Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der freien Verleihung des Erzbischofs unterliegen und die übrigen 132 Pfründen
durch ein genau definirtes gemeinsames Verfahren befetzt werden.

Die Zulassung zu einem Kirchenamte, also auch zum Besitz einer Pfründe
-- für die feit 1874 mit ihren Studien zum Abschluß gekommenen Theologen
auch zur öffentlichen Ausübung kirchlicher Funktionen -- ist zufolge staat¬
lichen Gesetzes u. A. durch den vor einer Staatsbehörde in öffentlicher
Prüfung zu erbringenden Nachweis einer allgemeinen wissenschaftlichen Vor¬
bildung bedingt. Die Kurie hat in offener Auflehnung gegen diese staatsge¬
setzliche Bestimmung den katholischen Theologen sowohl die Ablegung der
Prüfung untersagt, als auch das Ansuchen um den unter gewissen Voraus¬
setzungen den vor dem Jahre 1868 Examinirten von der Staatsregierung zu
gewährenden Dispens von der Prüfung. In Folge dessen und bei dem aus¬
nahmslosen Gehorsam, welchen die katholischen Theologen dieser Weisung der
Kurie leisteten, kann keiner der seit dem Jahr 1863 zu Priestern Geweihten
eine Pfründe erlangen, und keiner der seit Wirksamkeit des Gesetzes vom 19.
Februar 1874 mit seinen Studien zum Abschluß gekommenen Theologen kann
kirchliche Funktionen öffentlich ausüben, ja es darf der Bischof bei Vermeidung
hoher Geld-, beziehungsweise Gefängnißstrafen keinem derselben die Priesterweihe
ertheilen. Die in der Zeit von dem Jahre 1863 bis 1874 zu Priestern Ge¬
weihten sind als Kapläne und Pfarrverweser verwendet, seit dem Jahr 1874
konnte kein Zugang von Priestern mehr statthaben.

Vor ungefähr 1^ Jahren hat nun einer der vor dem Jahre 1868 Examinir¬
ten, Glattfelder, bei der Staatsregierung um Dispens von der Prüfung nachgesucht
und hat diesen Dispens erhalten. Damit war für den von der Kirche bisher
als Kaplan und Pfarrverweser verwendeten Priester Glattselder das einzig
rechtlich bestandene Hinderniß zur Erlangung einer Pfründe beseitigt. Der
Großherzog übertrug ihm denn auch kurz darauf die der landesfürstlichen
Präsentation unterstehende Pfarre Balg bei Baden. Die Kurie jedoch ver¬
weigerte die kirchliche Investitur. Zwar begründete sie in Anbetracht der für
solche und ähnliche Fälle aufgestellten ernsten Strafvestimmungen des Gesetzes
vom 19. Februar 1874 ihre Weigerung nicht damit, daß Glattfelder, indem
er Dispens vom staatlichen Examen nachsuchte, sich ihr, der Kurie, gegenüber
ungehorsam gezeigt habe, sondern sie schützte allerlei hohle, in sich nichtige
Gründe vor, und zwar also, daß das Maß dessen, was man im gewöhnlichen
Leben anständig zu nennen Pflegt, in höchst bedenklicher Weise überschritten
wurde. So z. B. machte man geltend, daß Glattfelder, unehelich geborenen
Folge des clLÜzews natalium ein Kirchenamt definitiv nur mit besonderem
päpstlichen Dispens erlangen könne, und man deutete an, daß dieser Dispens
uicht ertheilt werde. Ferner versuchte man die sittliche Haltung Glattfelders


der freien Verleihung des Erzbischofs unterliegen und die übrigen 132 Pfründen
durch ein genau definirtes gemeinsames Verfahren befetzt werden.

Die Zulassung zu einem Kirchenamte, also auch zum Besitz einer Pfründe
— für die feit 1874 mit ihren Studien zum Abschluß gekommenen Theologen
auch zur öffentlichen Ausübung kirchlicher Funktionen — ist zufolge staat¬
lichen Gesetzes u. A. durch den vor einer Staatsbehörde in öffentlicher
Prüfung zu erbringenden Nachweis einer allgemeinen wissenschaftlichen Vor¬
bildung bedingt. Die Kurie hat in offener Auflehnung gegen diese staatsge¬
setzliche Bestimmung den katholischen Theologen sowohl die Ablegung der
Prüfung untersagt, als auch das Ansuchen um den unter gewissen Voraus¬
setzungen den vor dem Jahre 1868 Examinirten von der Staatsregierung zu
gewährenden Dispens von der Prüfung. In Folge dessen und bei dem aus¬
nahmslosen Gehorsam, welchen die katholischen Theologen dieser Weisung der
Kurie leisteten, kann keiner der seit dem Jahr 1863 zu Priestern Geweihten
eine Pfründe erlangen, und keiner der seit Wirksamkeit des Gesetzes vom 19.
Februar 1874 mit seinen Studien zum Abschluß gekommenen Theologen kann
kirchliche Funktionen öffentlich ausüben, ja es darf der Bischof bei Vermeidung
hoher Geld-, beziehungsweise Gefängnißstrafen keinem derselben die Priesterweihe
ertheilen. Die in der Zeit von dem Jahre 1863 bis 1874 zu Priestern Ge¬
weihten sind als Kapläne und Pfarrverweser verwendet, seit dem Jahr 1874
konnte kein Zugang von Priestern mehr statthaben.

