Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Worte eines Fachmannes über die Erfahrungen im deutsch-französischen Kriege
Beachtung: "In dem Kriege mußte die Verwaltung der Eisenbahnen, obendrein
in Feindesland, von einem Beamtenheere geführt werden, wie es vielgestaltiger
und bunter bis in die kleinsten Einzelheiten des Dienstes nicht gedacht werden
kann und mit einem Betriebsmaterial, das in seinen Abweichungen hunderte
von Verschiedenheiten auswies und alle Augenblicke unbrauchbar wurde, weil
nöthige Reparaturen nicht sofort beseitigt werden konnten, sondern erst Ersatz¬
stücke aus der Heimath beschafft werden mußten. Die Schwierigkeiten, unter
solchen Umstünden eine einheitliche Verwaltung zu schaffen, die nicht nur den
Ansprüchen unserer Kriegsleitung zu folgen vermochte, sondern anch die noth¬
wendigsten Verkehrsbedürfnisse der ohnehin von dem Kriege hart betroffenen
Bevölkerung berücksichtigte, sind ans der Ferne kaum zu bemessen. Um nur
ein Beispiel anzuführen, sei erwähnt, daß die in Weißenburg errichtete, später
nach Straßburg verlegte Betriebseommission, deren Linien von Weißenburg
nach Nancy, Basel, Dijon und Dole reichten, ihren Personalbedarf von 42
verschiedenen Verwaltungen entlehnt hatte, von denen nnr bei 8 darunter be¬
findlichen Staatsbahnverwaltungen in Organisation und Dienst Ueberein¬
stimmung bestand. Welches Vortheiles erfreute sich dagegen die einheitlich und
auf den Krieg organisirte Telegraphie und Post. Es fehlte bei den Bahnen
an Allein, was zur Einheit nöthig ist, mit Ausnahme der unermüdlichsten
Dienstfreudigkeit und Pflichttreue -- uicht eine Instruction war vorhanden,
selbst Karten fehlten."

Was den Tarif betrifft, so sind wir keine Anhänger des Wagenraum- und
Cvllotarifs, weil derselbe uur einzelne Klassen auf Kosten des Ganzen be¬
günstigt, und weil derselbe entweder zu einer allgemeinen Erhöhung des Tarifs
nöthigt, oder zu einem Deficit im Ertrag führt. Wir gehören auch keineswegs
zu denjenigen, welche sich von dem System der Reichsbahnen eine allgemeine
Ermäßigung der Tarifsätze versprechen. Allein wir erwarten davon eine Be¬
seitigung der Härten der Differentialtarife, der Mißhandlung des Lokalverkehrs,
weil das Gesammtnetz nicht genöthigt ist, die Concurrenz auf Tod und Leben
zu führen, wie einzelne Gesellschaften. Es sollte in Zukunft die Anomalie
nicht mehr vorkommen, daß ganze Eisenbahnwagen von Berlin nach Straßburg
geringere Fracht zahlen als von Berlin nach Mainz. Gerade gegenwärtig hat
man die beste Gelegenheit, im Verkehr zwischen Dentschland und Oesterreich zu
studiren, zu welchen Auswüchsen die Differentialtarife führen. Es ist erst
kürzlich in einer Denkschrift des industriellen Clubs zu Wien nachgewiesen
worden, daß die Fracht von New-Castle in England nach Pest billiger zu
stehen kommt, als von Aussig in Oesterreich nach Pest. Wie ich aus sicherer
Quelle weiß, ist die chemische Fabrik in Aussig gegenwärtig genöthigt, Seil-


Worte eines Fachmannes über die Erfahrungen im deutsch-französischen Kriege
Beachtung: „In dem Kriege mußte die Verwaltung der Eisenbahnen, obendrein
in Feindesland, von einem Beamtenheere geführt werden, wie es vielgestaltiger
und bunter bis in die kleinsten Einzelheiten des Dienstes nicht gedacht werden
kann und mit einem Betriebsmaterial, das in seinen Abweichungen hunderte
von Verschiedenheiten auswies und alle Augenblicke unbrauchbar wurde, weil
nöthige Reparaturen nicht sofort beseitigt werden konnten, sondern erst Ersatz¬
stücke aus der Heimath beschafft werden mußten. Die Schwierigkeiten, unter
solchen Umstünden eine einheitliche Verwaltung zu schaffen, die nicht nur den
Ansprüchen unserer Kriegsleitung zu folgen vermochte, sondern anch die noth¬
wendigsten Verkehrsbedürfnisse der ohnehin von dem Kriege hart betroffenen
Bevölkerung berücksichtigte, sind ans der Ferne kaum zu bemessen. Um nur
ein Beispiel anzuführen, sei erwähnt, daß die in Weißenburg errichtete, später
nach Straßburg verlegte Betriebseommission, deren Linien von Weißenburg
nach Nancy, Basel, Dijon und Dole reichten, ihren Personalbedarf von 42
verschiedenen Verwaltungen entlehnt hatte, von denen nnr bei 8 darunter be¬
findlichen Staatsbahnverwaltungen in Organisation und Dienst Ueberein¬
stimmung bestand. Welches Vortheiles erfreute sich dagegen die einheitlich und
auf den Krieg organisirte Telegraphie und Post. Es fehlte bei den Bahnen
an Allein, was zur Einheit nöthig ist, mit Ausnahme der unermüdlichsten
Dienstfreudigkeit und Pflichttreue — uicht eine Instruction war vorhanden,
selbst Karten fehlten."

