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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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der allerneuesten Zeit wenigstens die Lewissche Ansicht als dnrch wohlver¬
bürgte Thatsachen widerlegt bezeichnen.

Die Prager Blätter vom 13. Juli v. I. theilten Folgendes mit: Ein
unansehnlicher, vom Publikum kaum beachteter Leichenzug bewegte sich heute
um zehn Uhr Vormittags von der Kleinseite aus nach dein Wilschaner Fried¬
hofe. Voran schritt der Kreuzträger, und dem einfachen Leichenwagen folgten
blos zwei Kutschen mit Leidtragenden. Und doch war es aller Wahrscheinlich¬
keit nach die älteste Frau Böhmens, vielleicht ganz Oesterreichs, die hente zu
Grabe gebracht wurde. Frau Therese Fiedler von Httlsenstein hat das höchst
seltene Alter von 119 Jahren erreicht. Sie war 1757 zu Hamburg geboren
und verbrachte ihre Jugendjahre bei der Gräfin Palffy, einer Hofdame der
Kaiserin Maria Theresia. Später heirathete sie einen französischen Major und
nach dessen Tode einen österreichischen Postbeamten, den sie ebenfalls bald durch
eine Krankheit verlor. Seit 1830 war ihr der Tabaksverschleiß in der Bude
"Beim Montag" im Gnadenwege verliehen. Bis an ihr Lebensende erfreute
sie sich einer ziemlichen Rüstigkeit, ihre Stimme war wohlklingend, ihre Ge¬
sichtszüge zeigten noch deutlich die Spuren einstiger Schönheit. Sie starb, ohne
eigentlich krank gewesen zu sein. Nach dem Genusse eiues halben Eies und
einer Suppe legte sie sich vorgestern Abends nieder, um nicht wieder zu er¬
wachen.

Zu Eisleben in der Provinz Sachsen starb in der ersten Woche des Januar
d. I. die im Jahre 1767 geborne Jüdin Oppenheim. Die Verstorbene war
im Elsaß geboren und wurde nach dem vor dreißig Jahren erfolgten Tode
ihres Mannes von der Stadt ernährt.

In Chemnitz - starb am 15. Januar d. I. die am 27. September 1774
geborne Johanne Regime verwittwete Leichseuring, früher verwittwet gewesene
Morgenstern, geborne Pfeifer, in einem Alter von 102 Jahren und 3^/z Monaten.
Sie war von Chemnitz gebürtig und hinterließ 4 Enkel und 2 Urenkel, ihre
vier Kinder waren sämmtlich vor ihr gestorben. Bis zu ihrem Ende war sie
im vollen Besitz ihrer Sinne, und noch am Abend ihres Todes saß sie mit
ihren Verwandten am Tische und aß mit Appetit.

Am 2. Januar d. I. feierte in Claußnitz bei Sapta im sächsischen Erz¬
gebirge der dort lebende Arzt und Chirurg Dr. Lederer seinen hundertsten Ge¬
burtstag. Derselbe ist ein geborner Oesterreicher, diente zuerst im vaterländischen
Heere als Feldscherer und trat später in sächsische Dienste, in welchen er der
Schlacht bei Jena beiwohnte. Er ist noch so rüstig, daß er ganz vor Kurzem
noch ohne Beschwerde im Staude war, einem seiner Hülfe Bedürfenden Arm
und Beine ganz allein einzurichten.


der allerneuesten Zeit wenigstens die Lewissche Ansicht als dnrch wohlver¬
bürgte Thatsachen widerlegt bezeichnen.

Die Prager Blätter vom 13. Juli v. I. theilten Folgendes mit: Ein
unansehnlicher, vom Publikum kaum beachteter Leichenzug bewegte sich heute
um zehn Uhr Vormittags von der Kleinseite aus nach dein Wilschaner Fried¬
hofe. Voran schritt der Kreuzträger, und dem einfachen Leichenwagen folgten
blos zwei Kutschen mit Leidtragenden. Und doch war es aller Wahrscheinlich¬
keit nach die älteste Frau Böhmens, vielleicht ganz Oesterreichs, die hente zu
Grabe gebracht wurde. Frau Therese Fiedler von Httlsenstein hat das höchst
seltene Alter von 119 Jahren erreicht. Sie war 1757 zu Hamburg geboren
und verbrachte ihre Jugendjahre bei der Gräfin Palffy, einer Hofdame der
Kaiserin Maria Theresia. Später heirathete sie einen französischen Major und
nach dessen Tode einen österreichischen Postbeamten, den sie ebenfalls bald durch
eine Krankheit verlor. Seit 1830 war ihr der Tabaksverschleiß in der Bude
„Beim Montag" im Gnadenwege verliehen. Bis an ihr Lebensende erfreute
sie sich einer ziemlichen Rüstigkeit, ihre Stimme war wohlklingend, ihre Ge¬
sichtszüge zeigten noch deutlich die Spuren einstiger Schönheit. Sie starb, ohne
eigentlich krank gewesen zu sein. Nach dem Genusse eiues halben Eies und
einer Suppe legte sie sich vorgestern Abends nieder, um nicht wieder zu er¬
wachen.

