Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aus wenigstens auf nationalem Boden erwachsene Heilslehre Lasalles be¬
deutet. Und je mehr sich die Socialdemokratie von dem Mutterboden des
Vaterlandes entfernt, je schamloser und unverhüllter sie die heiligste" Er¬
innerungen und Gefühle unsres Volkes mit Füßen tritt, um so rascher ist
ihr der Niedergang gewiß. Der erschreckende Pauperismus an Gedanken
und Begeisterung, an dem sie von jeher gelitten, ist noch nie so nackt
zu Tage getreten, als seitdem sich die Verewigung der socialistischen Parteien
vollzogen hat, und namentlich seit dem Beginn der Wahlagitation. Nicht der
Schatten natürlicher Begeisterung, nicht die Spur innerer Ueberzeugung, eigener
neuer Gedanken in allem, was da vou Socialisten geredet und geschrieben wird.
Ueberall auch die alte Armuth an Talent. Menschen von der absoluten par¬
lamentarischen Werthlosigkeit eines Hasselmann, Vahlteich, Hasenelever, welche
in jeder andern Partei nach ihren Leistungen und Verstaudesproben für immer
unmöglich wären, werden aus Maugel an Material immer wieder aufgestellt
und nur mühsam wird die Blöße damit bedeckt, daß die Herren Bebel und
Liebknecht in etwa zwanzig Wahlkreiseu zugleich aufgestellt werdeu.

Ein besonders augenfälliger Grund für den Rückgang der Socialdemokratie
mag freilich in den traurigen Geschästsverhültnissen liegen, unter denen Deutsch¬
land am Ausgang des Jahres noch ebenso leidet, wie zu Anfang desselben.
Auch der Blödeste erkennt, daß es trügerische Lehre" waren, als die socia-
listischen Führer in den Jubelwochen der Milliarden das Sparen verboten
und ihre Weisheit als den Heilstrost für gute und böse Tage anpriesen. Jeder
leidet hente mehr oder weniger unter der Schwere der Zeit. Aber auch hier
künden uus die besten Kenner der Volkswirthschaft und darunter ein so vor¬
sichtiger Rechner, wie der preußische Finanzminister, daß das Barometer auf
besseres Wetter, größeres Vertrauen und größre Unternehmungslust zeige. Ge¬
wiß nicht am wenigsten aus dem Grunde, weil die orientalische Frage, welche
die östlichen und westlichen Völker Enropa's in ihren wichtigsten Lebens¬
interessen berührt und in der peinlichsten Spannung hält, Dank der Staatskunst
des Lenkers unserer Politik unter keinen Umständen für Deutschland einen
friedensbedrohlicheu Charakter annehmen wird.

So mögen denn dem lieben Vaterlande alle die reichen Hoffnungen,
H. B. mit denen wir in das neue Jahr eintreten, in Erfüllung gehen !




aus wenigstens auf nationalem Boden erwachsene Heilslehre Lasalles be¬
deutet. Und je mehr sich die Socialdemokratie von dem Mutterboden des
Vaterlandes entfernt, je schamloser und unverhüllter sie die heiligste» Er¬
innerungen und Gefühle unsres Volkes mit Füßen tritt, um so rascher ist
ihr der Niedergang gewiß. Der erschreckende Pauperismus an Gedanken
und Begeisterung, an dem sie von jeher gelitten, ist noch nie so nackt
zu Tage getreten, als seitdem sich die Verewigung der socialistischen Parteien
vollzogen hat, und namentlich seit dem Beginn der Wahlagitation. Nicht der
Schatten natürlicher Begeisterung, nicht die Spur innerer Ueberzeugung, eigener
neuer Gedanken in allem, was da vou Socialisten geredet und geschrieben wird.
Ueberall auch die alte Armuth an Talent. Menschen von der absoluten par¬
lamentarischen Werthlosigkeit eines Hasselmann, Vahlteich, Hasenelever, welche
in jeder andern Partei nach ihren Leistungen und Verstaudesproben für immer
unmöglich wären, werden aus Maugel an Material immer wieder aufgestellt
und nur mühsam wird die Blöße damit bedeckt, daß die Herren Bebel und
Liebknecht in etwa zwanzig Wahlkreiseu zugleich aufgestellt werdeu.

