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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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sich am Spalier der Hauswart die Wangen der Pfirsiche. Nicht lange, und
auch die Rebe wird ihre Frucht an den Winzer abgegeben haben, auf die
Arbeit der Tenne wird die Arbeit der Kelter folgen, und die Ernte wird
vollendet sein.

Der Segen kam wie vor Alters von oben. Im Uebrigen erntet jeder,
wie er gepflügt und gedüngt, gejätet und gegossen hat. Der Landwirth mit
modernen Grundsätzen, mit Entwässerungsröhren und Berieselungsgräben,
mit Knochenmehl, Düngesalz und Guano auf dem Lande fährt außer dem
Segen des Himmels auch den Segen der Wissenschaft in seine Vorraths¬
häuser. Der Bauer alten Glaubens findet nur, was seine Väter fanden,
wenn sie fleißige Pfleger von Feld und Garten waren und dabei die Bräuche
nicht vernachlässigten, mit denen uraltes Herkommen ihnen das Gedeihen
ihrer Saat zu fördern gebot.

Auch der Altgläubige hat seine "Wissenschaft" bei der Bereitung seines
Ackers, bei der Aussaat und bei der Sicherung derselben vor feindlichen
Mächten. Er hat seine Bauernregeln, seine Rockenphilosophie, seine Schwend-
und Loostage. Er weiß, daß zum Säen des Getreides und zum Pflanzen
von Hackfrüchten gewisse Zeiten gewählt und andere vermieden werden müssen.
Er säet, wenn es irgend möglich, seinen Roggen am Gründonnerstage oder an
Sanct Urban (23. Mai), seine Gerste und seinen Hafer am Tage Benedict
(21. März), seine Erbsen am Gregorstage (12. März), seine Linsen an Ja
cobi und Philippi (1. Mai), seine Wicken am Ktlianstage (8. Juli), seinen
Buchweizen, "damit er nicht zu lange blüht", bei abnehmendem Monde.
Alles, was in der Marterwoche gesäet wird, kommt gut fort; dagegen wird
aus dem vom 1. bis 7. April Gesäeten mehr Unkraut als Frucht. Gro߬
väterlicher Regeln eingedenk, hütet der ländliche Tagewähler sich, derlei Arbeit
an Galli oder Michaelis vorzunehmen, desgleichen sind die Mittwoch und der
Sonnabend dabei ausgeschlossen. Nicht leicht wird er an den Tagen Tibur-
tius oder Olympia Dünger auf sein Feld fahren oder im Krebs Rüben oder
Kohl pflanzen.

Diese Regeln sind ziemlich allgemein gültig unter dem altgläubigen
Landvolk im deutschen Norden. Andere gelten nur in der oder jener Land¬
schaft. Wenn der erste Acker besäet wird, setzt man in Osfriesland, West-
phalen und Schlesien einen Spaten an das Ende desselben und macht den
ersten Wurf kreuzförmig herum -- ein Gebrauch, der in christlicher Zeit ent¬
standen, aber auch eine verdunkelte Erinnerung an den Hammer Donar's
sein kann, dessen Rune die Kreuzform hatte. In Schwaben streut der alt¬
gläubige Bauer zuerst eine Handvoll Samen im Namen Gottes des Vaters,
dann eine in dem des Sohnes und zuletzt eine in dem des heiligen Geistes
aus -- in der Urzeit wird man dabei vermuthlich die drei höchsten Götter


sich am Spalier der Hauswart die Wangen der Pfirsiche. Nicht lange, und
auch die Rebe wird ihre Frucht an den Winzer abgegeben haben, auf die
Arbeit der Tenne wird die Arbeit der Kelter folgen, und die Ernte wird
vollendet sein.

Der Segen kam wie vor Alters von oben. Im Uebrigen erntet jeder,
wie er gepflügt und gedüngt, gejätet und gegossen hat. Der Landwirth mit
modernen Grundsätzen, mit Entwässerungsröhren und Berieselungsgräben,
mit Knochenmehl, Düngesalz und Guano auf dem Lande fährt außer dem
Segen des Himmels auch den Segen der Wissenschaft in seine Vorraths¬
häuser. Der Bauer alten Glaubens findet nur, was seine Väter fanden,
wenn sie fleißige Pfleger von Feld und Garten waren und dabei die Bräuche
nicht vernachlässigten, mit denen uraltes Herkommen ihnen das Gedeihen
ihrer Saat zu fördern gebot.

Auch der Altgläubige hat seine „Wissenschaft" bei der Bereitung seines
Ackers, bei der Aussaat und bei der Sicherung derselben vor feindlichen
Mächten. Er hat seine Bauernregeln, seine Rockenphilosophie, seine Schwend-
und Loostage. Er weiß, daß zum Säen des Getreides und zum Pflanzen
von Hackfrüchten gewisse Zeiten gewählt und andere vermieden werden müssen.
Er säet, wenn es irgend möglich, seinen Roggen am Gründonnerstage oder an
Sanct Urban (23. Mai), seine Gerste und seinen Hafer am Tage Benedict
(21. März), seine Erbsen am Gregorstage (12. März), seine Linsen an Ja
cobi und Philippi (1. Mai), seine Wicken am Ktlianstage (8. Juli), seinen
Buchweizen, „damit er nicht zu lange blüht", bei abnehmendem Monde.
Alles, was in der Marterwoche gesäet wird, kommt gut fort; dagegen wird
aus dem vom 1. bis 7. April Gesäeten mehr Unkraut als Frucht. Gro߬
väterlicher Regeln eingedenk, hütet der ländliche Tagewähler sich, derlei Arbeit
an Galli oder Michaelis vorzunehmen, desgleichen sind die Mittwoch und der
Sonnabend dabei ausgeschlossen. Nicht leicht wird er an den Tagen Tibur-
tius oder Olympia Dünger auf sein Feld fahren oder im Krebs Rüben oder
Kohl pflanzen.

Diese Regeln sind ziemlich allgemein gültig unter dem altgläubigen
Landvolk im deutschen Norden. Andere gelten nur in der oder jener Land¬
schaft. Wenn der erste Acker besäet wird, setzt man in Osfriesland, West-
phalen und Schlesien einen Spaten an das Ende desselben und macht den
ersten Wurf kreuzförmig herum — ein Gebrauch, der in christlicher Zeit ent¬
standen, aber auch eine verdunkelte Erinnerung an den Hammer Donar's
sein kann, dessen Rune die Kreuzform hatte. In Schwaben streut der alt¬
gläubige Bauer zuerst eine Handvoll Samen im Namen Gottes des Vaters,
dann eine in dem des Sohnes und zuletzt eine in dem des heiligen Geistes
aus — in der Urzeit wird man dabei vermuthlich die drei höchsten Götter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/62>, abgerufen am 19.10.2024.