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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Wir schließen unsere Skizze mit einigen nebensächlichen Bemerkungen über
Bulgarien und seine Bewohner. Daß die Bulgaren eine ziemlich reichhaltige
alte Literatur haben, ist bereits angedeutet. Die neubulgarische ist erst im Ent¬
stehen, doch giebt es schon seit geraumer Zeit Zeitschriften in bulgarischer Sprache.
Das erste Druckwerk, welches in dieser abgefaßt wurde, war das 1806 erschienene
"Kyriakodromion", eine Sammlung der Predigten des Bischofs Stojko Sofronij,
dessen Leben ein großentheils tragischer Roman war. Ein Bulgar, Namens
Beron aus Kadet am Balkan, hat mehrere Werke in bulgarischer, französischer,
griechischer und deutscher Sprache veröffentlicht, und zwar in letzterer zu Prag
eine philosophische Schrift 'und in Berlin Ansichten über den Planeten Saturn.
Der bedeutendste bulgarische Schriftsteller war während der fünfziger und
sechziger Jahre Rakowsky, der in Belgrad lebt und sich als Sammler von
Volksliedern, Sagen, Sitten und Gebräuchen seiner Nation, dann durch Ver¬
besserung der Sprache vermittelst Rückkehr zu den älteren und reineren Formen
und schließlich durch Herausgabe nützlicher Schulbücher große Verdienste um
die Hebung seiner Nation erwarb, und den man in dieser Beziehung dem Serben
Wuk Karadschitsch an die Seite stellen kann. Er wirkte auch als Journalist
im patriotischen Sinne, indem er die Zeitschrift "Dunavski Lebet" herausgab,
welche die Nachrichten ans Bulgarien auch in französischer Sprache mittheilte.
Andere Zeitschriften waren in den letztverflossenen beiden Jahrzehnten: "Caro-
gradski Westnik", "Bulgarin" und "Bulgarski Knieizi" (eine Literaturzeitung)
in Konstantinopel, "Bradski Trüb", von den in Moskau studirenden Bulgaren
herausgegeben, "Sewernazwesda" in Odessa und "Philologia" in Smyrna.
Die beiden letzteren haben aufgehört zu erscheinen. Wenn in Bulgarien selbst
kein Blatt in der Landessprache existirt, so liegt der Grund einfach darin,
daß die Regierung hier keine Druckerei duldet. Als im Jahre 1852 ein Herr
Zankoff aus Wien in Sistowa eine solche anlegen wollte, wurde ihm die Er¬
laubniß dazu abgeschlagen, und er mußte das Geschäft uach Konstantinopel
verlegen. So müssen denn bulgarische Schriftsteller wohl oder übel ins Aus¬
land gehen, wenn sie ihre Werke veröffentlichen wollen.

Ueberall an den größeren Hochschulen trifft man seit Jahren schon junge
Leute aus Bulgarien, die sich mit Eifer den Studien widmen. Die Mehrzahl
geht allerdings nach Rußland, aber nur, weil man sie dort reichlich unterstützt.
Aber auch in Paris und Pesth, in Wien und Prag, sowie in Berlin und Leipzig
studiren gewöhnlich einige von ihnen, und man hört in der Regel von ihrem
Fleiß und ihrer Befähigung nur Lobenswerthes.

Die Straßen sind in Bulgarien so schlecht, wie allenthalben in der Türkei,
im Gebirge bloße Ziegenpfade, in der Ebne bei feuchtem Wetter Kothlachen,
in welche die hier üblichen von Ochsen gezognen Arabas bis an die Achsen


Wir schließen unsere Skizze mit einigen nebensächlichen Bemerkungen über
Bulgarien und seine Bewohner. Daß die Bulgaren eine ziemlich reichhaltige
alte Literatur haben, ist bereits angedeutet. Die neubulgarische ist erst im Ent¬
stehen, doch giebt es schon seit geraumer Zeit Zeitschriften in bulgarischer Sprache.
Das erste Druckwerk, welches in dieser abgefaßt wurde, war das 1806 erschienene
„Kyriakodromion", eine Sammlung der Predigten des Bischofs Stojko Sofronij,
dessen Leben ein großentheils tragischer Roman war. Ein Bulgar, Namens
Beron aus Kadet am Balkan, hat mehrere Werke in bulgarischer, französischer,
griechischer und deutscher Sprache veröffentlicht, und zwar in letzterer zu Prag
eine philosophische Schrift 'und in Berlin Ansichten über den Planeten Saturn.
Der bedeutendste bulgarische Schriftsteller war während der fünfziger und
sechziger Jahre Rakowsky, der in Belgrad lebt und sich als Sammler von
Volksliedern, Sagen, Sitten und Gebräuchen seiner Nation, dann durch Ver¬
besserung der Sprache vermittelst Rückkehr zu den älteren und reineren Formen
und schließlich durch Herausgabe nützlicher Schulbücher große Verdienste um
die Hebung seiner Nation erwarb, und den man in dieser Beziehung dem Serben
Wuk Karadschitsch an die Seite stellen kann. Er wirkte auch als Journalist
im patriotischen Sinne, indem er die Zeitschrift „Dunavski Lebet" herausgab,
welche die Nachrichten ans Bulgarien auch in französischer Sprache mittheilte.
Andere Zeitschriften waren in den letztverflossenen beiden Jahrzehnten: „Caro-
gradski Westnik", „Bulgarin" und „Bulgarski Knieizi" (eine Literaturzeitung)
in Konstantinopel, „Bradski Trüb", von den in Moskau studirenden Bulgaren
herausgegeben, „Sewernazwesda" in Odessa und „Philologia" in Smyrna.
Die beiden letzteren haben aufgehört zu erscheinen. Wenn in Bulgarien selbst
kein Blatt in der Landessprache existirt, so liegt der Grund einfach darin,
daß die Regierung hier keine Druckerei duldet. Als im Jahre 1852 ein Herr
Zankoff aus Wien in Sistowa eine solche anlegen wollte, wurde ihm die Er¬
laubniß dazu abgeschlagen, und er mußte das Geschäft uach Konstantinopel
verlegen. So müssen denn bulgarische Schriftsteller wohl oder übel ins Aus¬
land gehen, wenn sie ihre Werke veröffentlichen wollen.

