Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gemagert hatte. Schwieriger noch war die Beschaffung von Pferdefutter. Die
Fouragirungen mußten, nachdem man die nächste Umgebung ausgesogen, anf
Entfernungen von drei bis vier Meilen ausgedehnt werden. Fast täglich löste
sich die ganze russische Reiterei in Fvnragenrs anf, und doch konnte sie nicht
die genügende Menge von Futter auftreiben. So verlor mau von der jetzt
überhaupt nur noch 3000 Mann starken Cavallerie täglich gegen 100 und später
an 150 Pferde, und so konnte man anf die Reiterei bald weder in der Schlacht
noch beim Vorpostendienst mehr viel rechnen. Nicht weniger bedenklich war,
daß die Hitze der Tage, die Kälte der Nächte, die mangelhafte Ernährung bei
schwerster Anstrengung und das schlechte Wasser zahlreiche Krankheiten, namentlich
Ruhr, Fieber und Scorbut, erzeugten und die Lazarethe allmählich füllten.

Dennoch behauptete Fürst Wittgenstein seine Positionen mit Festigkeit.
Aber am 28. August unternahmen die Türken einen allgemeinen Ausfall, er¬
stürmten eine große Redoute, deren Besatzung sie über die Klinge springen
ließen, und zwangen dadurch den General Rüdiger die Stellung von Eski
Stambul zu verlassen, wo er die Verbindung zwischen Schumla und Adria¬
nopel abgeschnitten hatte. Die Türken konnten jetzt wieder Verstärkungen und
Vorräthe aus dem wohlhabenden Thracien bekommen, und die Einschließung
der Festung war fortan nur noch eine Beobachtung. Ferner regte sich jetzt
auch der Großwesir, indem er von Adrianopel gegen Altos vorrückte, und
14,000 Mann brachen von Schnmla auf, um sich mit ihm zu vereinigen. Um
dieselbe Zeit drohten die türkischen Garnisonen von Widdin, Nikopolis und
Rustschuk mit einem Einbruch in die Walachei. Aus der Gegend von Silistria
berichtete der General Roth über die Unzulänglichkeit seiner Mittel zur Ein¬
nahme des Platzes, zu dessen Besatzung türkische Reiterei aus Schumla ge¬
stoßen war. Die Belagerung von Warna endlich mußte aufgehoben werden,
weil das hier aufgestellte russische Corps kaum halb so stark als die Garnison
der Festung war. >

So befand sich die russische Armee während der zweiten Hälfte des August
und deu September hindurch in einer äußerst kritischen Lage, und bei größerer
Thätigkeit der türkischen Feldherrn und namentlich des Großwesirs Selnn
würde der Feldzug für die Russen den verderblichsten Ausgang genommen haben.

Das von Roth befehligte sechste Corps stand Anfang Juli noch auf dem
linken Ufer der Donau. Der bei Oltenitza beabsichtigte Uebergang über den
Strom mißlang, weil die Türken sich gegenüber in Purtukai stark verschanzt
hatten. Er war aber außerdem nutzlos und sogar bedenklich, so lange das
dritte Corps nicht in gleicher Höhe vorrücken konnte und die starke Besatzung
Silistrias uicht durch ein Einschließungseorps auf dessen Mauern beschränkt
war. Erst als alle Dvnanfestuugen vou Silistria abwärts in der Gewalt der


gemagert hatte. Schwieriger noch war die Beschaffung von Pferdefutter. Die
Fouragirungen mußten, nachdem man die nächste Umgebung ausgesogen, anf
Entfernungen von drei bis vier Meilen ausgedehnt werden. Fast täglich löste
sich die ganze russische Reiterei in Fvnragenrs anf, und doch konnte sie nicht
die genügende Menge von Futter auftreiben. So verlor mau von der jetzt
überhaupt nur noch 3000 Mann starken Cavallerie täglich gegen 100 und später
an 150 Pferde, und so konnte man anf die Reiterei bald weder in der Schlacht
noch beim Vorpostendienst mehr viel rechnen. Nicht weniger bedenklich war,
daß die Hitze der Tage, die Kälte der Nächte, die mangelhafte Ernährung bei
schwerster Anstrengung und das schlechte Wasser zahlreiche Krankheiten, namentlich
Ruhr, Fieber und Scorbut, erzeugten und die Lazarethe allmählich füllten.