Was den Tarif betrifft, so sind wir keine Anhänger des Wagenraum- und
Cvllotarifs, weil derselbe uur einzelne Klassen auf Kosten des Ganzen be¬
günstigt, und weil derselbe entweder zu einer allgemeinen Erhöhung des Tarifs
nöthigt, oder zu einem Deficit im Ertrag führt. Wir gehören auch keineswegs
zu denjenigen, welche sich von dem System der Reichsbahnen eine allgemeine
Ermäßigung der Tarifsätze versprechen. Allein wir erwarten davon eine Be¬
seitigung der Härten der Differentialtarife, der Mißhandlung des Lokalverkehrs,
weil das Gesammtnetz nicht genöthigt ist, die Concurrenz auf Tod und Leben
zu führen, wie einzelne Gesellschaften. Es sollte in Zukunft die Anomalie
nicht mehr vorkommen, daß ganze Eisenbahnwagen von Berlin nach Straßburg
geringere Fracht zahlen als von Berlin nach Mainz. Gerade gegenwärtig hat
man die beste Gelegenheit, im Verkehr zwischen Dentschland und Oesterreich zu
studiren, zu welchen Auswüchsen die Differentialtarife führen. Es ist erst
kürzlich in einer Denkschrift des industriellen Clubs zu Wien nachgewiesen
worden, daß die Fracht von New-Castle in England nach Pest billiger zu
stehen kommt, als von Aussig in Oesterreich nach Pest. Wie ich aus sicherer
Quelle weiß, ist die chemische Fabrik in Aussig gegenwärtig genöthigt, Seil-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137281"/>
          <p xml:id="ID_395" prev="#ID_394"> Worte eines Fachmannes über die Erfahrungen im deutsch-französischen Kriege<lb/>
Beachtung: &#x201E;In dem Kriege mußte die Verwaltung der Eisenbahnen, obendrein<lb/>
in Feindesland, von einem Beamtenheere geführt werden, wie es vielgestaltiger<lb/>
und bunter bis in die kleinsten Einzelheiten des Dienstes nicht gedacht werden<lb/>
kann und mit einem Betriebsmaterial, das in seinen Abweichungen hunderte<lb/>
von Verschiedenheiten auswies und alle Augenblicke unbrauchbar wurde, weil<lb/>
nöthige Reparaturen nicht sofort beseitigt werden konnten, sondern erst Ersatz¬<lb/>
stücke aus der Heimath beschafft werden mußten. Die Schwierigkeiten, unter<lb/>
solchen Umstünden eine einheitliche Verwaltung zu schaffen, die nicht nur den<lb/>
Ansprüchen unserer Kriegsleitung zu folgen vermochte, sondern anch die noth¬<lb/>
wendigsten Verkehrsbedürfnisse der ohnehin von dem Kriege hart betroffenen<lb/>
Bevölkerung berücksichtigte, sind ans der Ferne kaum zu bemessen. Um nur<lb/>
ein Beispiel anzuführen, sei erwähnt, daß die in Weißenburg errichtete, später<lb/>
nach Straßburg verlegte Betriebseommission, deren Linien von Weißenburg<lb/>
nach Nancy, Basel, Dijon und Dole reichten, ihren Personalbedarf von 42<lb/>
verschiedenen Verwaltungen entlehnt hatte, von denen nnr bei 8 darunter be¬<lb/>
findlichen Staatsbahnverwaltungen in Organisation und Dienst Ueberein¬<lb/>
stimmung bestand. Welches Vortheiles erfreute sich dagegen die einheitlich und<lb/>
auf den Krieg organisirte Telegraphie und Post. Es fehlte bei den Bahnen<lb/>
an Allein, was zur Einheit nöthig ist, mit Ausnahme der unermüdlichsten<lb/>
Dienstfreudigkeit und Pflichttreue &#x2014; uicht eine Instruction war vorhanden,<lb/>
selbst Karten fehlten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_396" next="#ID_397"> Was den Tarif betrifft, so sind wir keine Anhänger des Wagenraum- und<lb/>
Cvllotarifs, weil derselbe uur einzelne Klassen auf Kosten des Ganzen be¬<lb/>
günstigt, und weil derselbe entweder zu einer allgemeinen Erhöhung des Tarifs<lb/>
nöthigt, oder zu einem Deficit im Ertrag führt. Wir gehören auch keineswegs<lb/>
zu denjenigen, welche sich von dem System der Reichsbahnen eine allgemeine<lb/>
Ermäßigung der Tarifsätze versprechen. Allein wir erwarten davon eine Be¬<lb/>
seitigung der Härten der Differentialtarife, der Mißhandlung des Lokalverkehrs,<lb/>
weil das Gesammtnetz nicht genöthigt ist, die Concurrenz auf Tod und Leben<lb/>
