Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.Biegen oder brechen! So war von Regierung und Volksvertretung die Parole Das neue Ministerium fand diese Sachlage vor. Die Mitglieder desselben Biegen oder brechen! So war von Regierung und Volksvertretung die Parole Das neue Ministerium fand diese Sachlage vor. Die Mitglieder desselben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137563"/> <p xml:id="ID_1279" prev="#ID_1278"> Biegen oder brechen! So war von Regierung und Volksvertretung die Parole<lb/> ausgegeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1280" next="#ID_1281"> Das neue Ministerium fand diese Sachlage vor. Die Mitglieder desselben<lb/> kannten die Angelegenheit genau, sie hatten zum Theil als Mitglieder des<lb/> früheren Ministeriums, zum Theil — so namentlich der jetzige Präsident des<lb/> Ministeriums des Innern — als Landtagsabgeordnete die bisherige Haltung<lb/> der Regierung gebilligt. Man hatte deshalb um so weniger Ursache zu der<lb/> Annahme, daß gerade in dieser Frage die „Methode" sich ändern werde. Aber<lb/> man hatte sich getäuscht. Ein offiziöser Aufsatz der „Karlsruher Zeitung" vom<lb/> 1. d. Mes. brachte die Mittheilung, daß „in der Pastoration der Gemeinde<lb/> Balg in neuerer Zeit eine Aenderung stattgefunden habe." Pfarrer Glattfelder<lb/> — so berichtete das offiziöse Blatt — habe gegen Ende des Jahres bei der<lb/> Negierung um die Erlaubniß nachgesucht, seineu Wohnsitz ans dem Orte Balg nach<lb/> einem der dieser Gemeinde nahe gelegenen Orte verlegen zu dürfen. Zu diesem<lb/> Gesuch sei Glattfelder veranlaßt gewesen durch sein Verhältniß zu der großen<lb/> Mehrzahl der Einwohner seiner Pfarrgemeinde, welches sich so gestaltet hatte,<lb/> daß er nicht allein wegen mangelnder Theilnahme einen Pfarrgottesdienst nicht<lb/> mehr abhalten konnte, sondern auch in seinem Privatleben den widrigsten An¬<lb/> feindungen und Chikanen ausgesetzt war. Dies Alles ist nach Ansicht der<lb/> „Karlsruher Zeitung" so gekommen „wohl vorzugsweise durch äußere Ein¬<lb/> wirkungen, deren Zweck war, die Stellung Glattfelders in der Gemeinde unhalt¬<lb/> bar zu machen." „Für die Großherzvgliche Regierung lag kein Anlaß vor,<lb/> der von Glattfelder beabsichtigten Wvhnsitzverlegung entgegenzutreten, sofern<lb/> durch diese derjenige Theil der pfarramtlichen Funktionen, bei welchem das<lb/> staatliche Interesse vorwiegend war — der Religionsunterricht in der Volks¬<lb/> schule und die Mitwirkung bei der Verwaltung des örtlichen Kirchenvermögens<lb/> — eine Beeinträchtigung nicht erfuhr." Pfarrer Glattfelder nahm demgemäß<lb/> zu Anfang dieses Jahres seinen Aufenthalt in einem nahe gelegenen Dorfe und<lb/> besorgt von dort aus den Religionsunterricht und die mit dem Vorsitz in der<lb/> Stiftungscommission verbundenen Geschäfte, „wobei vorausgesetzt war, daß er<lb/> behufs Ausübung auch der übrigen in der Eigenschaft als Pfarrer ihm ob¬<lb/> liegenden Funktionen seinen Aufenthalt wieder nach Balg verlegen werde, so¬<lb/> bald dies von der vorgesetzten Kirchenbehörde verlangt würde."<lb/> Aber siehe da, wie nett sich Alles zum Ganzen rundet! Die Rückkehr wurde<lb/> nicht verlangt, sondern die Kurie berief sogar den bisherigen Ueberwachungs-<lb/> commissär der Gemeinde, den früheren Pfarrverweser, ab, um ihn anderweitig<lb/> zu verwenden und, damit doch die Gemeinde nach Glattfelders Wegzug nicht<lb/> ohne Pfarrer sei, sandte sie einen Pfarrverweser. „Nach diesem Vorgang", so<lb/> schließt die „Karlsruher Zeitung" ihre Darlegung, „erschien die von Glattfelder</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0390]
Biegen oder brechen! So war von Regierung und Volksvertretung die Parole
ausgegeben.
