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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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unablässig vom Heere des Seraskiers Hussein bedroht und von dessen zahl¬
reicher Reiterei an genügender Verprovicmtirung gehindert, zog man zuletzt,
nachdem man in Warna eine Garnison von 10,000 Mann zurückgelassen,
wieder der Donau zu und nach dem linken Ufer derselben hinüber.

Wie Schumla, so widerstand auch Silistria. Alle Anstrengungen Noths,
die Festung zu nehmen, scheiterten. Ebensowenig vermochte dessen Nachfolger
Scherbatoff etwas auszurichten, nud dessen Nachfolger Längerem hatte denselben
Mißerfolg. Als beschlossen war, daß die Hauptarmee die Bulgarei, wo sie im
Winter nicht existiren konnte, verlassen sollte, und die Regengüsse des October
die Umgegend in einen Sumpf verwandelten, machte er einen letzten Versuch,
indem er die' Stadt zwei Tage und zwei. Nächte laug bombardirte. Aber
Garnison und Einwohnerschaft ließen sich nicht einschüchtern und wiesen jede
Aufforderung zur Uebergabe zurück. Das sechste Corps mußte schließlich gleich
den beiden andern die Bulgarei wieder verlassen und ging am 20. November
über die Donau, nachdem es auf dem Rückzüge wegen der schlechten Wege
einen großen Theil seiner Pferde und seines Gepäcks verloren hatte.

Der Winter trat frühzeitig ein und war sehr streng, er steigerte die Ent¬
behrungen und Krankheiten im russischen Heere und war für dasselbe außer¬
ordentlich nachtheilig, und erwägt man die ungeheuren Opfer, die dieser Umstand
im Gefolge hatte, sowie die schweren Verluste, welche der vorhergehende Sommer
und der Herbst gefordert hatten, so ist kaum zweifelhaft, daß der Feldzug im
Ganzen von den Türken und nicht von den Russen gewonnen worden war.

Anders freilich fiel der Feldzug von 1823 in Asien aus, wo der unter¬
nehmende und kühne Paskewitsch allenthalben den Sieg an seine Fahnen ge¬
fesselt, die Festungen Kars und Achalzich nach Niederwerfung der zu ihrer
Unterstützung bereiten türkischen Streitkräfte genommen und die Gegenden, auf
die es ihm zunächst ankam, sämmtlich in seine Gewalt gebracht hatte, während
ein russisches Corps unter dein Fürsten Tschawdzewadze bis Bajasid vorge¬
drungen war, diese Stadt und verschiedene weniger bedeutende Orte eingenommen
und den Kurden am Murad Tschai, einem der Qnellbäche des Euphrat, eine
schwere Niederlage beigebracht hatte.

Das warm glänzende Erfolge, aber die Entscheidung lag nicht im Besitze
dieser schwachbevölkerten asiatischen Provinzen. Mehr als eine derselben konnte
verloren gehen, ohne daß der Bestand des Reiches des Nachfolgers Osmans
ernstlich gefährdet wurde. Der Mittelpunkt dieses Reiches war Konstantinopel
mit dem Bosporus und dem Hellespont, und die Frage war, ob es den Russen
gelungen, sich dorthin den Weg zu bahnen. Der Besitz Warnas sah nnr wie ein
Anfang dazu ans, seine Einnahme war sehr theuer zu stehen gekommen und
hatte deu russischen Massen sicher nicht mehr, eher weniger Glanz verliehen als


Grenzboten i. 1877. 30

unablässig vom Heere des Seraskiers Hussein bedroht und von dessen zahl¬
reicher Reiterei an genügender Verprovicmtirung gehindert, zog man zuletzt,
nachdem man in Warna eine Garnison von 10,000 Mann zurückgelassen,
wieder der Donau zu und nach dem linken Ufer derselben hinüber.

Wie Schumla, so widerstand auch Silistria. Alle Anstrengungen Noths,
die Festung zu nehmen, scheiterten. Ebensowenig vermochte dessen Nachfolger
Scherbatoff etwas auszurichten, nud dessen Nachfolger Längerem hatte denselben
Mißerfolg. Als beschlossen war, daß die Hauptarmee die Bulgarei, wo sie im
Winter nicht existiren konnte, verlassen sollte, und die Regengüsse des October
die Umgegend in einen Sumpf verwandelten, machte er einen letzten Versuch,
indem er die' Stadt zwei Tage und zwei. Nächte laug bombardirte. Aber
Garnison und Einwohnerschaft ließen sich nicht einschüchtern und wiesen jede
Aufforderung zur Uebergabe zurück. Das sechste Corps mußte schließlich gleich
den beiden andern die Bulgarei wieder verlassen und ging am 20. November
über die Donau, nachdem es auf dem Rückzüge wegen der schlechten Wege
einen großen Theil seiner Pferde und seines Gepäcks verloren hatte.

Der Winter trat frühzeitig ein und war sehr streng, er steigerte die Ent¬
behrungen und Krankheiten im russischen Heere und war für dasselbe außer¬
ordentlich nachtheilig, und erwägt man die ungeheuren Opfer, die dieser Umstand
im Gefolge hatte, sowie die schweren Verluste, welche der vorhergehende Sommer
und der Herbst gefordert hatten, so ist kaum zweifelhaft, daß der Feldzug im
Ganzen von den Türken und nicht von den Russen gewonnen worden war.