Ein besonders augenfälliger Grund für den Rückgang der Socialdemokratie
mag freilich in den traurigen Geschästsverhültnissen liegen, unter denen Deutsch¬
land am Ausgang des Jahres noch ebenso leidet, wie zu Anfang desselben.
Auch der Blödeste erkennt, daß es trügerische Lehre» waren, als die socia-
listischen Führer in den Jubelwochen der Milliarden das Sparen verboten
und ihre Weisheit als den Heilstrost für gute und böse Tage anpriesen. Jeder
leidet hente mehr oder weniger unter der Schwere der Zeit. Aber auch hier
künden uus die besten Kenner der Volkswirthschaft und darunter ein so vor¬
sichtiger Rechner, wie der preußische Finanzminister, daß das Barometer auf
besseres Wetter, größeres Vertrauen und größre Unternehmungslust zeige. Ge¬
wiß nicht am wenigsten aus dem Grunde, weil die orientalische Frage, welche
die östlichen und westlichen Völker Enropa's in ihren wichtigsten Lebens¬
interessen berührt und in der peinlichsten Spannung hält, Dank der Staatskunst
des Lenkers unserer Politik unter keinen Umständen für Deutschland einen
friedensbedrohlicheu Charakter annehmen wird.

So mögen denn dem lieben Vaterlande alle die reichen Hoffnungen,
H. B. mit denen wir in das neue Jahr eintreten, in Erfüllung gehen !




