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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Kara-Kirgisen oder die Buruten auf. Letztere zerfallen wieder in verschiedene
Stämme, von denen die Adygine, Kiptschaken, Naimcmen in Kokan leben und
hier in der letzten Zeit einen bedeutenden Einfluß auf das Geschick des Chanats
geübt haben. Führen wir noch die Hindu, die Afghanen, die Araber und
Juden an, welche in geringer Zahl jenen Hauptvölkerschaften beigemischt leben,
so hat sich uns die so mannigfaltig gestaltete ethnographische Charte dieser
Gegenden in ihren Hauptzügen entrollt. Ohne sich zu einem harmonischen,
in sich selbst starken Ganzen zusammenzufügen, stehen diese einzelnen Natio¬
nalitäten, von den verschiedenartigsten Interessen geleitet, sich oft feindlich gegen¬
über. Durch stete innere Kämpfe geschwächt, werden sie unfähig, einen festen
nachhaltigen Widerstand nach außen zu leisten.

Auch das Regierungssystem der einzelnen Reiche, wenn es überhaupt
"System" genannt werden kann, ändert hieran nichts. Ein autokratisch-des¬
potisches -- häugt das Geschick der Bevölkerung allein von der Persönlichkeit
ihres Tyrannen ab: der größere oder geringere Hang desselben zur Grausamkeit,
zur Knechtung und Unterdrückung bestimmt vor allem den Grad des Wohl¬
lebens des Volkes. Bei einem sast gleichen Verwaltungstypus sind jene drei
Reiche in Bezirke verschiedener Größe getheilt, deren Spitzen als Beth, Akssa-
kalen, Chakims, Datschen, eine ziemlich ausgedehnte Macht haben. .Diese
Beamtenhierarchie fungirt nach den bestehenden Gesetzen oder vielmehr Ge¬
bräuchen, welche in den Medressen gelehrt werden. Die Verwaltungsbeamten
haben übrigens kaum einen anderen Zweck, als die Abgaben für den Chan
oder Emir einzutreiben und nach dem Anziehen der Steuerschraube wird
wesentlich ihre Qualifiecition beurtheilt. Die Abgaben bestehen in Chiwa in
einer Grund- und Gebäudesteuer. In Buchara betragen die Abgaben ein
Drittel der geernteten Feldfrüchte, während in Kokan dieselben nach Tschariks
(einem Getreidemaaße) und nach Tills (einer Münze) berechnet wurden. Im
Jahre 1840 haben sie eine Höhe von cirea 2 Millionen Tschariks oder 8
Millionen Pud, und von 216,000 Tills oder 800,000 Rubel erreicht, -- bei
^-"'^Bevölkerung von nicht über 700,00 Seelen. Dazu kommen die Unter¬
schleife ^'^bübereien der Beamten und man wird sich vorstellen können,
in was für drückenden Behältnissen das Volk lebt.

Daß somit ein Maaßstab nach europäischen Begriffen an jene Reiche, die
schon in Folge der eigenthümlichen territorialen Verhältnisse keine scharf mar-
kirten Grenzen haben tourner, nicht angelegt werden kann, möchte wohl auf
der Hand liegen. Man hat es hier eben mit ganz abnormen Verhältnissen
zu thun. --

Dieses nach Land und Leuten so eben skizzirte Gebiet wurde den Russen,
ebenso wie das nördliche Asien durch Kosaken, welche vom Jaik- (Ural-) Flusse


Grenzboten I. 1877. 2

Kara-Kirgisen oder die Buruten auf. Letztere zerfallen wieder in verschiedene
Stämme, von denen die Adygine, Kiptschaken, Naimcmen in Kokan leben und
hier in der letzten Zeit einen bedeutenden Einfluß auf das Geschick des Chanats
geübt haben. Führen wir noch die Hindu, die Afghanen, die Araber und
Juden an, welche in geringer Zahl jenen Hauptvölkerschaften beigemischt leben,
so hat sich uns die so mannigfaltig gestaltete ethnographische Charte dieser
Gegenden in ihren Hauptzügen entrollt. Ohne sich zu einem harmonischen,
in sich selbst starken Ganzen zusammenzufügen, stehen diese einzelnen Natio¬
nalitäten, von den verschiedenartigsten Interessen geleitet, sich oft feindlich gegen¬
über. Durch stete innere Kämpfe geschwächt, werden sie unfähig, einen festen
nachhaltigen Widerstand nach außen zu leisten.

