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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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gulären Milizen und der Bürger und der Stellung aller Gerichts- und Ver¬
waltungsbehörden unter die russische Dictatur. Diese Bedingungen sollten bis
fünf Uhr früh am 20. August angenommen werden, widrigenfalls ein allge¬
meiner Sturm auf die Stadt erfolgen werde. Die Muthlosigkeit der Türken
war eine so tiefgehende, daß sie diese Zumuthungen annahmen, und am 20.
August nahm Diebitsch mit seinem Heere von Adrianopel Besitz.

Diese Besitznahme war kaum erfolgt, als der Oberbefehlshaber der Russen Schlag
auf Schlag weiter operirte. Eine nach Osten dirigirte Abtheilung seiner
Truppen besetzte die wichtige Stadt Kirk Kilissa auf dem direkten Wege zwischen
Schnmla und Konstantinopel, die nur noch 20 deutsche Meilen von letzterem
entfernt war, sowie Luke Burgasi, einen am Vereinigungspunkte dieses Weges
mit der Straße von Konstantinopel nach Adrianopel gelegenen Ort. Eine
andere russische Colonne wandte sich nach Süden und nahm von Demotika und
Jpsala an der Maritza, dem Hauptstrome Rumeliens, sowie von dem Hafen-
Platze Eros am Ausflusse desselben in das Aegäische Meer Besitz, wo sie mit
der Flottendivision im Verbindung trat, welche Rußland aus der Ostsee hierher
gesandt hatte.

Damit war der Feldzug des Jahres 1829 in Europa entschieden. Er
hatte mit einer vollständigen Niederlage der Türken und mit einem ebenfalls
vollständigen Siege der Russen geendigt. Jene hatten kein Heer mehr, welches
das Feld halten oder die Hauptstadt vertheidigen konnte, diese hatten ihre Er¬
folge mit verhältnißmäßig geringen Verlusten erreicht. Ihre Armee stand in
den letzten Tagen des August, also zwanzig Wochen etwa nach dem Wiederbe¬
ginn des Krieges, im Herzen der europäischen Türkei, sie hatte das reiche
Adrianopel inne, ihre Vorhut war bis Luke Burgasi, kaum drei Tagemarsche
von der ohnmächtig und zitternd den Einmarsch des Feindes erwartenden
Hauptstadt, vorgeschoben, sie stützte sich endlich mit ihrem rechten Flügel auf
die Flotte im Aegäischen und mit ihrem linken ans diejenige im Schwarzen
Meere, deren Admiral an allen Küstenplätzen bis zum Kap Juiada Truppen
gelandet hatte. In wenigen Tagen konnte Diebitsch Konstantinopel erreichen,
und es hätte sich ohne Schwertstreich ergeben müssen, wenn die russische Diplo¬
matie dem siegreichen Feldherrn nicht Halt zugerufen und ihm den Degen in die
Scheide zu stecken geboten hätte.

Ebenso glänzend, wenn auch weniger von Bedeutung für den Ausgang
des Krieges pvaren die Siege der Russen in Asien, wo es sich für die Pforte
vor Allem um Wiedergewinnung der im vorhergehenden Jahre verlorenen drei
Festungen Achalzich, Kars und Bajasid handelte. Der neue Seraskier Sakieh
Pascha warmem energischer Mann, der sich aber nur auf die orientalische Art
Krieg zu führen wohl verstand, und der nur wenige reguläre Truppen zur


gulären Milizen und der Bürger und der Stellung aller Gerichts- und Ver¬
waltungsbehörden unter die russische Dictatur. Diese Bedingungen sollten bis
fünf Uhr früh am 20. August angenommen werden, widrigenfalls ein allge¬
meiner Sturm auf die Stadt erfolgen werde. Die Muthlosigkeit der Türken
war eine so tiefgehende, daß sie diese Zumuthungen annahmen, und am 20.
August nahm Diebitsch mit seinem Heere von Adrianopel Besitz.

Diese Besitznahme war kaum erfolgt, als der Oberbefehlshaber der Russen Schlag
auf Schlag weiter operirte. Eine nach Osten dirigirte Abtheilung seiner
Truppen besetzte die wichtige Stadt Kirk Kilissa auf dem direkten Wege zwischen
Schnmla und Konstantinopel, die nur noch 20 deutsche Meilen von letzterem
entfernt war, sowie Luke Burgasi, einen am Vereinigungspunkte dieses Weges
mit der Straße von Konstantinopel nach Adrianopel gelegenen Ort. Eine
andere russische Colonne wandte sich nach Süden und nahm von Demotika und
Jpsala an der Maritza, dem Hauptstrome Rumeliens, sowie von dem Hafen-
Platze Eros am Ausflusse desselben in das Aegäische Meer Besitz, wo sie mit
der Flottendivision im Verbindung trat, welche Rußland aus der Ostsee hierher
gesandt hatte.