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137187"/>
          <p xml:id="ID_22" prev="#ID_21"> aus wenigstens auf nationalem Boden erwachsene Heilslehre Lasalles be¬<lb/>
deutet. Und je mehr sich die Socialdemokratie von dem Mutterboden des<lb/>
Vaterlandes entfernt, je schamloser und unverhüllter sie die heiligste» Er¬<lb/>
innerungen und Gefühle unsres Volkes mit Füßen tritt, um so rascher ist<lb/>
ihr der Niedergang gewiß. Der erschreckende Pauperismus an Gedanken<lb/>
und Begeisterung, an dem sie von jeher gelitten, ist noch nie so nackt<lb/>
zu Tage getreten, als seitdem sich die Verewigung der socialistischen Parteien<lb/>
vollzogen hat, und namentlich seit dem Beginn der Wahlagitation. Nicht der<lb/>
Schatten natürlicher Begeisterung, nicht die Spur innerer Ueberzeugung, eigener<lb/>
neuer Gedanken in allem, was da vou Socialisten geredet und geschrieben wird.<lb/>
Ueberall auch die alte Armuth an Talent. Menschen von der absoluten par¬<lb/>
lamentarischen Werthlosigkeit eines Hasselmann, Vahlteich, Hasenelever, welche<lb/>
in jeder andern Partei nach ihren Leistungen und Verstaudesproben für immer<lb/>
unmöglich wären, werden aus Maugel an Material immer wieder aufgestellt<lb/>
und nur mühsam wird die Blöße damit bedeckt, daß die Herren Bebel und<lb/>
Liebknecht in etwa zwanzig Wahlkreiseu zugleich aufgestellt werdeu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_23"> Ein besonders augenfälliger Grund für den Rückgang der Socialdemokratie<lb/>
mag freilich in den traurigen Geschästsverhültnissen liegen, unter denen Deutsch¬<lb/>
land am Ausgang des Jahres noch ebenso leidet, wie zu Anfang desselben.<lb/>
Auch der Blödeste erkennt, daß es trügerische Lehre» waren, als die socia-<lb/>
listischen Führer in den Jubelwochen der Milliarden das Sparen verboten<lb/>
und ihre Weisheit als den Heilstrost für gute und böse Tage anpriesen. Jeder<lb/>
leidet hente mehr oder weniger unter der Schwere der Zeit. Aber auch hier<lb/>
künden uus die besten Kenner der Volkswirthschaft und darunter ein so vor¬<lb/>
sichtiger Rechner, wie der preußische Finanzminister, daß das Barometer auf<lb/>
besseres Wetter, größeres Vertrauen und größre Unternehmungslust zeige. Ge¬<lb/>
wiß nicht am wenigsten aus dem Grunde, weil die orientalische Frage, welche<lb/>
die östlichen und westlichen Völker Enropa's in ihren wichtigsten Lebens¬<lb/>
interessen berührt und in der peinlichsten Spannung hält, Dank der Staatskunst<lb/>
des Lenkers unserer Politik unter keinen Umständen für Deutschland einen<lb/>
friedensbedrohlicheu Charakter annehmen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_24"> So mögen denn dem lieben Vaterlande alle die reichen Hoffnungen,<lb/><note type="byline"> H. B.</note> mit denen wir in das neue Jahr eintreten, in Erfüllung gehen !  </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] aus wenigstens auf nationalem Boden erwachsene Heilslehre Lasalles be¬ deutet. Und je mehr sich die Socialdemokratie von dem Mutterboden des Vaterlandes entfernt, je schamloser und unverhüllter sie die heiligste» Er¬ innerungen und Gefühle unsres Volkes mit Füßen tritt, um so rascher ist ihr der Niedergang gewiß. Der erschreckende Pauperismus an Gedanken und Begeisterung, an dem sie von jeher gelitten, ist noch nie so nackt zu Tage getreten, als seitdem sich die Verewigung der socialistischen Parteien vollzogen hat, und namentlich seit dem Beginn der Wahlagitation. Nicht der Schatten natürlicher Begeisterung, nicht die Spur innerer Ueberzeugung, eigener neuer Gedanken in allem, was da vou Socialisten geredet und geschrieben wird. Ueberall auch die alte Armuth an Talent. Menschen von der absoluten par¬ lamentarischen Werthlosigkeit eines Hasselmann, Vahlteich, Hasenelever, welche in jeder andern Partei nach ihren Leistungen und Verstaudesproben für immer unmöglich wären, werden aus Maugel an Material immer wieder aufgestellt und nur mühsam wird die Blöße damit bedeckt, daß die Herren Bebel und Liebknecht in etwa zwanzig Wahlkreiseu zugleich aufgestellt werdeu. Ein besonders augenfälliger Grund für den Rückgang der Socialdemokratie mag freilich in den traurigen Geschästsverhültnissen liegen, unter denen Deutsch¬ land am Ausgang des Jahres noch ebenso leidet, wie zu Anfang desselben. Auch der Blödeste erkennt, daß es trügerische Lehre» waren, als die socia- listischen Führer in den Jubelwochen der Milliarden das Sparen verboten und ihre Weisheit als den Heilstrost für gute und böse Tage anpriesen. Jeder leidet hente mehr oder weniger unter der Schwere der Zeit. Aber auch hier künden uus die besten Kenner der Volkswirthschaft und darunter ein so vor¬ sichtiger Rechner, wie der preußische Finanzminister, daß das Barometer auf besseres Wetter, größeres Vertrauen und größre Unternehmungslust zeige. Ge¬ wiß nicht am wenigsten aus dem Grunde, weil die orientalische Frage, welche die östlichen und westlichen Völker Enropa's in ihren wichtigsten Lebens¬ interessen berührt und in der peinlichsten Spannung hält, Dank der Staatskunst des Lenkers unserer Politik unter keinen Umständen für Deutschland einen friedensbedrohlicheu Charakter annehmen wird. So mögen denn dem lieben Vaterlande alle die reichen Hoffnungen, H. B. mit denen wir in das neue Jahr eintreten, in Erfüllung gehen !

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/14
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/14>, abgerufen am 03.07.2024.