Das neue Ministerium fand diese Sachlage vor. Die Mitglieder desselben
kannten die Angelegenheit genau, sie hatten zum Theil als Mitglieder des
früheren Ministeriums, zum Theil — so namentlich der jetzige Präsident des
Ministeriums des Innern — als Landtagsabgeordnete die bisherige Haltung
der Regierung gebilligt. Man hatte deshalb um so weniger Ursache zu der
Annahme, daß gerade in dieser Frage die „Methode" sich ändern werde. Aber
man hatte sich getäuscht. Ein offiziöser Aufsatz der „Karlsruher Zeitung" vom
1. d. Mes. brachte die Mittheilung, daß „in der Pastoration der Gemeinde
Balg in neuerer Zeit eine Aenderung stattgefunden habe." Pfarrer Glattfelder
— so berichtete das offiziöse Blatt — habe gegen Ende des Jahres bei der
Negierung um die Erlaubniß nachgesucht, seineu Wohnsitz ans dem Orte Balg nach
einem der dieser Gemeinde nahe gelegenen Orte verlegen zu dürfen. Zu diesem
Gesuch sei Glattfelder veranlaßt gewesen durch sein Verhältniß zu der großen
Mehrzahl der Einwohner seiner Pfarrgemeinde, welches sich so gestaltet hatte,
daß er nicht allein wegen mangelnder Theilnahme einen Pfarrgottesdienst nicht
mehr abhalten konnte, sondern auch in seinem Privatleben den widrigsten An¬
feindungen und Chikanen ausgesetzt war. Dies Alles ist nach Ansicht der
„Karlsruher Zeitung" so gekommen „wohl vorzugsweise durch äußere Ein¬
wirkungen, deren Zweck war, die Stellung Glattfelders in der Gemeinde unhalt¬
bar zu machen." „Für die Großherzvgliche Regierung lag kein Anlaß vor,
der von Glattfelder beabsichtigten Wvhnsitzverlegung entgegenzutreten, sofern
durch diese derjenige Theil der pfarramtlichen Funktionen, bei welchem das
staatliche Interesse vorwiegend war — der Religionsunterricht in der Volks¬
schule und die Mitwirkung bei der Verwaltung des örtlichen Kirchenvermögens
— eine Beeinträchtigung nicht erfuhr." Pfarrer Glattfelder nahm demgemäß
zu Anfang dieses Jahres seinen Aufenthalt in einem nahe gelegenen Dorfe und
besorgt von dort aus den Religionsunterricht und die mit dem Vorsitz in der
Stiftungscommission verbundenen Geschäfte, „wobei vorausgesetzt war, daß er
behufs Ausübung auch der übrigen in der Eigenschaft als Pfarrer ihm ob¬
liegenden Funktionen seinen Aufenthalt wieder nach Balg verlegen werde, so¬
bald dies von der vorgesetzten Kirchenbehörde verlangt würde."
Aber siehe da, wie nett sich Alles zum Ganzen rundet! Die Rückkehr wurde
nicht verlangt, sondern die Kurie berief sogar den bisherigen Ueberwachungs-
commissär der Gemeinde, den früheren Pfarrverweser, ab, um ihn anderweitig
zu verwenden und, damit doch die Gemeinde nach Glattfelders Wegzug nicht
ohne Pfarrer sei, sandte sie einen Pfarrverweser. „Nach diesem Vorgang", so
schließt die „Karlsruher Zeitung" ihre Darlegung, „erschien die von Glattfelder
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