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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Portugals war verdunkelt. Dieser jähe Sturz seines Vaterlandes von stolzer
Höhe brach dem Dichter das Herz. Viel Leid war über ihn hingegangen in
seinem Leben, dieses war das schwerste. Noch lebte er, um zu sehen, wie das
Land, vom Großoheim Sebastians, dem Kardinal Heinrich, an Philipp den
Zweiten verrathen, mit Spanien vereinigt wurde. Dann starb er. An dem
Tage, wo das spanische Heer in Portugal einrückte, am 10. Juni 1580, hauchte
er seine edle Dulderseele aus, getreu dem Worte, welches er einige Zeit vorher
an Francisco Alucita geschrieben: "Ich werde das Leben beschließen, und Alle
werden sehen, daß ich meinem Vaterlande so zugethan war, daß es mir nicht
genügte, in ihm, sondern mit ihm zu sterben."

Camoens hat sich in verschiedenen Gattungen der Poesie versucht. Die
neueste Ausgabe seiner gesammelten Werke bietet 354 Sonette, 19 Canzonen,
5 Sextinen, 13 Oden, 8 Octaven, 27 Elegien und 15 Eklogen, ferner die drei
Dramen "Seleueo", "Amphitrno" und "Filodemo", endlich das Epos der
Lusiaden. Als Dramatiker ist er nicht von Bedeutung. Seine lyrischen Ge¬
dichte, in denen er italienischen Mustern folgt, zeichnen sich dnrch Reinheit
und Klarheit des Ausdrucks aus und tragen das Gepräge eines großen Cha¬
rakters und eines tiefen Gemüthes. Seine eigentliche Große aber haben wir in
seinem Epos vor uns, welches, in 10 Gesänge getheilt, 1102 achtzeilige Stanzen
enthält. Er nennt es die Lusiaden (0s I,usis>as,s), d. h. die Nachkommen des
fabelhaften Helden Lusus, des Ahnherrn der Portugiesen; denn der Zweck des
Gedichts ist nicht die Verherrlichung eines Einzelnen, sondern die seines ge¬
stimmten Volkes. Er besingt die Umschiffung Afrikas durch Vasco de Gama
und die ersten Anfänge des Verkehrs der Portugiesen mit Malabar, beschäftigt
sich aber zugleich in episodischen Erzählungen mit der älteren Geschichte Por¬
tugals, sowie in der Form begeisterter Prophezeiungen mit den späteren Gro߬
thaten seines Volkes in Indien. Dabei spielen die Götter des Alterthums als
leitende Mächte in die Entwickelung der Dinge hinein, was ein paar Mal zu
Situationen führt, welche uns jetzt fast komisch erscheinen, und bisweilen bricht
anch das persönliche Gefühl des Dichters in lyrischem Ergüsse mit Macht hervor.

Nach der üblichen epischen Einleitung und einer Apostrophe an den jugend¬
lichen König, diesem "neuen Schrecken für den Speer des Mohren", versetzt
uns der Dichter sofort auf die Flotte Vasco de Gamas, die in der Nähe von
Madagaskar ruhig ihren Weg verfolgt. Droben über ihr haben sich ans Jupiters
Ruf die Götter versammelt, um Rath zu halten über das portugiesische Volk.
Jupiter selbst, Mars und Merkur, namentlich aber Venus erklären sich für
dasselbe, Bacchus dagegen zeigt sich ihm feindlich, weil er fürchtet, die Thaten
der Lusitcmier könnten den Ruhm verdunkeln, den er sich durch seinen Zug
nach Indien erworben hat. Auf Mars' Antrag wird Merkur zu Vasco de


Portugals war verdunkelt. Dieser jähe Sturz seines Vaterlandes von stolzer
Höhe brach dem Dichter das Herz. Viel Leid war über ihn hingegangen in
seinem Leben, dieses war das schwerste. Noch lebte er, um zu sehen, wie das
Land, vom Großoheim Sebastians, dem Kardinal Heinrich, an Philipp den
Zweiten verrathen, mit Spanien vereinigt wurde. Dann starb er. An dem
Tage, wo das spanische Heer in Portugal einrückte, am 10. Juni 1580, hauchte
er seine edle Dulderseele aus, getreu dem Worte, welches er einige Zeit vorher
an Francisco Alucita geschrieben: „Ich werde das Leben beschließen, und Alle
werden sehen, daß ich meinem Vaterlande so zugethan war, daß es mir nicht
genügte, in ihm, sondern mit ihm zu sterben."