Vor ungefähr 1^ Jahren hat nun einer der vor dem Jahre 1868 Examinir¬
ten, Glattfelder, bei der Staatsregierung um Dispens von der Prüfung nachgesucht
und hat diesen Dispens erhalten. Damit war für den von der Kirche bisher
als Kaplan und Pfarrverweser verwendeten Priester Glattselder das einzig
rechtlich bestandene Hinderniß zur Erlangung einer Pfründe beseitigt. Der
Großherzog übertrug ihm denn auch kurz darauf die der landesfürstlichen
Präsentation unterstehende Pfarre Balg bei Baden. Die Kurie jedoch ver¬
weigerte die kirchliche Investitur. Zwar begründete sie in Anbetracht der für
solche und ähnliche Fälle aufgestellten ernsten Strafvestimmungen des Gesetzes
vom 19. Februar 1874 ihre Weigerung nicht damit, daß Glattfelder, indem
er Dispens vom staatlichen Examen nachsuchte, sich ihr, der Kurie, gegenüber
ungehorsam gezeigt habe, sondern sie schützte allerlei hohle, in sich nichtige
Gründe vor, und zwar also, daß das Maß dessen, was man im gewöhnlichen
Leben anständig zu nennen Pflegt, in höchst bedenklicher Weise überschritten
wurde. So z. B. machte man geltend, daß Glattfelder, unehelich geborenen
Folge des clLÜzews natalium ein Kirchenamt definitiv nur mit besonderem
päpstlichen Dispens erlangen könne, und man deutete an, daß dieser Dispens
uicht ertheilt werde. Ferner versuchte man die sittliche Haltung Glattfelders


