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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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zagten nicht. Fortwährende Kämpfe hatten ihre Zahl beträchtlich zusammen¬
schmelzen lassen, aber ihr Widerstand blieb nngeschwücht. Am 6. October hatte
eine Mine eine breite Bresche in den Wall gerissen, am 7. erfolgte der Sturm,
und einige russische Tirailleurs drangen in die Stadt ein, wurden indeß theils
niedergemacht, theils wieder Hinansgetrieben, und der Verlust der Russen war
an diesem Tage weit größer als derjenige der Türken. Noch einmal wurde
Jzzet Pascha zur Uebergabe aufgefordert, und wieder wies er die Aufforderung
energisch zurück. Am 10. October indeß kam Jussuf Pascha, der zweite Com¬
mandant der Festung, der in Unfrieden mit Jzzet lebte, weil dieser ihn im
Oberbefehl ersetzt hatte, von einem Peroten im russischen Lager zum Verrath
gewonnen, zum General der Russen, um ihm zu sagen, daß er den ihm über¬
tragnen Theil der Festung räumen werde, und sich unter seinen Schutz zu
stellen. Als dies der Garnison in Warna mitgetheilt wurde, zogen die Truppen
Jussufs in Masse nach dem Lager der Russen, um sich mit ihrem Geueral zu
vereinigen. Nur etwa 300 Maun blieben bei Jzzet und ihrer Pflicht, und mit
diesen zog sich der Kapndan Pascha in die Citadelle zurück, von wo ihm die sofort
in die Stadt eingerückten Belagerer nach zwei Tagen einen ehrenvollen Abzug
gewährten.

Sultan Mahmud war über den Verlust von Warna sehr unzufrieden.
Er nahm dem Grvßwesir die Siegel des Reiches wegen seiner Unthätigkeit
während der letzten Wochen der Belagerung ab, verbannte ihn nach Gallipoli
und gab ihm Jzzet zum Nachfolger. Jussufs großer Landbesitz in Rumelien
wurde eingezogen. Er selbst begab sich nach Rußland, wo er zwei Jahre in
schimpflicher Opulenz lebte, nach deren Verlauf es der russischen Diplomatie
gelang, ihm die Erlaubniß zur Heimkehr zu verschaffen.

Die Türken hatten bei der Vertheidigung Warnas gezeigt, daß es ihnen
an Kenntniß vom regelmäßigen Gange einer Belagerung gebrach. Sie ver-
süumteu, ihr Geschütz auf der angegriffenen Front zu verstärken, bevor die
feindlichen Batterien erbaut waren. Sie zersplitterten ihr Feuer. Sie wußten
von den Contreminen nicht den richtigen Gebrauch zu macheu. Aber sie legten
die unerschütterlichste Tapferkeit hinter den schwachen Vertheidignngswerken an
den Tag, welche, ohne System und regellos angelegt, bis zum letzten Augen-
blick von ihnen behauptet wurden. Ihr heldenmütiger Widerstand in dem
von Breschen ausgefüllten Graben und ihr Aushalten noch drei Wochen, nach¬
dem der Feind zwei gangbare Sturmlücken in den Hanptwall gelegt, ist ein
seltner und über alles Lob erhabner Fall.

Mit der Einnahme von Warna war der Feldzug von 1828, soweit es
sich um die europäische Türkei handelte, zu Ende. Die vor Schumla stehende
russische Armee verließ ihre Stellungen und concentrirte sich vor Warna. Aber


zagten nicht. Fortwährende Kämpfe hatten ihre Zahl beträchtlich zusammen¬
schmelzen lassen, aber ihr Widerstand blieb nngeschwücht. Am 6. October hatte
eine Mine eine breite Bresche in den Wall gerissen, am 7. erfolgte der Sturm,
und einige russische Tirailleurs drangen in die Stadt ein, wurden indeß theils
niedergemacht, theils wieder Hinansgetrieben, und der Verlust der Russen war
an diesem Tage weit größer als derjenige der Türken. Noch einmal wurde
Jzzet Pascha zur Uebergabe aufgefordert, und wieder wies er die Aufforderung
energisch zurück. Am 10. October indeß kam Jussuf Pascha, der zweite Com¬
mandant der Festung, der in Unfrieden mit Jzzet lebte, weil dieser ihn im
Oberbefehl ersetzt hatte, von einem Peroten im russischen Lager zum Verrath
gewonnen, zum General der Russen, um ihm zu sagen, daß er den ihm über¬
tragnen Theil der Festung räumen werde, und sich unter seinen Schutz zu
stellen. Als dies der Garnison in Warna mitgetheilt wurde, zogen die Truppen
Jussufs in Masse nach dem Lager der Russen, um sich mit ihrem Geueral zu
vereinigen. Nur etwa 300 Maun blieben bei Jzzet und ihrer Pflicht, und mit
diesen zog sich der Kapndan Pascha in die Citadelle zurück, von wo ihm die sofort
in die Stadt eingerückten Belagerer nach zwei Tagen einen ehrenvollen Abzug
gewährten.

Sultan Mahmud war über den Verlust von Warna sehr unzufrieden.
Er nahm dem Grvßwesir die Siegel des Reiches wegen seiner Unthätigkeit
während der letzten Wochen der Belagerung ab, verbannte ihn nach Gallipoli
und gab ihm Jzzet zum Nachfolger. Jussufs großer Landbesitz in Rumelien
wurde eingezogen. Er selbst begab sich nach Rußland, wo er zwei Jahre in
schimpflicher Opulenz lebte, nach deren Verlauf es der russischen Diplomatie
gelang, ihm die Erlaubniß zur Heimkehr zu verschaffen.

Die Türken hatten bei der Vertheidigung Warnas gezeigt, daß es ihnen
an Kenntniß vom regelmäßigen Gange einer Belagerung gebrach. Sie ver-
süumteu, ihr Geschütz auf der angegriffenen Front zu verstärken, bevor die
feindlichen Batterien erbaut waren. Sie zersplitterten ihr Feuer. Sie wußten
von den Contreminen nicht den richtigen Gebrauch zu macheu. Aber sie legten
die unerschütterlichste Tapferkeit hinter den schwachen Vertheidignngswerken an
den Tag, welche, ohne System und regellos angelegt, bis zum letzten Augen-
blick von ihnen behauptet wurden. Ihr heldenmütiger Widerstand in dem
von Breschen ausgefüllten Graben und ihr Aushalten noch drei Wochen, nach¬
dem der Feind zwei gangbare Sturmlücken in den Hanptwall gelegt, ist ein
seltner und über alles Lob erhabner Fall.

Mit der Einnahme von Warna war der Feldzug von 1828, soweit es
sich um die europäische Türkei handelte, zu Ende. Die vor Schumla stehende
russische Armee verließ ihre Stellungen und concentrirte sich vor Warna. Aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/240>, abgerufen am 23.07.2024.