Auch das Regierungssystem der einzelnen Reiche, wenn es überhaupt
„System" genannt werden kann, ändert hieran nichts. Ein autokratisch-des¬
potisches — häugt das Geschick der Bevölkerung allein von der Persönlichkeit
ihres Tyrannen ab: der größere oder geringere Hang desselben zur Grausamkeit,
zur Knechtung und Unterdrückung bestimmt vor allem den Grad des Wohl¬
lebens des Volkes. Bei einem sast gleichen Verwaltungstypus sind jene drei
Reiche in Bezirke verschiedener Größe getheilt, deren Spitzen als Beth, Akssa-
kalen, Chakims, Datschen, eine ziemlich ausgedehnte Macht haben. .Diese
Beamtenhierarchie fungirt nach den bestehenden Gesetzen oder vielmehr Ge¬
bräuchen, welche in den Medressen gelehrt werden. Die Verwaltungsbeamten
haben übrigens kaum einen anderen Zweck, als die Abgaben für den Chan
oder Emir einzutreiben und nach dem Anziehen der Steuerschraube wird
wesentlich ihre Qualifiecition beurtheilt. Die Abgaben bestehen in Chiwa in
einer Grund- und Gebäudesteuer. In Buchara betragen die Abgaben ein
Drittel der geernteten Feldfrüchte, während in Kokan dieselben nach Tschariks
(einem Getreidemaaße) und nach Tills (einer Münze) berechnet wurden. Im
Jahre 1840 haben sie eine Höhe von cirea 2 Millionen Tschariks oder 8
Millionen Pud, und von 216,000 Tills oder 800,000 Rubel erreicht, — bei
^-»'^Bevölkerung von nicht über 700,00 Seelen. Dazu kommen die Unter¬
schleife ^'^bübereien der Beamten und man wird sich vorstellen können,
in was für drückenden Behältnissen das Volk lebt.

Daß somit ein Maaßstab nach europäischen Begriffen an jene Reiche, die
schon in Folge der eigenthümlichen territorialen Verhältnisse keine scharf mar-
kirten Grenzen haben tourner, nicht angelegt werden kann, möchte wohl auf
der Hand liegen. Man hat es hier eben mit ganz abnormen Verhältnissen
zu thun. —

Dieses nach Land und Leuten so eben skizzirte Gebiet wurde den Russen,
ebenso wie das nördliche Asien durch Kosaken, welche vom Jaik- (Ural-) Flusse


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[0017] Kara-Kirgisen oder die Buruten auf. Letztere zerfallen wieder in verschiedene Stämme, von denen die Adygine, Kiptschaken, Naimcmen in Kokan leben und hier in der letzten Zeit einen bedeutenden Einfluß auf das Geschick des Chanats geübt haben. Führen wir noch die Hindu, die Afghanen, die Araber und Juden an, welche in geringer Zahl jenen Hauptvölkerschaften beigemischt leben, so hat sich uns die so mannigfaltig gestaltete ethnographische Charte dieser Gegenden in ihren Hauptzügen entrollt. Ohne sich zu einem harmonischen, in sich selbst starken Ganzen zusammenzufügen, stehen diese einzelnen Natio¬ nalitäten, von den verschiedenartigsten Interessen geleitet, sich oft feindlich gegen¬ über. Durch stete innere Kämpfe geschwächt, werden sie unfähig, einen festen nachhaltigen Widerstand nach außen zu leisten. Auch das Regierungssystem der einzelnen Reiche, wenn es überhaupt „System" genannt werden kann, ändert hieran nichts. Ein autokratisch-des¬ potisches — häugt das Geschick der Bevölkerung allein von der Persönlichkeit ihres Tyrannen ab: der größere oder geringere Hang desselben zur Grausamkeit, zur Knechtung und Unterdrückung bestimmt vor allem den Grad des Wohl¬ lebens des Volkes. Bei einem sast gleichen Verwaltungstypus sind jene drei Reiche in Bezirke verschiedener Größe getheilt, deren Spitzen als Beth, Akssa- kalen, Chakims, Datschen, eine ziemlich ausgedehnte Macht haben. .Diese Beamtenhierarchie fungirt nach den bestehenden Gesetzen oder vielmehr Ge¬ bräuchen, welche in den Medressen gelehrt werden. Die Verwaltungsbeamten haben übrigens kaum einen anderen Zweck, als die Abgaben für den Chan oder Emir einzutreiben und nach dem Anziehen der Steuerschraube wird wesentlich ihre Qualifiecition beurtheilt. Die Abgaben bestehen in Chiwa in einer Grund- und Gebäudesteuer. In Buchara betragen die Abgaben ein Drittel der geernteten Feldfrüchte, während in Kokan dieselben nach Tschariks (einem Getreidemaaße) und nach Tills (einer Münze) berechnet wurden. Im Jahre 1840 haben sie eine Höhe von cirea 2 Millionen Tschariks oder 8 Millionen Pud, und von 216,000 Tills oder 800,000 Rubel erreicht, — bei ^-»'^Bevölkerung von nicht über 700,00 Seelen. Dazu kommen die Unter¬ schleife ^'^bübereien der Beamten und man wird sich vorstellen können, in was für drückenden Behältnissen das Volk lebt. Daß somit ein Maaßstab nach europäischen Begriffen an jene Reiche, die schon in Folge der eigenthümlichen territorialen Verhältnisse keine scharf mar- kirten Grenzen haben tourner, nicht angelegt werden kann, möchte wohl auf der Hand liegen. Man hat es hier eben mit ganz abnormen Verhältnissen zu thun. — Dieses nach Land und Leuten so eben skizzirte Gebiet wurde den Russen, ebenso wie das nördliche Asien durch Kosaken, welche vom Jaik- (Ural-) Flusse Grenzboten I. 1877. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/17>, abgerufen am 03.07.2024.