Damit war der Feldzug des Jahres 1829 in Europa entschieden. Er
hatte mit einer vollständigen Niederlage der Türken und mit einem ebenfalls
vollständigen Siege der Russen geendigt. Jene hatten kein Heer mehr, welches
das Feld halten oder die Hauptstadt vertheidigen konnte, diese hatten ihre Er¬
folge mit verhältnißmäßig geringen Verlusten erreicht. Ihre Armee stand in
den letzten Tagen des August, also zwanzig Wochen etwa nach dem Wiederbe¬
ginn des Krieges, im Herzen der europäischen Türkei, sie hatte das reiche
Adrianopel inne, ihre Vorhut war bis Luke Burgasi, kaum drei Tagemarsche
von der ohnmächtig und zitternd den Einmarsch des Feindes erwartenden
Hauptstadt, vorgeschoben, sie stützte sich endlich mit ihrem rechten Flügel auf
die Flotte im Aegäischen und mit ihrem linken ans diejenige im Schwarzen
Meere, deren Admiral an allen Küstenplätzen bis zum Kap Juiada Truppen
gelandet hatte. In wenigen Tagen konnte Diebitsch Konstantinopel erreichen,
und es hätte sich ohne Schwertstreich ergeben müssen, wenn die russische Diplo¬
matie dem siegreichen Feldherrn nicht Halt zugerufen und ihm den Degen in die
Scheide zu stecken geboten hätte.

Ebenso glänzend, wenn auch weniger von Bedeutung für den Ausgang
des Krieges pvaren die Siege der Russen in Asien, wo es sich für die Pforte
vor Allem um Wiedergewinnung der im vorhergehenden Jahre verlorenen drei
Festungen Achalzich, Kars und Bajasid handelte. Der neue Seraskier Sakieh
Pascha warmem energischer Mann, der sich aber nur auf die orientalische Art
Krieg zu führen wohl verstand, und der nur wenige reguläre Truppen zur


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[0275] gulären Milizen und der Bürger und der Stellung aller Gerichts- und Ver¬ waltungsbehörden unter die russische Dictatur. Diese Bedingungen sollten bis fünf Uhr früh am 20. August angenommen werden, widrigenfalls ein allge¬ meiner Sturm auf die Stadt erfolgen werde. Die Muthlosigkeit der Türken war eine so tiefgehende, daß sie diese Zumuthungen annahmen, und am 20. August nahm Diebitsch mit seinem Heere von Adrianopel Besitz. Diese Besitznahme war kaum erfolgt, als der Oberbefehlshaber der Russen Schlag auf Schlag weiter operirte. Eine nach Osten dirigirte Abtheilung seiner Truppen besetzte die wichtige Stadt Kirk Kilissa auf dem direkten Wege zwischen Schnmla und Konstantinopel, die nur noch 20 deutsche Meilen von letzterem entfernt war, sowie Luke Burgasi, einen am Vereinigungspunkte dieses Weges mit der Straße von Konstantinopel nach Adrianopel gelegenen Ort. Eine andere russische Colonne wandte sich nach Süden und nahm von Demotika und Jpsala an der Maritza, dem Hauptstrome Rumeliens, sowie von dem Hafen- Platze Eros am Ausflusse desselben in das Aegäische Meer Besitz, wo sie mit der Flottendivision im Verbindung trat, welche Rußland aus der Ostsee hierher gesandt hatte. Damit war der Feldzug des Jahres 1829 in Europa entschieden. Er hatte mit einer vollständigen Niederlage der Türken und mit einem ebenfalls vollständigen Siege der Russen geendigt. Jene hatten kein Heer mehr, welches das Feld halten oder die Hauptstadt vertheidigen konnte, diese hatten ihre Er¬ folge mit verhältnißmäßig geringen Verlusten erreicht. Ihre Armee stand in den letzten Tagen des August, also zwanzig Wochen etwa nach dem Wiederbe¬ ginn des Krieges, im Herzen der europäischen Türkei, sie hatte das reiche Adrianopel inne, ihre Vorhut war bis Luke Burgasi, kaum drei Tagemarsche von der ohnmächtig und zitternd den Einmarsch des Feindes erwartenden Hauptstadt, vorgeschoben, sie stützte sich endlich mit ihrem rechten Flügel auf die Flotte im Aegäischen und mit ihrem linken ans diejenige im Schwarzen Meere, deren Admiral an allen Küstenplätzen bis zum Kap Juiada Truppen gelandet hatte. In wenigen Tagen konnte Diebitsch Konstantinopel erreichen, und es hätte sich ohne Schwertstreich ergeben müssen, wenn die russische Diplo¬ matie dem siegreichen Feldherrn nicht Halt zugerufen und ihm den Degen in die Scheide zu stecken geboten hätte. Ebenso glänzend, wenn auch weniger von Bedeutung für den Ausgang des Krieges pvaren die Siege der Russen in Asien, wo es sich für die Pforte vor Allem um Wiedergewinnung der im vorhergehenden Jahre verlorenen drei Festungen Achalzich, Kars und Bajasid handelte. Der neue Seraskier Sakieh Pascha warmem energischer Mann, der sich aber nur auf die orientalische Art Krieg zu führen wohl verstand, und der nur wenige reguläre Truppen zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/275>, abgerufen am 23.07.2024.