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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Vielleicht der älteste aller jetzt lebenden Schullehrer heißt Joseph Mann¬
heimer. Er lebt zu Lackenbach bei Oedenbnrg, hört und sieht noch scharf, ißt
und trinkt mit Appetit, schläft gut und hat in diesen Tagen mit seiner 99
Jahre zählenden Frau Rebekka, mit der er sich 1801 verheirathete, die dia¬
mantene Hochzeit gefeiert, wobei er derselben eine witzige Jubelrede gehalten
haben soll. "Rebekka", sagte der alte Joseph, wenn es nicht Feuilletonisten-
erfindung ist, "wir sind Glückskinder, ich bin über Pari, du bist 'ne Neun¬
undneunzigerin, und obendrein 'ne Perle von einer Fran, wir feiern heute mit
Diamanten -- sind wir nicht reiche Leute?"

Ein vollkommen beglaubigtes Beispiel hohen Alters haben wir in
dem am 29. April 1875 zu Paris verstorbenen Grafen Jean Frederic
de Waldeck vor uns. Derselbe wurde 109 Jahre, 1 Monat und 14 Tage alt.
In seiner Jugend war er Page der Königin Maria Antoinette, dann betheiligte
er sich an der Erforschnngsreise, die Levaillant dnrch das südliche Afrika unter¬
nahm, und von 1788 an arbeitete er als Maler unter David und Prnd'son
in Paris; von 1794 bis 1798 focht er unter Bonaparte in Italien und
Aegypten. 1819 nahm er an einer archäologischen Expedition nach Mexiko
theil. 1837 veröffentlichte er seine "VoznM g,red6ol0Fiyu<z et xitwrWyus äans
1<z ?ues".!vn", und 1863 erschiene" Zeichnungen von den berühmten Ruinen
von Palenque, die er als fast Hundertjähriger auf den Stein übertragen hatte.
Im Salon von 1869 lenkte er dnrch Ausstellung von zweien seiner Gemälde, die
er "I^oisirs nu Oenwnkirö" nannte, die Aufmerksamkeit auf sich und wurde
mit der Mitgliedschaft bei gelehrten Gesellschaften in Paris und London beehrt.

Sehen wir die alte Geschichte nach Beispielen durch, wo Menschen das
hundertste Jahr überschritten, und lassen wir dabei mythische oder halb mythische
Persönlichkeiten wie die drei Stammväter der Juden, Joseph, Moses, den Pro¬
pheten Elisa, Pythagoras u. A. bei Seite, so soll der Philosoph und Natur¬
forscher Demokrit 109, der Arzt Hippokrates 104 und der Mädchenschullehrer
L. Clodius Hermippns nach einer im vorigen Jahrhundert zu Rom entdeckten
Inschrift "xuellg.ruln andeliw" (durch den Athem von jungen Mädchen) 115
Jahre und 5 Tage alt geworden sein. Beispiele sehr alter Römerinnen sind
Terentia, die Frau Ciceros, die es trotz vielen Unglücks und Kummers (sie
wurde von Cicero geschieden, überlebte dann ihren zweiten Gatten Sallust und
begrub noch einen dritten Gemahl) und trotzdem, daß sie von der Gicht geplagt
wurde, auf 103 Jahre brachte, die Schauspielerin Luceja, die ein volles Jahr¬
hundert auf der Bühne wirkte und noch in ihrem 112. Jahre in einem Stücke
auftrat, und die Tänzerin Galeria Copiala, die neun Decennien nach ihrem
ersten Erscheinen auf dem Theater uoch bei einer Begrüßung des Pompejus
thätig war und noch unter Augustus lebte. Mag hierbei Täuschung obgewaltet


Vielleicht der älteste aller jetzt lebenden Schullehrer heißt Joseph Mann¬
heimer. Er lebt zu Lackenbach bei Oedenbnrg, hört und sieht noch scharf, ißt
und trinkt mit Appetit, schläft gut und hat in diesen Tagen mit seiner 99
Jahre zählenden Frau Rebekka, mit der er sich 1801 verheirathete, die dia¬
mantene Hochzeit gefeiert, wobei er derselben eine witzige Jubelrede gehalten
haben soll. „Rebekka", sagte der alte Joseph, wenn es nicht Feuilletonisten-
erfindung ist, „wir sind Glückskinder, ich bin über Pari, du bist 'ne Neun¬
undneunzigerin, und obendrein 'ne Perle von einer Fran, wir feiern heute mit
Diamanten — sind wir nicht reiche Leute?"

Ein vollkommen beglaubigtes Beispiel hohen Alters haben wir in
dem am 29. April 1875 zu Paris verstorbenen Grafen Jean Frederic
de Waldeck vor uns. Derselbe wurde 109 Jahre, 1 Monat und 14 Tage alt.
In seiner Jugend war er Page der Königin Maria Antoinette, dann betheiligte
er sich an der Erforschnngsreise, die Levaillant dnrch das südliche Afrika unter¬
nahm, und von 1788 an arbeitete er als Maler unter David und Prnd'son
in Paris; von 1794 bis 1798 focht er unter Bonaparte in Italien und
Aegypten. 1819 nahm er an einer archäologischen Expedition nach Mexiko
theil. 1837 veröffentlichte er seine „VoznM g,red6ol0Fiyu<z et xitwrWyus äans
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von Palenque, die er als fast Hundertjähriger auf den Stein übertragen hatte.
Im Salon von 1869 lenkte er dnrch Ausstellung von zweien seiner Gemälde, die
er „I^oisirs nu Oenwnkirö" nannte, die Aufmerksamkeit auf sich und wurde
mit der Mitgliedschaft bei gelehrten Gesellschaften in Paris und London beehrt.

Sehen wir die alte Geschichte nach Beispielen durch, wo Menschen das
hundertste Jahr überschritten, und lassen wir dabei mythische oder halb mythische
Persönlichkeiten wie die drei Stammväter der Juden, Joseph, Moses, den Pro¬
pheten Elisa, Pythagoras u. A. bei Seite, so soll der Philosoph und Natur¬
forscher Demokrit 109, der Arzt Hippokrates 104 und der Mädchenschullehrer
L. Clodius Hermippns nach einer im vorigen Jahrhundert zu Rom entdeckten
Inschrift »xuellg.ruln andeliw« (durch den Athem von jungen Mädchen) 115
Jahre und 5 Tage alt geworden sein. Beispiele sehr alter Römerinnen sind
Terentia, die Frau Ciceros, die es trotz vielen Unglücks und Kummers (sie
wurde von Cicero geschieden, überlebte dann ihren zweiten Gatten Sallust und
begrub noch einen dritten Gemahl) und trotzdem, daß sie von der Gicht geplagt
wurde, auf 103 Jahre brachte, die Schauspielerin Luceja, die ein volles Jahr¬
hundert auf der Bühne wirkte und noch in ihrem 112. Jahre in einem Stücke
auftrat, und die Tänzerin Galeria Copiala, die neun Decennien nach ihrem
ersten Erscheinen auf dem Theater uoch bei einer Begrüßung des Pompejus
thätig war und noch unter Augustus lebte. Mag hierbei Täuschung obgewaltet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/292>, abgerufen am 23.07.2024.