Anders freilich fiel der Feldzug von 1823 in Asien aus, wo der unter¬
nehmende und kühne Paskewitsch allenthalben den Sieg an seine Fahnen ge¬
fesselt, die Festungen Kars und Achalzich nach Niederwerfung der zu ihrer
Unterstützung bereiten türkischen Streitkräfte genommen und die Gegenden, auf
die es ihm zunächst ankam, sämmtlich in seine Gewalt gebracht hatte, während
ein russisches Corps unter dein Fürsten Tschawdzewadze bis Bajasid vorge¬
drungen war, diese Stadt und verschiedene weniger bedeutende Orte eingenommen
und den Kurden am Murad Tschai, einem der Qnellbäche des Euphrat, eine
schwere Niederlage beigebracht hatte.

Das warm glänzende Erfolge, aber die Entscheidung lag nicht im Besitze
dieser schwachbevölkerten asiatischen Provinzen. Mehr als eine derselben konnte
verloren gehen, ohne daß der Bestand des Reiches des Nachfolgers Osmans
ernstlich gefährdet wurde. Der Mittelpunkt dieses Reiches war Konstantinopel
mit dem Bosporus und dem Hellespont, und die Frage war, ob es den Russen
gelungen, sich dorthin den Weg zu bahnen. Der Besitz Warnas sah nnr wie ein
Anfang dazu ans, seine Einnahme war sehr theuer zu stehen gekommen und
hatte deu russischen Massen sicher nicht mehr, eher weniger Glanz verliehen als


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[0241] unablässig vom Heere des Seraskiers Hussein bedroht und von dessen zahl¬ reicher Reiterei an genügender Verprovicmtirung gehindert, zog man zuletzt, nachdem man in Warna eine Garnison von 10,000 Mann zurückgelassen, wieder der Donau zu und nach dem linken Ufer derselben hinüber. Wie Schumla, so widerstand auch Silistria. Alle Anstrengungen Noths, die Festung zu nehmen, scheiterten. Ebensowenig vermochte dessen Nachfolger Scherbatoff etwas auszurichten, nud dessen Nachfolger Längerem hatte denselben Mißerfolg. Als beschlossen war, daß die Hauptarmee die Bulgarei, wo sie im Winter nicht existiren konnte, verlassen sollte, und die Regengüsse des October die Umgegend in einen Sumpf verwandelten, machte er einen letzten Versuch, indem er die' Stadt zwei Tage und zwei. Nächte laug bombardirte. Aber Garnison und Einwohnerschaft ließen sich nicht einschüchtern und wiesen jede Aufforderung zur Uebergabe zurück. Das sechste Corps mußte schließlich gleich den beiden andern die Bulgarei wieder verlassen und ging am 20. November über die Donau, nachdem es auf dem Rückzüge wegen der schlechten Wege einen großen Theil seiner Pferde und seines Gepäcks verloren hatte. Der Winter trat frühzeitig ein und war sehr streng, er steigerte die Ent¬ behrungen und Krankheiten im russischen Heere und war für dasselbe außer¬ ordentlich nachtheilig, und erwägt man die ungeheuren Opfer, die dieser Umstand im Gefolge hatte, sowie die schweren Verluste, welche der vorhergehende Sommer und der Herbst gefordert hatten, so ist kaum zweifelhaft, daß der Feldzug im Ganzen von den Türken und nicht von den Russen gewonnen worden war. Anders freilich fiel der Feldzug von 1823 in Asien aus, wo der unter¬ nehmende und kühne Paskewitsch allenthalben den Sieg an seine Fahnen ge¬ fesselt, die Festungen Kars und Achalzich nach Niederwerfung der zu ihrer Unterstützung bereiten türkischen Streitkräfte genommen und die Gegenden, auf die es ihm zunächst ankam, sämmtlich in seine Gewalt gebracht hatte, während ein russisches Corps unter dein Fürsten Tschawdzewadze bis Bajasid vorge¬ drungen war, diese Stadt und verschiedene weniger bedeutende Orte eingenommen und den Kurden am Murad Tschai, einem der Qnellbäche des Euphrat, eine schwere Niederlage beigebracht hatte. Das warm glänzende Erfolge, aber die Entscheidung lag nicht im Besitze dieser schwachbevölkerten asiatischen Provinzen. Mehr als eine derselben konnte verloren gehen, ohne daß der Bestand des Reiches des Nachfolgers Osmans ernstlich gefährdet wurde. Der Mittelpunkt dieses Reiches war Konstantinopel mit dem Bosporus und dem Hellespont, und die Frage war, ob es den Russen gelungen, sich dorthin den Weg zu bahnen. Der Besitz Warnas sah nnr wie ein Anfang dazu ans, seine Einnahme war sehr theuer zu stehen gekommen und hatte deu russischen Massen sicher nicht mehr, eher weniger Glanz verliehen als Grenzboten i. 1877. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/241>, abgerufen am 23.07.2024.