Dennoch behauptete Fürst Wittgenstein seine Positionen mit Festigkeit.
Aber am 28. August unternahmen die Türken einen allgemeinen Ausfall, er¬
stürmten eine große Redoute, deren Besatzung sie über die Klinge springen
ließen, und zwangen dadurch den General Rüdiger die Stellung von Eski
Stambul zu verlassen, wo er die Verbindung zwischen Schumla und Adria¬
nopel abgeschnitten hatte. Die Türken konnten jetzt wieder Verstärkungen und
Vorräthe aus dem wohlhabenden Thracien bekommen, und die Einschließung
der Festung war fortan nur noch eine Beobachtung. Ferner regte sich jetzt
auch der Großwesir, indem er von Adrianopel gegen Altos vorrückte, und
14,000 Mann brachen von Schnmla auf, um sich mit ihm zu vereinigen. Um
dieselbe Zeit drohten die türkischen Garnisonen von Widdin, Nikopolis und
Rustschuk mit einem Einbruch in die Walachei. Aus der Gegend von Silistria
berichtete der General Roth über die Unzulänglichkeit seiner Mittel zur Ein¬
nahme des Platzes, zu dessen Besatzung türkische Reiterei aus Schumla ge¬
stoßen war. Die Belagerung von Warna endlich mußte aufgehoben werden,
weil das hier aufgestellte russische Corps kaum halb so stark als die Garnison
der Festung war. >

So befand sich die russische Armee während der zweiten Hälfte des August
und deu September hindurch in einer äußerst kritischen Lage, und bei größerer
Thätigkeit der türkischen Feldherrn und namentlich des Großwesirs Selnn
würde der Feldzug für die Russen den verderblichsten Ausgang genommen haben.

