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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Die Regierung schützte ihn darin mit allem Nachdruck und vereitelte den Ver¬
such der Kurie, neben dem einzig rechtmäßigen Pfarrer noch besondere "erz¬
bischöfliche" Pfarrer einzuschmuggeln. Die Gemeinde, von Freiburg aus in-
struirt und von dem nominell als Privatmann, thatsächlich aber als Ucber-
wachungscommissär der Kurie im Orte verbleibenden früheren Pfarrverweser
fortwährend bearbeitet, setzte dem neuen Pfarrer passiven Widerstand entgegen.
Die von Glattfelder abgehaltenen Gottesdienste wurden nicht besucht -- einige
wenige Personen, die sich ab und zu einfanden, sind nicht zu zählen --
Taufen, Spendung der Sterbesakramente, Beerdigungen wurden anfangs durch
den früheren Pfarrverweser vorgenommen. Als diesem unter Androhung
strengster Bestrafung solche gesetzwidrige Ausübung kirchlicher Funktionen
untersagt war, und als dasselbe Verbot der Reihe nach auch die in der Nähe
wohnenden Geistlichen traf, welche sich der Bälger Gemeinde in ihrer kirch¬
lichen Noth annehmen wollten, da brachten die Bälger Bauern ihre Kinder in
benachbarte Gemeinden zur Taufe, gingen dorthin zum Gottesdienst, zur
Beichte und Communion, man begnügte sich mit der Civiltrcnmug, die in
solchem Falle kirchlich gebilligt, ja geboten ist, oder ließ die Ehe aufwärts
kirchlich einsegnen, über den Richtempfang der Sterbesakramente tröstete man
sich mit dem von der Kirche dargereichten Trost, daß die Wirkung des Sakra¬
mentes, weil dieses in Folge eines Nothstandes nicht erlangt werden konnte,
dem Gläubigen doch nicht fehle, und die Gestorbenen wurden civiliter beerdigt.
So war Herrn Glattfelder die acht oder nenn Monate über, wahrend deren
er in Balg wohnte, aller Boden für die spezifische geistliche Wirksamkeit ent¬
zogen. Einzig den Religionsunterricht in der Schule konnte er ertheilen, aber
auch das nur in Folge des strengsten Strafverfahrens der staatlichen Behörden
gegen die betreffenden Eltern, welche -- und wiederum ausnahmslos -- ihre
Kinder nicht schicken wollten. Zu diesem kirchlichen Nothstand, in den Herr
Glattfelder versetzt war, hatte sich sofort ein sozialer Nothstand gesellt. Offene
^keesse, Insulten u. dergl. gegen Glattfelder kamen zwar dank der eifrigen
Thätigkeit der staatlichen Polizeibehörde nicht vor. Aber Herr Glattfelder
wurde in Balg ignorirt nud gemieden. Man suchte die Begegnung mit ihm
auf der Straße zu vermeide,?, hatte keinen Gruß für ihn, er konnte im Dorf
keine Dienstleistung irgend welcher Art erlangen, die unentbehrlichsten, zum täg¬
lichen Bedarf zählenden Lebensmittel mußte er sich von auswärts beschaffen,
"- f. w. u. f. w. Die Regierung blieb fest, und als, von ultramontaner Seite
angeregt, die Angelegenheit zu Beginn des letzten Sommers in der zweiten
Kammer zur Verhandlung gelangte, da billigte die Volksvertretung die Haltung
der Regierung. Man mochte die Zustände in Balg beklagen, aber das von
der Kurie in frivolster Weise provizirte Duell mußte ausgefochten werden.


Die Regierung schützte ihn darin mit allem Nachdruck und vereitelte den Ver¬
such der Kurie, neben dem einzig rechtmäßigen Pfarrer noch besondere „erz¬
bischöfliche" Pfarrer einzuschmuggeln. Die Gemeinde, von Freiburg aus in-
struirt und von dem nominell als Privatmann, thatsächlich aber als Ucber-
wachungscommissär der Kurie im Orte verbleibenden früheren Pfarrverweser
fortwährend bearbeitet, setzte dem neuen Pfarrer passiven Widerstand entgegen.
Die von Glattfelder abgehaltenen Gottesdienste wurden nicht besucht — einige
wenige Personen, die sich ab und zu einfanden, sind nicht zu zählen —
Taufen, Spendung der Sterbesakramente, Beerdigungen wurden anfangs durch
den früheren Pfarrverweser vorgenommen. Als diesem unter Androhung
strengster Bestrafung solche gesetzwidrige Ausübung kirchlicher Funktionen
untersagt war, und als dasselbe Verbot der Reihe nach auch die in der Nähe
wohnenden Geistlichen traf, welche sich der Bälger Gemeinde in ihrer kirch¬
lichen Noth annehmen wollten, da brachten die Bälger Bauern ihre Kinder in
benachbarte Gemeinden zur Taufe, gingen dorthin zum Gottesdienst, zur
Beichte und Communion, man begnügte sich mit der Civiltrcnmug, die in
solchem Falle kirchlich gebilligt, ja geboten ist, oder ließ die Ehe aufwärts
kirchlich einsegnen, über den Richtempfang der Sterbesakramente tröstete man
sich mit dem von der Kirche dargereichten Trost, daß die Wirkung des Sakra¬
mentes, weil dieses in Folge eines Nothstandes nicht erlangt werden konnte,
dem Gläubigen doch nicht fehle, und die Gestorbenen wurden civiliter beerdigt.
