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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Es war kein Wunder, wenn unter solchen Umständen bei dem erwachten
Selbstgefühle der Bulgaren in den letzten fünfzehn Jahren wiederholt Versuche
zu Erhebungen gegen die Türkenherrschaft gemacht wurden, wenn sich in Bel¬
grad eine bulgarische Emigrautencolonie bildete, die im Verein mit Serben
bestrebt war, das Land zu insurgiren, und wenn namentlich in den ersten
Jahren des letztverflossenen Decenniums wiederholt Banden von Aufständischen
das Laud und vorzüglich den Balkan durchstreiften. Aber von einem Gelingen
dieser Versuche, sich selbst zu helfen, konnte bei der Unbekanntschaft der Be¬
völkerung mit dem Kriegshandwerke selbstverständlich nicht die Rede sein, und
zwar um so weniger, als die Pforte in dieser Zeit begonnen hatte, an ver¬
schiedenen Orten, die unsicher schienen, Tscherkessen anzusiedeln, welche nach dem
Erlöschen der Kämpfe mit den Russen und der Unterwerfung des gesammten
Kaukasus unter die Herrschaft des Czaren in Massen in die europäische Türkei
einströmten. Die scheußlichen Metzeleien, welche diese Wilden im vergangnen
Jahre, als sich in Bulgarien Sympathien mit den Serben zeigten, unter den
Augen türkischer Officiere in verschiedenen Orten Bulgariens anrichteten, sind
bekannt. Von einer Bestrafung der Uebelthäter aber ist unseres Wissens bis
jetzt nichts zu hören gewesen. Nur eine fremde Macht scheint hier Gerechtig¬
keit walten lassen, wirksame Maßregeln gegen die Wiederkehr solcher Greuel
treffen und dem Lande überhaupt eine seinen Interessen entsprechende Ver¬
waltung geben zu können. Die neue türkische Verfassung wird das nicht ver¬
mögen; denn sie wird ganz ebenso wenig eine Wahrheit werden, wie die ihr
vorher gegcmgnen Reformverheißungen.

Besser als jene partiellen Aufstände reussirte das Bestreben der Bulgaren,
sich ihrer griechischen Bedrücker zu entledigen, nationale Bischöfe zu gewinnen
und eine Art Nationalkirche zu errichten. Auch hier hielt es hart, da das
Patriarchat alle Mittel aufbot, um seine Stellung und die Gelegenheit zu guter
Versorgung der Seinen zu behaupten, und da die Bestrebungen der Bulgaren
sich lange Zeit keiner Gönner in den Kreisen der fremden Diplomaten erfreuten.
Wiederholt kam es, da die Opposition gegen die fanariotischen Bischöfe fort¬
dauerte, zu ärgerlichen, ein oder zwei Mal sogar zu blutigen Auftritten zwischen
den Parteien. Indeß die Bulgaren ließen nicht nach, sie fanden endlich auch
Unterstützung durch Rußland, während Frankreichs Einfluß infolge der deutschen
Siege bei Metz und Sedan erheblich abnahm, und schließlich gab die Pforte
nach, und im Jahre 1872 erfolgte die Trennung der Bulgaren von den Griechen
und die Constituirung einer bulgarischen Kirche. Daß der Patriarch die Schis¬
matiker feierlich in den Bann that, soll dieselben nicht geschmerzt haben, und
wir möchten das glauben, da auch sie im neunzehnten Jahrhundert leben.


Es war kein Wunder, wenn unter solchen Umständen bei dem erwachten
Selbstgefühle der Bulgaren in den letzten fünfzehn Jahren wiederholt Versuche
zu Erhebungen gegen die Türkenherrschaft gemacht wurden, wenn sich in Bel¬
grad eine bulgarische Emigrautencolonie bildete, die im Verein mit Serben
bestrebt war, das Land zu insurgiren, und wenn namentlich in den ersten
Jahren des letztverflossenen Decenniums wiederholt Banden von Aufständischen
das Laud und vorzüglich den Balkan durchstreiften. Aber von einem Gelingen
dieser Versuche, sich selbst zu helfen, konnte bei der Unbekanntschaft der Be¬
völkerung mit dem Kriegshandwerke selbstverständlich nicht die Rede sein, und
zwar um so weniger, als die Pforte in dieser Zeit begonnen hatte, an ver¬
schiedenen Orten, die unsicher schienen, Tscherkessen anzusiedeln, welche nach dem
Erlöschen der Kämpfe mit den Russen und der Unterwerfung des gesammten
Kaukasus unter die Herrschaft des Czaren in Massen in die europäische Türkei
einströmten. Die scheußlichen Metzeleien, welche diese Wilden im vergangnen
Jahre, als sich in Bulgarien Sympathien mit den Serben zeigten, unter den
Augen türkischer Officiere in verschiedenen Orten Bulgariens anrichteten, sind
bekannt. Von einer Bestrafung der Uebelthäter aber ist unseres Wissens bis
jetzt nichts zu hören gewesen. Nur eine fremde Macht scheint hier Gerechtig¬
keit walten lassen, wirksame Maßregeln gegen die Wiederkehr solcher Greuel
treffen und dem Lande überhaupt eine seinen Interessen entsprechende Ver¬
waltung geben zu können. Die neue türkische Verfassung wird das nicht ver¬
mögen; denn sie wird ganz ebenso wenig eine Wahrheit werden, wie die ihr
vorher gegcmgnen Reformverheißungen.

Besser als jene partiellen Aufstände reussirte das Bestreben der Bulgaren,
sich ihrer griechischen Bedrücker zu entledigen, nationale Bischöfe zu gewinnen
und eine Art Nationalkirche zu errichten. Auch hier hielt es hart, da das
Patriarchat alle Mittel aufbot, um seine Stellung und die Gelegenheit zu guter
Versorgung der Seinen zu behaupten, und da die Bestrebungen der Bulgaren
sich lange Zeit keiner Gönner in den Kreisen der fremden Diplomaten erfreuten.
Wiederholt kam es, da die Opposition gegen die fanariotischen Bischöfe fort¬
dauerte, zu ärgerlichen, ein oder zwei Mal sogar zu blutigen Auftritten zwischen
den Parteien. Indeß die Bulgaren ließen nicht nach, sie fanden endlich auch
Unterstützung durch Rußland, während Frankreichs Einfluß infolge der deutschen
Siege bei Metz und Sedan erheblich abnahm, und schließlich gab die Pforte
nach, und im Jahre 1872 erfolgte die Trennung der Bulgaren von den Griechen
und die Constituirung einer bulgarischen Kirche. Daß der Patriarch die Schis¬
matiker feierlich in den Bann that, soll dieselben nicht geschmerzt haben, und
wir möchten das glauben, da auch sie im neunzehnten Jahrhundert leben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/204>, abgerufen am 23.07.2024.