Das von Roth befehligte sechste Corps stand Anfang Juli noch auf dem
linken Ufer der Donau. Der bei Oltenitza beabsichtigte Uebergang über den
Strom mißlang, weil die Türken sich gegenüber in Purtukai stark verschanzt
hatten. Er war aber außerdem nutzlos und sogar bedenklich, so lange das
dritte Corps nicht in gleicher Höhe vorrücken konnte und die starke Besatzung
Silistrias uicht durch ein Einschließungseorps auf dessen Mauern beschränkt
war. Erst als alle Dvnanfestuugen vou Silistria abwärts in der Gewalt der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0237" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137410"/>
          <p xml:id="ID_803" prev="#ID_802"> gemagert hatte. Schwieriger noch war die Beschaffung von Pferdefutter. Die<lb/>
Fouragirungen mußten, nachdem man die nächste Umgebung ausgesogen, anf<lb/>
Entfernungen von drei bis vier Meilen ausgedehnt werden. Fast täglich löste<lb/>
sich die ganze russische Reiterei in Fvnragenrs anf, und doch konnte sie nicht<lb/>
die genügende Menge von Futter auftreiben. So verlor mau von der jetzt<lb/>
überhaupt nur noch 3000 Mann starken Cavallerie täglich gegen 100 und später<lb/>
an 150 Pferde, und so konnte man anf die Reiterei bald weder in der Schlacht<lb/>
noch beim Vorpostendienst mehr viel rechnen. Nicht weniger bedenklich war,<lb/>
daß die Hitze der Tage, die Kälte der Nächte, die mangelhafte Ernährung bei<lb/>
schwerster Anstrengung und das schlechte Wasser zahlreiche Krankheiten, namentlich<lb/>
Ruhr, Fieber und Scorbut, erzeugten und die Lazarethe allmählich füllten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_804"> Dennoch behauptete Fürst Wittgenstein seine Positionen mit Festigkeit.<lb/>
Aber am 28. August unternahmen die Türken einen allgemeinen Ausfall, er¬<lb/>
stürmten eine große Redoute, deren Besatzung sie über die Klinge springen<lb/>
ließen, und zwangen dadurch den General Rüdiger die Stellung von Eski<lb/>
Stambul zu verlassen, wo er die Verbindung zwischen Schumla und Adria¬<lb/>
nopel abgeschnitten hatte. Die Türken konnten jetzt wieder Verstärkungen und<lb/>
Vorräthe aus dem wohlhabenden Thracien bekommen, und die Einschließung<lb/>
der Festung war fortan nur noch eine Beobachtung. Ferner regte sich jetzt<lb/>
auch der Großwesir, indem er von Adrianopel gegen Altos vorrückte, und<lb/>
14,000 Mann brachen von Schnmla auf, um sich mit ihm zu vereinigen. Um<lb/>
dieselbe Zeit drohten die türkischen Garnisonen von Widdin, Nikopolis und<lb/>
Rustschuk mit einem Einbruch in die Walachei. Aus der Gegend von Silistria<lb/>
berichtete der General Roth über die Unzulänglichkeit seiner Mittel zur Ein¬<lb/>
nahme des Platzes, zu dessen Besatzung türkische Reiterei aus Schumla ge¬<lb/>
stoßen war. Die Belagerung von Warna endlich mußte aufgehoben werden,<lb/>
weil das hier aufgestellte russische Corps kaum halb so stark als die Garnison<lb/>
der Festung war. &gt;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_805"> So befand sich die russische Armee während der zweiten Hälfte des August<lb/>
und deu September hindurch in einer äußerst kritischen Lage, und bei größerer<lb/>
Thätigkeit der türkischen Feldherrn und namentlich des Großwesirs Selnn<lb/>
würde der Feldzug für die Russen den verderblichsten Ausgang genommen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_806" next="#ID_807"> Das von Roth befehligte sechste Corps stand Anfang Juli noch auf dem<lb/>
linken Ufer der Donau. Der bei Oltenitza beabsichtigte Uebergang über den<lb/>
Strom mißlang, weil die Türken sich gegenüber in Purtukai stark verschanzt<lb/>
hatten. Er war aber außerdem nutzlos und sogar bedenklich, so lange das<lb/>
dritte Corps nicht in gleicher Höhe vorrücken konnte und die starke Besatzung<lb/>
Silistrias uicht durch ein Einschließungseorps auf dessen Mauern beschränkt<lb/>
war. Erst als alle Dvnanfestuugen vou Silistria abwärts in der Gewalt der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0237] gemagert hatte. Schwieriger noch war die Beschaffung von Pferdefutter. Die Fouragirungen mußten, nachdem man die nächste Umgebung ausgesogen, anf Entfernungen von drei bis vier Meilen ausgedehnt werden. Fast täglich löste sich die ganze russische Reiterei in Fvnragenrs anf, und doch konnte sie nicht die genügende Menge von Futter auftreiben. So verlor mau von der jetzt überhaupt nur noch 3000 Mann starken Cavallerie täglich gegen 100 und später an 150 Pferde, und so konnte man anf die Reiterei bald weder in der Schlacht noch beim Vorpostendienst mehr viel rechnen. Nicht weniger bedenklich war, daß die Hitze der Tage, die Kälte der Nächte, die mangelhafte Ernährung bei schwerster Anstrengung und das schlechte Wasser zahlreiche Krankheiten, namentlich Ruhr, Fieber und Scorbut, erzeugten und die Lazarethe allmählich füllten. Dennoch behauptete Fürst Wittgenstein seine Positionen mit Festigkeit. Aber am 28. August unternahmen die Türken einen allgemeinen Ausfall, er¬ stürmten eine große Redoute, deren Besatzung sie über die Klinge springen ließen, und zwangen dadurch den General Rüdiger die Stellung von Eski Stambul zu verlassen, wo er die Verbindung zwischen Schumla und Adria¬ nopel abgeschnitten hatte. Die Türken konnten jetzt wieder Verstärkungen und Vorräthe aus dem wohlhabenden Thracien bekommen, und die Einschließung der Festung war fortan nur noch eine Beobachtung. Ferner regte sich jetzt auch der Großwesir, indem er von Adrianopel gegen Altos vorrückte, und 14,000 Mann brachen von Schnmla auf, um sich mit ihm zu vereinigen. Um dieselbe Zeit drohten die türkischen Garnisonen von Widdin, Nikopolis und Rustschuk mit einem Einbruch in die Walachei. Aus der Gegend von Silistria berichtete der General Roth über die Unzulänglichkeit seiner Mittel zur Ein¬ nahme des Platzes, zu dessen Besatzung türkische Reiterei aus Schumla ge¬ stoßen war. Die Belagerung von Warna endlich mußte aufgehoben werden, weil das hier aufgestellte russische Corps kaum halb so stark als die Garnison der Festung war. > So befand sich die russische Armee während der zweiten Hälfte des August und deu September hindurch in einer äußerst kritischen Lage, und bei größerer Thätigkeit der türkischen Feldherrn und namentlich des Großwesirs Selnn würde der Feldzug für die Russen den verderblichsten Ausgang genommen haben. Das von Roth befehligte sechste Corps stand Anfang Juli noch auf dem linken Ufer der Donau. Der bei Oltenitza beabsichtigte Uebergang über den Strom mißlang, weil die Türken sich gegenüber in Purtukai stark verschanzt hatten. Er war aber außerdem nutzlos und sogar bedenklich, so lange das dritte Corps nicht in gleicher Höhe vorrücken konnte und die starke Besatzung Silistrias uicht durch ein Einschließungseorps auf dessen Mauern beschränkt war. Erst als alle Dvnanfestuugen vou Silistria abwärts in der Gewalt der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/237
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/237>, abgerufen am 23.07.2024.