nicht, wollte sie
die Behauptung ihrer rebellischen Position hoher stellen, als die geordnete Be¬
friedigung der kirchlichen und religiösen Bedürfnisse einer Pfarrgemeinde, so
mochte sie fortfahren, wie sie bisher gethan! Die Regierung war nicht ver¬
pflichtet, von sich ans für Beseitigung solcher Zustande zu sorgen, sie hatte
nicht das Recht, diese Beseitigung, wie es hier geschehen ist, uns Kosten der
Staatsautorität zu bewirken.

Unerträglich waren die Zustände in Balg, so wird uns gesagt, auch für
Herrn Glattfelder. Man hatte sich dauernd seiner kirchlichen Wirksamkeit ent¬
zogen, man hatte ihm in sozialer Hinsicht die größten Widerwärtigkeiten be¬
reitet. Es ist nun gewiß unbestritten richtig, daß, wie die "Karlsruher Zeitung"
sagt, der Regierung keine Mittel zur Verfügung stehen, badische Staatsange¬
hörige zur Theilnahme an religiösen Handlungen oder zu wirtschaftlichen
Leistungen im Gebiete des Privatrechts zu zwingen. Aber es hat auch nie¬
mand gefordert, daß man die Bälger Pfarrgenossen mit Polizeigewalt hätte
zwingen sollen, sich von Glattfelder kirchlich bedienen zu lassen, oder daß man
auf dem Wege der Expropriation Milch und Eier in das Pfarrhaus geschafft
Hütte. War der fernere Aufenthalt Glattfelders in Balg unnöthig und un-
thunlich, so war es ganz in der Ordnung, daß die Regierung die Wohnsitz¬
verlegung gestattete. Aber, wie die "Badische Correspondenz" völlig zutreffend
ausführt, das Eintreten eines neuen, von der Kurie gesandten Pfarrverwesers
durfte die Regierung nicht gestatten. Denn was soll das heißen, neben dem
ordnungsmäßig und rechtskräftig ernannten Pfarrer einen auf gar keiner ge¬
setzlichen Basis stehenden Pfarrverweser zu haben? einen Pfarrer zu haben zur
Ertheilung des Religionsunterrichtes und zur Verwaltung des Ortskirchenver-


erträglich war er nicht. Allein selbst wenn er dies gewesen wäre, so war er
es einzig dnrch Schuld der Gemeinde, beziehungsweise der Kurie, und zwar
dnrch eine absolut strafbare, weil der Auflehnung gegen die Staatsautorität
entspringende Schuld. Man mag den Einzelnen bedauern, der unter solchen
Zuständen leidet, und es steht engherzigen Seelen ganz gut an, über jede in
Balg stattgehabte Civilbeerdigung Thränen zu vergießen, und Leute, deren
Blick nicht das ganze Gebiet beherrschen kann, mögen sich sogar durch die
rührende Schilderung eines Sterbelagers, an dem die letzte Segnung der Kirche
entbehrt werden muß, zu gefühlvollen Deklamationen über Eingriffe in die
Gewissensfreiheit hinreißen lassen. Der Staatsmann, der Politiker hat die
Sache unter anderem Gesichtspunkt zu betrachten. Mochten die Bälger Pfarr-
genvssen ihren kirchlichen Nothstand, ihre Gewissensnvth der Kurie klagen.
"»Mochte diese, von ihrer frivolen Auflehnung gegen die Staatsautorität ab¬
lassend, Herrn Glattfelder als Pfarrer anerkennen. Dann war dem uner¬
träglichen Zustande ein Ende gemacht. Wollte die Kurie das nicht, wollte sie
die Behauptung ihrer rebellischen Position hoher stellen, als die geordnete Be¬
friedigung der kirchlichen und religiösen Bedürfnisse einer Pfarrgemeinde, so
mochte sie fortfahren, wie sie bisher gethan! Die Regierung war nicht ver¬
pflichtet, von sich ans für Beseitigung solcher Zustande zu sorgen, sie hatte
nicht das Recht, diese Beseitigung, wie es hier geschehen ist, uns Kosten der
Staatsautorität zu bewirken.