Zu Eisleben in der Provinz Sachsen starb in der ersten Woche des Januar
d. I. die im Jahre 1767 geborne Jüdin Oppenheim. Die Verstorbene war
im Elsaß geboren und wurde nach dem vor dreißig Jahren erfolgten Tode
ihres Mannes von der Stadt ernährt.

In Chemnitz - starb am 15. Januar d. I. die am 27. September 1774
geborne Johanne Regime verwittwete Leichseuring, früher verwittwet gewesene
Morgenstern, geborne Pfeifer, in einem Alter von 102 Jahren und 3^/z Monaten.
Sie war von Chemnitz gebürtig und hinterließ 4 Enkel und 2 Urenkel, ihre
vier Kinder waren sämmtlich vor ihr gestorben. Bis zu ihrem Ende war sie
im vollen Besitz ihrer Sinne, und noch am Abend ihres Todes saß sie mit
ihren Verwandten am Tische und aß mit Appetit.

Am 2. Januar d. I. feierte in Claußnitz bei Sapta im sächsischen Erz¬
gebirge der dort lebende Arzt und Chirurg Dr. Lederer seinen hundertsten Ge¬
burtstag. Derselbe ist ein geborner Oesterreicher, diente zuerst im vaterländischen
Heere als Feldscherer und trat später in sächsische Dienste, in welchen er der
Schlacht bei Jena beiwohnte. Er ist noch so rüstig, daß er ganz vor Kurzem
noch ohne Beschwerde im Staude war, einem seiner Hülfe Bedürfenden Arm
und Beine ganz allein einzurichten.


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[0291] der allerneuesten Zeit wenigstens die Lewissche Ansicht als dnrch wohlver¬ bürgte Thatsachen widerlegt bezeichnen. Die Prager Blätter vom 13. Juli v. I. theilten Folgendes mit: Ein unansehnlicher, vom Publikum kaum beachteter Leichenzug bewegte sich heute um zehn Uhr Vormittags von der Kleinseite aus nach dein Wilschaner Fried¬ hofe. Voran schritt der Kreuzträger, und dem einfachen Leichenwagen folgten blos zwei Kutschen mit Leidtragenden. Und doch war es aller Wahrscheinlich¬ keit nach die älteste Frau Böhmens, vielleicht ganz Oesterreichs, die hente zu Grabe gebracht wurde. Frau Therese Fiedler von Httlsenstein hat das höchst seltene Alter von 119 Jahren erreicht. Sie war 1757 zu Hamburg geboren und verbrachte ihre Jugendjahre bei der Gräfin Palffy, einer Hofdame der Kaiserin Maria Theresia. Später heirathete sie einen französischen Major und nach dessen Tode einen österreichischen Postbeamten, den sie ebenfalls bald durch eine Krankheit verlor. Seit 1830 war ihr der Tabaksverschleiß in der Bude „Beim Montag" im Gnadenwege verliehen. Bis an ihr Lebensende erfreute sie sich einer ziemlichen Rüstigkeit, ihre Stimme war wohlklingend, ihre Ge¬ sichtszüge zeigten noch deutlich die Spuren einstiger Schönheit. Sie starb, ohne eigentlich krank gewesen zu sein. Nach dem Genusse eiues halben Eies und einer Suppe legte sie sich vorgestern Abends nieder, um nicht wieder zu er¬ wachen. Zu Eisleben in der Provinz Sachsen starb in der ersten Woche des Januar d. I. die im Jahre 1767 geborne Jüdin Oppenheim. Die Verstorbene war im Elsaß geboren und wurde nach dem vor dreißig Jahren erfolgten Tode ihres Mannes von der Stadt ernährt. In Chemnitz - starb am 15. Januar d. I. die am 27. September 1774 geborne Johanne Regime verwittwete Leichseuring, früher verwittwet gewesene Morgenstern, geborne Pfeifer, in einem Alter von 102 Jahren und 3^/z Monaten. Sie war von Chemnitz gebürtig und hinterließ 4 Enkel und 2 Urenkel, ihre vier Kinder waren sämmtlich vor ihr gestorben. Bis zu ihrem Ende war sie im vollen Besitz ihrer Sinne, und noch am Abend ihres Todes saß sie mit ihren Verwandten am Tische und aß mit Appetit. Am 2. Januar d. I. feierte in Claußnitz bei Sapta im sächsischen Erz¬ gebirge der dort lebende Arzt und Chirurg Dr. Lederer seinen hundertsten Ge¬ burtstag. Derselbe ist ein geborner Oesterreicher, diente zuerst im vaterländischen Heere als Feldscherer und trat später in sächsische Dienste, in welchen er der Schlacht bei Jena beiwohnte. Er ist noch so rüstig, daß er ganz vor Kurzem noch ohne Beschwerde im Staude war, einem seiner Hülfe Bedürfenden Arm und Beine ganz allein einzurichten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/291>, abgerufen am 23.07.2024.