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0387" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137560"/>
          <p xml:id="ID_1273" prev="#ID_1272"> der freien Verleihung des Erzbischofs unterliegen und die übrigen 132 Pfründen<lb/>
durch ein genau definirtes gemeinsames Verfahren befetzt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1274"> Die Zulassung zu einem Kirchenamte, also auch zum Besitz einer Pfründe<lb/>
&#x2014; für die feit 1874 mit ihren Studien zum Abschluß gekommenen Theologen<lb/>
auch zur öffentlichen Ausübung kirchlicher Funktionen &#x2014; ist zufolge staat¬<lb/>
lichen Gesetzes u. A. durch den vor einer Staatsbehörde in öffentlicher<lb/>
Prüfung zu erbringenden Nachweis einer allgemeinen wissenschaftlichen Vor¬<lb/>
bildung bedingt. Die Kurie hat in offener Auflehnung gegen diese staatsge¬<lb/>
setzliche Bestimmung den katholischen Theologen sowohl die Ablegung der<lb/>
Prüfung untersagt, als auch das Ansuchen um den unter gewissen Voraus¬<lb/>
setzungen den vor dem Jahre 1868 Examinirten von der Staatsregierung zu<lb/>
gewährenden Dispens von der Prüfung. In Folge dessen und bei dem aus¬<lb/>
nahmslosen Gehorsam, welchen die katholischen Theologen dieser Weisung der<lb/>
Kurie leisteten, kann keiner der seit dem Jahr 1863 zu Priestern Geweihten<lb/>
eine Pfründe erlangen, und keiner der seit Wirksamkeit des Gesetzes vom 19.<lb/>
Februar 1874 mit seinen Studien zum Abschluß gekommenen Theologen kann<lb/>
kirchliche Funktionen öffentlich ausüben, ja es darf der Bischof bei Vermeidung<lb/>
hoher Geld-, beziehungsweise Gefängnißstrafen keinem derselben die Priesterweihe<lb/>
ertheilen. Die in der Zeit von dem Jahre 1863 bis 1874 zu Priestern Ge¬<lb/>
weihten sind als Kapläne und Pfarrverweser verwendet, seit dem Jahr 1874<lb/>
konnte kein Zugang von Priestern mehr statthaben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1275" next="#ID_1276"> Vor ungefähr 1^ Jahren hat nun einer der vor dem Jahre 1868 Examinir¬<lb/>
ten, Glattfelder, bei der Staatsregierung um Dispens von der Prüfung nachgesucht<lb/>
und hat diesen Dispens erhalten. Damit war für den von der Kirche bisher<lb/>
als Kaplan und Pfarrverweser verwendeten Priester Glattselder das einzig<lb/>
rechtlich bestandene Hinderniß zur Erlangung einer Pfründe beseitigt. Der<lb/>
Großherzog übertrug ihm denn auch kurz darauf die der landesfürstlichen<lb/>
Präsentation unterstehende Pfarre Balg bei Baden. Die Kurie jedoch ver¬<lb/>
weigerte die kirchliche Investitur. Zwar begründete sie in Anbetracht der für<lb/>
solche und ähnliche Fälle aufgestellten ernsten Strafvestimmungen des Gesetzes<lb/>
vom 19. Februar 1874 ihre Weigerung nicht damit, daß Glattfelder, indem<lb/>
er Dispens vom staatlichen Examen nachsuchte, sich ihr, der Kurie, gegenüber<lb/>
ungehorsam gezeigt habe, sondern sie schützte allerlei hohle, in sich nichtige<lb/>
Gründe vor, und zwar also, daß das Maß dessen, was man im gewöhnlichen<lb/>
Leben anständig zu nennen Pflegt, in höchst bedenklicher Weise überschritten<lb/>
wurde. So z. B. machte man geltend, daß Glattfelder, unehelich geborenen<lb/>
Folge des clLÜzews natalium ein Kirchenamt definitiv nur mit besonderem<lb/>
päpstlichen Dispens erlangen könne, und man deutete an, daß dieser Dispens<lb/>
uicht ertheilt werde. Ferner versuchte man die sittliche Haltung Glattfelders</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0387] der freien Verleihung des Erzbischofs unterliegen und die übrigen 132 Pfründen durch ein genau definirtes gemeinsames Verfahren befetzt werden. Die Zulassung zu einem Kirchenamte, also auch zum Besitz einer Pfründe — für die feit 1874 mit ihren Studien zum Abschluß gekommenen Theologen auch zur öffentlichen Ausübung kirchlicher Funktionen — ist zufolge staat¬ lichen Gesetzes u. A. durch den vor einer Staatsbehörde in öffentlicher Prüfung zu erbringenden Nachweis einer allgemeinen wissenschaftlichen Vor¬ bildung bedingt. Die Kurie hat in offener Auflehnung gegen diese staatsge¬ setzliche Bestimmung den katholischen Theologen sowohl die Ablegung der Prüfung untersagt, als auch das Ansuchen um den unter gewissen Voraus¬ setzungen den vor dem Jahre 1868 Examinirten von der Staatsregierung zu gewährenden Dispens von der Prüfung. In Folge dessen und bei dem aus¬ nahmslosen Gehorsam, welchen die katholischen Theologen dieser Weisung der Kurie leisteten, kann keiner der seit dem Jahr 1863 zu Priestern Geweihten eine Pfründe erlangen, und keiner der seit Wirksamkeit des Gesetzes vom 19. Februar 1874 mit seinen Studien zum Abschluß gekommenen Theologen kann kirchliche Funktionen öffentlich ausüben, ja es darf der Bischof bei Vermeidung hoher Geld-, beziehungsweise Gefängnißstrafen keinem derselben die Priesterweihe ertheilen. Die in der Zeit von dem Jahre 1863 bis 1874 zu Priestern Ge¬ weihten sind als Kapläne und Pfarrverweser verwendet, seit dem Jahr 1874 konnte kein Zugang von Priestern mehr statthaben. Vor ungefähr 1^ Jahren hat nun einer der vor dem Jahre 1868 Examinir¬ ten, Glattfelder, bei der Staatsregierung um Dispens von der Prüfung nachgesucht und hat diesen Dispens erhalten. Damit war für den von der Kirche bisher als Kaplan und Pfarrverweser verwendeten Priester Glattselder das einzig rechtlich bestandene Hinderniß zur Erlangung einer Pfründe beseitigt. Der Großherzog übertrug ihm denn auch kurz darauf die der landesfürstlichen Präsentation unterstehende Pfarre Balg bei Baden. Die Kurie jedoch ver¬ weigerte die kirchliche Investitur. Zwar begründete sie in Anbetracht der für solche und ähnliche Fälle aufgestellten ernsten Strafvestimmungen des Gesetzes vom 19. Februar 1874 ihre Weigerung nicht damit, daß Glattfelder, indem er Dispens vom staatlichen Examen nachsuchte, sich ihr, der Kurie, gegenüber ungehorsam gezeigt habe, sondern sie schützte allerlei hohle, in sich nichtige Gründe vor, und zwar also, daß das Maß dessen, was man im gewöhnlichen Leben anständig zu nennen Pflegt, in höchst bedenklicher Weise überschritten wurde. So z. B. machte man geltend, daß Glattfelder, unehelich geborenen Folge des clLÜzews natalium ein Kirchenamt definitiv nur mit besonderem päpstlichen Dispens erlangen könne, und man deutete an, daß dieser Dispens uicht ertheilt werde. Ferner versuchte man die sittliche Haltung Glattfelders

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/387
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/387>, abgerufen am 23.07.2024.