Ueberall an den größeren Hochschulen trifft man seit Jahren schon junge
Leute aus Bulgarien, die sich mit Eifer den Studien widmen. Die Mehrzahl
geht allerdings nach Rußland, aber nur, weil man sie dort reichlich unterstützt.
Aber auch in Paris und Pesth, in Wien und Prag, sowie in Berlin und Leipzig
studiren gewöhnlich einige von ihnen, und man hört in der Regel von ihrem
Fleiß und ihrer Befähigung nur Lobenswerthes.

Die Straßen sind in Bulgarien so schlecht, wie allenthalben in der Türkei,
im Gebirge bloße Ziegenpfade, in der Ebne bei feuchtem Wetter Kothlachen,
in welche die hier üblichen von Ochsen gezognen Arabas bis an die Achsen


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[0205] Wir schließen unsere Skizze mit einigen nebensächlichen Bemerkungen über Bulgarien und seine Bewohner. Daß die Bulgaren eine ziemlich reichhaltige alte Literatur haben, ist bereits angedeutet. Die neubulgarische ist erst im Ent¬ stehen, doch giebt es schon seit geraumer Zeit Zeitschriften in bulgarischer Sprache. Das erste Druckwerk, welches in dieser abgefaßt wurde, war das 1806 erschienene „Kyriakodromion", eine Sammlung der Predigten des Bischofs Stojko Sofronij, dessen Leben ein großentheils tragischer Roman war. Ein Bulgar, Namens Beron aus Kadet am Balkan, hat mehrere Werke in bulgarischer, französischer, griechischer und deutscher Sprache veröffentlicht, und zwar in letzterer zu Prag eine philosophische Schrift 'und in Berlin Ansichten über den Planeten Saturn. Der bedeutendste bulgarische Schriftsteller war während der fünfziger und sechziger Jahre Rakowsky, der in Belgrad lebt und sich als Sammler von Volksliedern, Sagen, Sitten und Gebräuchen seiner Nation, dann durch Ver¬ besserung der Sprache vermittelst Rückkehr zu den älteren und reineren Formen und schließlich durch Herausgabe nützlicher Schulbücher große Verdienste um die Hebung seiner Nation erwarb, und den man in dieser Beziehung dem Serben Wuk Karadschitsch an die Seite stellen kann. Er wirkte auch als Journalist im patriotischen Sinne, indem er die Zeitschrift „Dunavski Lebet" herausgab, welche die Nachrichten ans Bulgarien auch in französischer Sprache mittheilte. Andere Zeitschriften waren in den letztverflossenen beiden Jahrzehnten: „Caro- gradski Westnik", „Bulgarin" und „Bulgarski Knieizi" (eine Literaturzeitung) in Konstantinopel, „Bradski Trüb", von den in Moskau studirenden Bulgaren herausgegeben, „Sewernazwesda" in Odessa und „Philologia" in Smyrna. Die beiden letzteren haben aufgehört zu erscheinen. Wenn in Bulgarien selbst kein Blatt in der Landessprache existirt, so liegt der Grund einfach darin, daß die Regierung hier keine Druckerei duldet. Als im Jahre 1852 ein Herr Zankoff aus Wien in Sistowa eine solche anlegen wollte, wurde ihm die Er¬ laubniß dazu abgeschlagen, und er mußte das Geschäft uach Konstantinopel verlegen. So müssen denn bulgarische Schriftsteller wohl oder übel ins Aus¬ land gehen, wenn sie ihre Werke veröffentlichen wollen. Ueberall an den größeren Hochschulen trifft man seit Jahren schon junge Leute aus Bulgarien, die sich mit Eifer den Studien widmen. Die Mehrzahl geht allerdings nach Rußland, aber nur, weil man sie dort reichlich unterstützt. Aber auch in Paris und Pesth, in Wien und Prag, sowie in Berlin und Leipzig studiren gewöhnlich einige von ihnen, und man hört in der Regel von ihrem Fleiß und ihrer Befähigung nur Lobenswerthes. Die Straßen sind in Bulgarien so schlecht, wie allenthalben in der Türkei, im Gebirge bloße Ziegenpfade, in der Ebne bei feuchtem Wetter Kothlachen, in welche die hier üblichen von Ochsen gezognen Arabas bis an die Achsen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/205>, abgerufen am 23.07.2024.