zu führen, wie einzelne Gesellschaften. Es sollte in Zukunft die Anomalie<lb/>
nicht mehr vorkommen, daß ganze Eisenbahnwagen von Berlin nach Straßburg<lb/>
geringere Fracht zahlen als von Berlin nach Mainz. Gerade gegenwärtig hat<lb/>
man die beste Gelegenheit, im Verkehr zwischen Dentschland und Oesterreich zu<lb/>
studiren, zu welchen Auswüchsen die Differentialtarife führen. Es ist erst<lb/>
kürzlich in einer Denkschrift des industriellen Clubs zu Wien nachgewiesen<lb/>
worden, daß die Fracht von New-Castle in England nach Pest billiger zu<lb/>
stehen kommt, als von Aussig in Oesterreich nach Pest. Wie ich aus sicherer<lb/>
Quelle weiß, ist die chemische Fabrik in Aussig gegenwärtig genöthigt, Seil-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0108] Worte eines Fachmannes über die Erfahrungen im deutsch-französischen Kriege Beachtung: „In dem Kriege mußte die Verwaltung der Eisenbahnen, obendrein in Feindesland, von einem Beamtenheere geführt werden, wie es vielgestaltiger und bunter bis in die kleinsten Einzelheiten des Dienstes nicht gedacht werden kann und mit einem Betriebsmaterial, das in seinen Abweichungen hunderte von Verschiedenheiten auswies und alle Augenblicke unbrauchbar wurde, weil nöthige Reparaturen nicht sofort beseitigt werden konnten, sondern erst Ersatz¬ stücke aus der Heimath beschafft werden mußten. Die Schwierigkeiten, unter solchen Umstünden eine einheitliche Verwaltung zu schaffen, die nicht nur den Ansprüchen unserer Kriegsleitung zu folgen vermochte, sondern anch die noth¬ wendigsten Verkehrsbedürfnisse der ohnehin von dem Kriege hart betroffenen Bevölkerung berücksichtigte, sind ans der Ferne kaum zu bemessen. Um nur ein Beispiel anzuführen, sei erwähnt, daß die in Weißenburg errichtete, später nach Straßburg verlegte Betriebseommission, deren Linien von Weißenburg nach Nancy, Basel, Dijon und Dole reichten, ihren Personalbedarf von 42 verschiedenen Verwaltungen entlehnt hatte, von denen nnr bei 8 darunter be¬ findlichen Staatsbahnverwaltungen in Organisation und Dienst Ueberein¬ stimmung bestand. Welches Vortheiles erfreute sich dagegen die einheitlich und auf den Krieg organisirte Telegraphie und Post. Es fehlte bei den Bahnen an Allein, was zur Einheit nöthig ist, mit Ausnahme der unermüdlichsten Dienstfreudigkeit und Pflichttreue — uicht eine Instruction war vorhanden, selbst Karten fehlten." Was den Tarif betrifft, so sind wir keine Anhänger des Wagenraum- und Cvllotarifs, weil derselbe uur einzelne Klassen auf Kosten des Ganzen be¬ günstigt, und weil derselbe entweder zu einer allgemeinen Erhöhung des Tarifs nöthigt, oder zu einem Deficit im Ertrag führt. Wir gehören auch keineswegs zu denjenigen, welche sich von dem System der Reichsbahnen eine allgemeine Ermäßigung der Tarifsätze versprechen. Allein wir erwarten davon eine Be¬ seitigung der Härten der Differentialtarife, der Mißhandlung des Lokalverkehrs, weil das Gesammtnetz nicht genöthigt ist, die Concurrenz auf Tod und Leben zu führen, wie einzelne Gesellschaften. Es sollte in Zukunft die Anomalie nicht mehr vorkommen, daß ganze Eisenbahnwagen von Berlin nach Straßburg geringere Fracht zahlen als von Berlin nach Mainz. Gerade gegenwärtig hat man die beste Gelegenheit, im Verkehr zwischen Dentschland und Oesterreich zu studiren, zu welchen Auswüchsen die Differentialtarife führen. Es ist erst kürzlich in einer Denkschrift des industriellen Clubs zu Wien nachgewiesen worden, daß die Fracht von New-Castle in England nach Pest billiger zu stehen kommt, als von Aussig in Oesterreich nach Pest. Wie ich aus sicherer Quelle weiß, ist die chemische Fabrik in Aussig gegenwärtig genöthigt, Seil-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/108
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/108>, abgerufen am 23.07.2024.