Camoens hat sich in verschiedenen Gattungen der Poesie versucht. Die
neueste Ausgabe seiner gesammelten Werke bietet 354 Sonette, 19 Canzonen,
5 Sextinen, 13 Oden, 8 Octaven, 27 Elegien und 15 Eklogen, ferner die drei
Dramen „Seleueo", „Amphitrno" und „Filodemo", endlich das Epos der
Lusiaden. Als Dramatiker ist er nicht von Bedeutung. Seine lyrischen Ge¬
dichte, in denen er italienischen Mustern folgt, zeichnen sich dnrch Reinheit
und Klarheit des Ausdrucks aus und tragen das Gepräge eines großen Cha¬
rakters und eines tiefen Gemüthes. Seine eigentliche Große aber haben wir in
seinem Epos vor uns, welches, in 10 Gesänge getheilt, 1102 achtzeilige Stanzen
enthält. Er nennt es die Lusiaden (0s I,usis>as,s), d. h. die Nachkommen des
fabelhaften Helden Lusus, des Ahnherrn der Portugiesen; denn der Zweck des
Gedichts ist nicht die Verherrlichung eines Einzelnen, sondern die seines ge¬
stimmten Volkes. Er besingt die Umschiffung Afrikas durch Vasco de Gama
und die ersten Anfänge des Verkehrs der Portugiesen mit Malabar, beschäftigt
sich aber zugleich in episodischen Erzählungen mit der älteren Geschichte Por¬
tugals, sowie in der Form begeisterter Prophezeiungen mit den späteren Gro߬
thaten seines Volkes in Indien. Dabei spielen die Götter des Alterthums als
leitende Mächte in die Entwickelung der Dinge hinein, was ein paar Mal zu
Situationen führt, welche uns jetzt fast komisch erscheinen, und bisweilen bricht
anch das persönliche Gefühl des Dichters in lyrischem Ergüsse mit Macht hervor.

Nach der üblichen epischen Einleitung und einer Apostrophe an den jugend¬
lichen König, diesem „neuen Schrecken für den Speer des Mohren", versetzt
uns der Dichter sofort auf die Flotte Vasco de Gamas, die in der Nähe von
Madagaskar ruhig ihren Weg verfolgt. Droben über ihr haben sich ans Jupiters
Ruf die Götter versammelt, um Rath zu halten über das portugiesische Volk.
Jupiter selbst, Mars und Merkur, namentlich aber Venus erklären sich für
dasselbe, Bacchus dagegen zeigt sich ihm feindlich, weil er fürchtet, die Thaten
der Lusitcmier könnten den Ruhm verdunkeln, den er sich durch seinen Zug
nach Indien erworben hat. Auf Mars' Antrag wird Merkur zu Vasco de


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[0184] Portugals war verdunkelt. Dieser jähe Sturz seines Vaterlandes von stolzer Höhe brach dem Dichter das Herz. Viel Leid war über ihn hingegangen in seinem Leben, dieses war das schwerste. Noch lebte er, um zu sehen, wie das Land, vom Großoheim Sebastians, dem Kardinal Heinrich, an Philipp den Zweiten verrathen, mit Spanien vereinigt wurde. Dann starb er. An dem Tage, wo das spanische Heer in Portugal einrückte, am 10. Juni 1580, hauchte er seine edle Dulderseele aus, getreu dem Worte, welches er einige Zeit vorher an Francisco Alucita geschrieben: „Ich werde das Leben beschließen, und Alle werden sehen, daß ich meinem Vaterlande so zugethan war, daß es mir nicht genügte, in ihm, sondern mit ihm zu sterben." Camoens hat sich in verschiedenen Gattungen der Poesie versucht. Die neueste Ausgabe seiner gesammelten Werke bietet 354 Sonette, 19 Canzonen, 5 Sextinen, 13 Oden, 8 Octaven, 27 Elegien und 15 Eklogen, ferner die drei Dramen „Seleueo", „Amphitrno" und „Filodemo", endlich das Epos der Lusiaden. Als Dramatiker ist er nicht von Bedeutung. Seine lyrischen Ge¬ dichte, in denen er italienischen Mustern folgt, zeichnen sich dnrch Reinheit und Klarheit des Ausdrucks aus und tragen das Gepräge eines großen Cha¬ rakters und eines tiefen Gemüthes. Seine eigentliche Große aber haben wir in seinem Epos vor uns, welches, in 10 Gesänge getheilt, 1102 achtzeilige Stanzen enthält. Er nennt es die Lusiaden (0s I,usis>as,s), d. h. die Nachkommen des fabelhaften Helden Lusus, des Ahnherrn der Portugiesen; denn der Zweck des Gedichts ist nicht die Verherrlichung eines Einzelnen, sondern die seines ge¬ stimmten Volkes. Er besingt die Umschiffung Afrikas durch Vasco de Gama und die ersten Anfänge des Verkehrs der Portugiesen mit Malabar, beschäftigt sich aber zugleich in episodischen Erzählungen mit der älteren Geschichte Por¬ tugals, sowie in der Form begeisterter Prophezeiungen mit den späteren Gro߬ thaten seines Volkes in Indien. Dabei spielen die Götter des Alterthums als leitende Mächte in die Entwickelung der Dinge hinein, was ein paar Mal zu Situationen führt, welche uns jetzt fast komisch erscheinen, und bisweilen bricht anch das persönliche Gefühl des Dichters in lyrischem Ergüsse mit Macht hervor. Nach der üblichen epischen Einleitung und einer Apostrophe an den jugend¬ lichen König, diesem „neuen Schrecken für den Speer des Mohren", versetzt uns der Dichter sofort auf die Flotte Vasco de Gamas, die in der Nähe von Madagaskar ruhig ihren Weg verfolgt. Droben über ihr haben sich ans Jupiters Ruf die Götter versammelt, um Rath zu halten über das portugiesische Volk. Jupiter selbst, Mars und Merkur, namentlich aber Venus erklären sich für dasselbe, Bacchus dagegen zeigt sich ihm feindlich, weil er fürchtet, die Thaten der Lusitcmier könnten den Ruhm verdunkeln, den er sich durch seinen Zug nach Indien erworben hat. Auf Mars' Antrag wird Merkur zu Vasco de

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/184>, abgerufen am 23.07.2024.