Unerträglich waren die Zustände in Balg, so wird uns gesagt, auch für
Herrn Glattfelder. Man hatte sich dauernd seiner kirchlichen Wirksamkeit ent¬
zogen, man hatte ihm in sozialer Hinsicht die größten Widerwärtigkeiten be¬
reitet. Es ist nun gewiß unbestritten richtig, daß, wie die „Karlsruher Zeitung"
sagt, der Regierung keine Mittel zur Verfügung stehen, badische Staatsange¬
hörige zur Theilnahme an religiösen Handlungen oder zu wirtschaftlichen
Leistungen im Gebiete des Privatrechts zu zwingen. Aber es hat auch nie¬
mand gefordert, daß man die Bälger Pfarrgenossen mit Polizeigewalt hätte
zwingen sollen, sich von Glattfelder kirchlich bedienen zu lassen, oder daß man
auf dem Wege der Expropriation Milch und Eier in das Pfarrhaus geschafft
Hütte. War der fernere Aufenthalt Glattfelders in Balg unnöthig und un-
thunlich, so war es ganz in der Ordnung, daß die Regierung die Wohnsitz¬
verlegung gestattete. Aber, wie die „Badische Correspondenz" völlig zutreffend
ausführt, das Eintreten eines neuen, von der Kurie gesandten Pfarrverwesers
durfte die Regierung nicht gestatten. Denn was soll das heißen, neben dem
ordnungsmäßig und rechtskräftig ernannten Pfarrer einen auf gar keiner ge¬
setzlichen Basis stehenden Pfarrverweser zu haben? einen Pfarrer zu haben zur
Ertheilung des Religionsunterrichtes und zur Verwaltung des Ortskirchenver-


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[0392] erträglich war er nicht. Allein selbst wenn er dies gewesen wäre, so war er es einzig dnrch Schuld der Gemeinde, beziehungsweise der Kurie, und zwar dnrch eine absolut strafbare, weil der Auflehnung gegen die Staatsautorität entspringende Schuld. Man mag den Einzelnen bedauern, der unter solchen Zuständen leidet, und es steht engherzigen Seelen ganz gut an, über jede in Balg stattgehabte Civilbeerdigung Thränen zu vergießen, und Leute, deren Blick nicht das ganze Gebiet beherrschen kann, mögen sich sogar durch die rührende Schilderung eines Sterbelagers, an dem die letzte Segnung der Kirche entbehrt werden muß, zu gefühlvollen Deklamationen über Eingriffe in die Gewissensfreiheit hinreißen lassen. Der Staatsmann, der Politiker hat die Sache unter anderem Gesichtspunkt zu betrachten. Mochten die Bälger Pfarr- genvssen ihren kirchlichen Nothstand, ihre Gewissensnvth der Kurie klagen. "»Mochte diese, von ihrer frivolen Auflehnung gegen die Staatsautorität ab¬ lassend, Herrn Glattfelder als Pfarrer anerkennen. Dann war dem uner¬ träglichen Zustande ein Ende gemacht. Wollte die Kurie das nicht, wollte sie die Behauptung ihrer rebellischen Position hoher stellen, als die geordnete Be¬ friedigung der kirchlichen und religiösen Bedürfnisse einer Pfarrgemeinde, so mochte sie fortfahren, wie sie bisher gethan! Die Regierung war nicht ver¬ pflichtet, von sich ans für Beseitigung solcher Zustande zu sorgen, sie hatte nicht das Recht, diese Beseitigung, wie es hier geschehen ist, uns Kosten der Staatsautorität zu bewirken. Unerträglich waren die Zustände in Balg, so wird uns gesagt, auch für Herrn Glattfelder. Man hatte sich dauernd seiner kirchlichen Wirksamkeit ent¬ zogen, man hatte ihm in sozialer Hinsicht die größten Widerwärtigkeiten be¬ reitet. Es ist nun gewiß unbestritten richtig, daß, wie die „Karlsruher Zeitung" sagt, der Regierung keine Mittel zur Verfügung stehen, badische Staatsange¬ hörige zur Theilnahme an religiösen Handlungen oder zu wirtschaftlichen Leistungen im Gebiete des Privatrechts zu zwingen. Aber es hat auch nie¬ mand gefordert, daß man die Bälger Pfarrgenossen mit Polizeigewalt hätte zwingen sollen, sich von Glattfelder kirchlich bedienen zu lassen, oder daß man auf dem Wege der Expropriation Milch und Eier in das Pfarrhaus geschafft Hütte. War der fernere Aufenthalt Glattfelders in Balg unnöthig und un- thunlich, so war es ganz in der Ordnung, daß die Regierung die Wohnsitz¬ verlegung gestattete. Aber, wie die „Badische Correspondenz" völlig zutreffend ausführt, das Eintreten eines neuen, von der Kurie gesandten Pfarrverwesers durfte die Regierung nicht gestatten. Denn was soll das heißen, neben dem ordnungsmäßig und rechtskräftig ernannten Pfarrer einen auf gar keiner ge¬ setzlichen Basis stehenden Pfarrverweser zu haben? einen Pfarrer zu haben zur Ertheilung des Religionsunterrichtes und zur Verwaltung des Ortskirchenver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/392>, abgerufen am 23.07.2024.