So war Herrn Glattfelder die acht oder nenn Monate über, wahrend deren
er in Balg wohnte, aller Boden für die spezifische geistliche Wirksamkeit ent¬
zogen. Einzig den Religionsunterricht in der Schule konnte er ertheilen, aber
auch das nur in Folge des strengsten Strafverfahrens der staatlichen Behörden
gegen die betreffenden Eltern, welche — und wiederum ausnahmslos — ihre
Kinder nicht schicken wollten. Zu diesem kirchlichen Nothstand, in den Herr
Glattfelder versetzt war, hatte sich sofort ein sozialer Nothstand gesellt. Offene
^keesse, Insulten u. dergl. gegen Glattfelder kamen zwar dank der eifrigen
Thätigkeit der staatlichen Polizeibehörde nicht vor. Aber Herr Glattfelder
wurde in Balg ignorirt nud gemieden. Man suchte die Begegnung mit ihm
auf der Straße zu vermeide,?, hatte keinen Gruß für ihn, er konnte im Dorf
keine Dienstleistung irgend welcher Art erlangen, die unentbehrlichsten, zum täg¬
lichen Bedarf zählenden Lebensmittel mußte er sich von auswärts beschaffen,
«- f. w. u. f. w. Die Regierung blieb fest, und als, von ultramontaner Seite
angeregt, die Angelegenheit zu Beginn des letzten Sommers in der zweiten
Kammer zur Verhandlung gelangte, da billigte die Volksvertretung die Haltung
der Regierung. Man mochte die Zustände in Balg beklagen, aber das von
der Kurie in frivolster Weise provizirte Duell mußte ausgefochten werden.


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[0389] Die Regierung schützte ihn darin mit allem Nachdruck und vereitelte den Ver¬ such der Kurie, neben dem einzig rechtmäßigen Pfarrer noch besondere „erz¬ bischöfliche" Pfarrer einzuschmuggeln. Die Gemeinde, von Freiburg aus in- struirt und von dem nominell als Privatmann, thatsächlich aber als Ucber- wachungscommissär der Kurie im Orte verbleibenden früheren Pfarrverweser fortwährend bearbeitet, setzte dem neuen Pfarrer passiven Widerstand entgegen. Die von Glattfelder abgehaltenen Gottesdienste wurden nicht besucht — einige wenige Personen, die sich ab und zu einfanden, sind nicht zu zählen — Taufen, Spendung der Sterbesakramente, Beerdigungen wurden anfangs durch den früheren Pfarrverweser vorgenommen. Als diesem unter Androhung strengster Bestrafung solche gesetzwidrige Ausübung kirchlicher Funktionen untersagt war, und als dasselbe Verbot der Reihe nach auch die in der Nähe wohnenden Geistlichen traf, welche sich der Bälger Gemeinde in ihrer kirch¬ lichen Noth annehmen wollten, da brachten die Bälger Bauern ihre Kinder in benachbarte Gemeinden zur Taufe, gingen dorthin zum Gottesdienst, zur Beichte und Communion, man begnügte sich mit der Civiltrcnmug, die in solchem Falle kirchlich gebilligt, ja geboten ist, oder ließ die Ehe aufwärts kirchlich einsegnen, über den Richtempfang der Sterbesakramente tröstete man sich mit dem von der Kirche dargereichten Trost, daß die Wirkung des Sakra¬ mentes, weil dieses in Folge eines Nothstandes nicht erlangt werden konnte, dem Gläubigen doch nicht fehle, und die Gestorbenen wurden civiliter beerdigt. So war Herrn Glattfelder die acht oder nenn Monate über, wahrend deren er in Balg wohnte, aller Boden für die spezifische geistliche Wirksamkeit ent¬ zogen. Einzig den Religionsunterricht in der Schule konnte er ertheilen, aber auch das nur in Folge des strengsten Strafverfahrens der staatlichen Behörden gegen die betreffenden Eltern, welche — und wiederum ausnahmslos — ihre Kinder nicht schicken wollten. Zu diesem kirchlichen Nothstand, in den Herr Glattfelder versetzt war, hatte sich sofort ein sozialer Nothstand gesellt. Offene ^keesse, Insulten u. dergl. gegen Glattfelder kamen zwar dank der eifrigen Thätigkeit der staatlichen Polizeibehörde nicht vor. Aber Herr Glattfelder wurde in Balg ignorirt nud gemieden. Man suchte die Begegnung mit ihm auf der Straße zu vermeide,?, hatte keinen Gruß für ihn, er konnte im Dorf keine Dienstleistung irgend welcher Art erlangen, die unentbehrlichsten, zum täg¬ lichen Bedarf zählenden Lebensmittel mußte er sich von auswärts beschaffen, «- f. w. u. f. w. Die Regierung blieb fest, und als, von ultramontaner Seite angeregt, die Angelegenheit zu Beginn des letzten Sommers in der zweiten Kammer zur Verhandlung gelangte, da billigte die Volksvertretung die Haltung der Regierung. Man mochte die Zustände in Balg beklagen, aber das von der Kurie in frivolster Weise provizirte Duell mußte ausgefochten werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/389>, abgerufen am 26.08.2024.